DeepTurb – Deep Learning in und von Turbulenz

1.    Zusammenfassung

Die Anwendung von Maschinellem Lernen und künstlicher Intelligenz auf experimentelle Mes­sungen und Simulationsrechnungen von Strömungsturbulenz eröffnet einzigartige Möglichkei­ten. Die komplexen Daten können nach physikalischen Kriterien neu klassifiziert werden, um damit ein bisher fehlendes Verständnis der grundlegenden Strömungsbewegung für effekti­vere Modellierungen turbulenter Strömungen zu gewinnen. Mittels künstlicher Intelligenz soll die Dynamik von charakteristischen Strömungsmustern in einem von der Carl-Zeiss-Stiftung für 5 Jahre geförderten Drittmittelprojekt aus umfangreichen Forschungsdatensätzen horizon­tal ausgedehnter Konvektionsströmungen extrahiert werden. Zusätzlich soll die Strömung in dimensionsreduzierten nichtlinearen dynamischen Systemen vorhergesagt sowie deren Aus­wertung in optischen Strömungsmessverfahren beschleunigt werden. Diese Anwendungen er­fordern eine Erweiterung der mathematischen Grundlagen des maschinellen Lernens, u.a. durch optimierungsbasierte prädikative Regelung in den Algorithmen, die eine effizientere Vor­hersage von Turbulenz erst ermöglichen.

 2.    Motivation und erste Resultate

Die turbulente Flüssigkeitsbewegung ist eines der hartnäckigsten Probleme der klassischen Physik, bedingt durch die nichtlinearen Modellgleichungen, für die im dreidimensionalen Fall noch nicht einmal die Existenz und Eindeutigkeit von Lösungen bewiesen ist. Turbulente Strö­mungen sind stets durch komplexe Wirbelstrukturen gekennzeichnet, welche auf verschiede­nen Längen- und Zeitskalen koexistieren und miteinander wechselwirken. Das macht ihre nu­merische Simulation auf Computern bzw. ihre Vermessung in Experimenten sehr aufwendig. In vielen praktischen Problemen ist jedoch die Kenntnis aller Details der Strömung für die Problemlösung nicht notwendig, d.h. kleinere Wirbel können zum Beispiel in Form von effekti­ven Wirbelviskositäten modelliert werden.

Maschinenlernalgorithmen können diese Aufgabe übernehmen und Teile einer turbulenten Strömung bzw. gleich die gesamte Strömung nachbilden und modellieren ohne dazu die auf­wendigen partiellen Differentialgleichungen zu lösen. Das ist die zentrale Motivation des Carl-Zeiss-Stiftungsprojekts DeepTurb, welches vor fast einem Jahr im Februar 2020 begann und in dem 4 Fachgebiete aus den Fakultäten Informatik (Patrick Mäder), Mathematik und Natur­wissenschaften (Karl Worthmann) und Maschinenbau (Christian Cierpka, Jörg Schumacher) der TU Ilmenau zusammenarbeiten. Im Zentrum der Forschungen stehen thermisch getrie­bene turbulente Konvektionsströmungen in horizontal ausgedehnten Schichten. Diese Strö­mungen finden sich in der Atmosphäre, im Innern von Planeten und Sternen oder in den Oze­anen wieder. Ihre bessere Modellierung und effizientere Beschreibung kann letztendlich glo­bale Zirkulations- und Klimamodelle verbessern, in denen die Konvektionsprozesse paramet­risiert werden müssen.

Im Zentrum der momentanen Forschungen der Projektgruppe steht eine spezielle Klasse von Maschinenlernalgorithmen, so genannte rekurrente neuronale Netzwerke (RNN). Darunter versteht man Netzwerke mit internen Rückkopplungen, die besonders geeignet sind physika­lische Dynamiken zu modellieren. Zu dieser Gruppe der RNNs zählen u.a. Reservoir-Compu­ting-Modelle (RCM). Das Reservoir ist ein großes Zufallsnetzwerk -- eine stark vereinfachte Nachbildung des Netzwerks der Neuronen im menschlichen Gehirn. Diese RCMs wurden in den letzten Monaten bereits auf kleinere nichtlineare dynamische Systeme und zweidimensi­onale turbulente Strömungen angewendet. Diese ersten Untersuchungen ergaben bereits, dass diese speziellen Algorithmen charakteristische Eigenschaften der Turbulenz gut repro­duzieren können. Parallel dazu wurden im vergangenen Jahr neue Konvektionsexperimente aufgebaut, die Langzeitmessungen der Strukturen in turbulenter Konvektion erlauben und große Datenmengen liefern werden, mit denen die Algorithmen trainiert und optimiert werden können. In der Abbildung sieht man Aufnahmen der turbulenten Felder der Temperatur, der Strömungsgeschwindigkeit und des lokalen Wärmetransports, welche über ein kurzes Zeitin­tervall gemittelt wurden. Ein Langzeitziel des Projekts ist es, die langsame Dynamik dieser gezeigten Strukturen mit RNNs nachzubilden.

Experimentale Aufnahmen zur turbulenten Konvektion in Wasser, die in der Mit­telebene der Zelle gewonnen wurden. Die Daten wurden über ein kurzes Zeitintervall gemittelt. Links: Temperatur. Mitte: Vertikale Geschwindigkeit durch die Ebene. Rechts: Lokaler Wär­metransport durch die Ebene.

Viele offene Fragen gilt es in den kommenden Monaten noch zu beantworten. Wie kann die Vorhersagegüte in Abhängigkeit der Netzwerk-Hyperparameter verbessert werden? Wie gut funktioniert das Netzwerk, wenn drei- statt zweidimensionale Simulationsdaten bzw. ver­rauschte Experimentdaten eingegeben werden? Die Projektteilnehmer sind jedoch zuversicht­lich, dass sie auch diese Schritte meistern werden.