1. Hintergrund des Projekts

Eine stark ausgeprägte Heterogenität von Schülerinnen und Schülern und inklusive Lernset­tings stellen wachsende Anforderungen an das Berufsprofil von Lehrerinnen und Lehrern. In den Lehramtsstudiengängen fristet eine intensive Vorbereitung auf diese Herausforderun­gen derzeit vielerorts noch ein Schattendasein. Vielmehr scheint das Prinzip „learning by doing“ die gängige Praxis zu sein. Bereits im Jahr 2000 wiesen Mandl und Gerstenmaier auf eine bedeutende „Kluft zwischen Wissen und Handeln“ in der universitären Ausbildung hin (Gerstenmaier & Mandl  2000, S. 1). Zudem konnte Hof (2000) zeigen, dass Lehrerkräfte zu Beginn ihres Berufslebens eher intuitives Wissen und subjektive Theorien als Handlungsgrundlage heranziehen, anstatt auf evidenzbasiertes und theoretisch fundiertes Wissen zurückzugreifen. Für die Vorbereitung auf den heutigen Schulalltag ist der fehlende Praxisbezug und der verstärkte Rückgriff auf subjektive Theorien und intuitives Wissen jedoch kontraproduktiv. Um diesem Problem angemessen zu begegnen ist es daher wichtig, etablierte universitäre Lernarrangements zu überdenken und eine inhaltliche Wei­terentwicklung der Lehramtsstudiengänge aktiv voran zu treiben. Dabei besteht ein wesent­liches Element in der (Weiter-) Entwicklung innovativer Lehrkonzepte sowie in der Etablie­rung neuer digitaler Lehr- und Lernmittel, welche einer praxisnahen und nachhaltigen Aus­bildung gerecht werden.

2. Problemstellung

Ein in diesem Zusammenhang häufig diskutiertes und bereits ausführlich untersuchtes Thema sind Unterrichtsvideos. Aus Untersuchungen von Petko, Prasse und Reus­ser (2014) geht hervor, dass sich der Einsatz videographierter Unterrichtssequenzen in der universitären Lehramtsausbildung positiv auf die Kompetenzentwicklung der zukünftigen Lehrkräfte auswirkt und zur Verbesserung der Unterrichtsqualität beitragen kann. Darüber hinaus konnten Gold, Förster und Holodynski (2013) zeigen, dass sich Unterrichtsvideos gut für mehrdimensionale Analysen differenzierter Lehr-Lern-Prozesse eignen. Einige Forscher kritisieren jedoch, dass häufig Informationen für eine ausreichende Analyse von videographierten Unterrichtsprozessen fehlen, weil diese sich außerhalb der Kamera­perspektive befinden. Für eine objektive Beobachtung und eine fehlerfreie Analyse und Be­wertung einer Situation scheint dieser Umstand also durchaus problematisch.

3. Ziel

Das Ziel von VideoLeB besteht darin, einen möglichst starken Theorie-Praxis-Transfer zu er­möglichen und den Aufbau berufsspezifischer und professioneller Kompetenzen, wie Ana­lyse-, Beobachtungs- und Reflexionskompetenz zu unterstützen und gezielt zu schulen.

4. Lösung

Im Rahmen des BMBF-Projekts QUALITEACH haben die Erfurt School of Education (ESE) an der Universität Erfurt und das Fachgebiet Medien- und Kommunikationsmanagement der TU Ilmenau deshalb die digitale Lernplattform VideoLeB entwickelt. VideoLeB ist eine videoba­sierte eLearning-Plattform, die den Studierenden der Lehramtsstudiengänge authentische Einblicke in die Unterrichtspraxis ermöglicht. Während herkömmliche Video-Lern-Plattfor­men meist auf die Verwendung von fokussierten, multiperspektivischen Kamerasettings set­zen, wurden eigens für diese Plattform authentische 360°-Unterrichtsvideos in verschiede­nen Thüringer Schulen erstellt. Entsprechend einer realen Unterrichtsbeobachtung ermög­licht diese Art der Aufzeichnung, die Beobachtungsperspektive bei der Videoanalyse frei zu wählen und diese während der Beobachtung zu verändern. Darüber hinaus können die 360°-Videos über ein Virtual-Reality-Headset angesehen werden, wodurch bei den Nutzerinnen und Nutzern der Eindruck entsteht, „real“ am Unterrichtsgeschehen zu partizipieren. In An­lehnung an eine reale Unterrichtsbeobachtung bezeichnen wir diese Form der Darstellung auch als „Digitale Hospitanz“ (Windscheid et al., 2018).

Erste Ergebnisse aus diesem Projekt zeigen, dass die Verwendung von 360°-Videos im Vergleich zu klassischen Videoaufzeichnungen bei den Rezipienten zu einem verstärkten Gefühl von „Presence“ führt. Das Gesehene wird also als „realer“ empfunden als bei einem normalen Video. Unterschiede in Bezug auf Emotionen und Workload führten hingegen zu keinen signifikanten Unterschieden. Die Videoplattform wird seit Oktober 2017 in der Lehre an der Universität Erfurt eingesetzt und im Zuge dessen stetig verbessert und weiterentwickelt.

5. Literatur

· Gerstenmaier, J., & Mandl, H. (Hrsg.) (2000): Die Kluft zwischen Wissen und Handeln. Hogrefe. Göttingen.

· Gold, B., Förster, S. & Holodynski, M. (2013): Evaluation eines videobasierten Trainings­seminars zur Förderung der professionellen Wahrnehmung von Klassenfüh­rung im Grundschulunterricht. Zeitschrift für Pädagogische Psychologie, 27(3), 141-155.

· Hof, C. (2000): Subjektive Wissenstheorien als Grundlage des Unterrichtens: Ergeb­nisse einer Explorationsstudie. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 3(4), 595-607. .

· Petko, D., Prasse, D. & Reusser, K. (2014): Online-Plattformen für die Arbeit mit Unter­richtsvideos: Eine Übersicht. In: Beiträge zur Lehrerinnen- und Lehrerbildung, 32(2), S.247-261. .

· Windscheid, J. Stoll, D., Sallat, S., Will, A. (2018): 360°-Videos als Lernmedium für Inklu­sion in der Lehrer_innenausbildung. Posterpräsentation im Rahmen des Pro­grammworkshop CHANcen GEstalten – Inklusionsorientierung in der Lehrerbildung als Impuls für Entwicklungsprozesse in Hochschulen. 19.02.2018, TU Dortmund

Kontakt: 

Prof. Dr. Andreas Will & Julian Windscheid, M.A.
Fachgebiet Medien- und Kommunikationsmanagement
Fakultät für Wirtschaftswissenschaften und Medien