"Wir wollen die Energiewende mitgestalten."

Interview mit Prof. Kai-Uwe Sattler und Prof. Dirk Westermann zum Auftakt des Themenjahres | Oktober 2020

Guten Tag Professor Sattler, guten Tag Professor Westermann. Die TU Ilmenau hat das Jahr der Energie ausgerufen. Warum wollen Sie auf diese Thematik aufmerksam machen und welche Aktivitäten finden künftig im Rahmen dieses Themenjahrs statt?

Sattler: An unserer Universität lehren und forschen wir unter anderem im Bereich Energietechnik und möchten vor dem Hintergrund des Klimawandels einen Beitrag für die Gesellschaft leisten. Wir finden es sinnvoll, Forschungsthemen, die unsere Zukunft bestimmen, längerfristig zu kommunizieren.  Im Laufe des Themenjahres möchten wir eine Reihe von Aktivitäten wie Workshops anbieten, um die Bedeutung der Energietechnik besser hervorzuheben. Wir öffnen dazu unsere Universität allen Interessierten, die diese Veranstaltungen besuchen können.


Um die Expertise an der TU Ilmenau zu bündeln, wurde kürzlich das Thüringer Energieforschungsinstitut (ThEFI) gegründet, das zwölf Fachgebiete und Forschungsgruppen auf dem Gebiet der elektrischen Energie-, Antriebs und Umweltsystemtechnik vereint. Warum wurde dieses Institut gegründet?

Westermann: Knapp ein Viertel der Professoren an der TU Ilmenau beschäftigt sich mit Energiethemen in unterschiedlichsten Dimensionen. Verglichen mit großen Universitäten verfügen wir über eine große Stärke auf diesem Gebiet. Mit dem ThEFI wollen wir den Anspruch formulieren, dass Energieforschung hier in Ilmenau und im Freistaat Thüringen stattfindet. Auch wollen wir unsere Aktivitäten bündeln und nicht nur im Freistaat, sondern auch über diese Grenzen sichtbar werden.


Welches Ziel verfolgen die Wissenschaftler am ThEFI?

Westermann: Wir wollen die Energiewende mitgestalten. Die große Herausforderung des 21. Jahrhunderts ist die Defossilisierung der Gesellschaft der Industrienationen weltweit. Hier wollen wir unsere Beiträge leisten und verfügen in diesem Institut über die gesamte Prozesskette - vom Material über die Datenverarbeitung bis hin zur Informationsübertragung - über eine entsprechende Expertise, um das zu tun.


Vor welchen Herausforderungen steht die Forschung, um die Energiewende voranzutreiben?

Westermann: Die große Herausforderung ist, dass noch niemand weiß, wie der Endzustand sein wird. Es gibt verschiedene Optionen, wie die Energieversorgung in 30 Jahren aussehen könnte. Das, was man heute sagen kann, ist: Mit den heutigen Technologien werden wir es nicht schaffen, die Energieversorgung unserer Gesellschaft ohne CO2-Emissionen zu gewährleisten. Wir wollen die Defossilisierung unserer Gesellschaft, also eine klimaneutrale Versorgung mit Energie ohne Abstriche beim Lebensstandard, erreichen. Das versteht man unter der sogenannten großen Energiewende, die sicherlich noch eine Utopie ist. Die kleine Energiewende hingegen bedeutet, dass nur Strom aus erneuerbaren Energieträgern erzeugt wird.


Wie gehen die Wissenschaftler am ThEFI vor?

Westermann: Wir entwickeln ein Zielszenario, wie eine solche klimaneutrale Energieversorgung ermöglicht werden könnte und überlegen uns, welche Technologien hierfür benötigt werden. Wie kann ich Wasserstoff erzeugen? Wie kann ich eine Versorgungsinfrastruktur so effizient steuern, dass ich keine Menschen mehr hierfür benötige? Wie kann ich eine sichere unterbrechungsfreie Versorgung gewährleisten? Wir versuchen, diese Fragen zu beantworten. Unsere Arbeitsschwerpunkte sind die Transformation des Energiesystems, kognitive Energiesysteme und die Leistungsmechatronik.


Auf welche Energieträger konzentriert sich Ihre Forschung?

Westermann: Wir konzentrieren uns auf strombetriebene Energie, also Elektroenergie. Aber wir sind schon zur Erkenntnis gekommen: Mit Elektroenergie alleine wird man die Energiewende nicht gestalten können, sondern muss alle Energieträger berücksichtigen. Dazu gehören auch gasförmige Energieträger. Wir beschäftigen uns nicht nur mit der Erzeugung von Wasserstoff, sondern auch mit dem Energietransport und vor allem auch mit der Verknüpfung der Energieinfrastruktursysteme bis hin zur Mobilität, wo es Berührungspunkte zur Elektromobilität oder Mobilität mit alternativen Antrieben geht, die letztendlich auch mit Energie versorgt werden müssen. In unseren Laboren untersuchen wir Energieträger in allen Formen. Die Dinge, die wir dort nicht betrachten können, stellen wir mithilfe von leistungsfähigen Computersimulationen dar, zum Beispiel mithilfe der dynamischen Netzleitwarte.


Die TU Ilmenau ist eine vergleichsweise kleine Universität. Wie gelingt es Ihnen, die Energieversorgung ganzheitlich zu erforschen?

Westermann: Große Themen werden in der Regel von einer kleinen Anzahl von Experten gelöst, die interdisziplinär zusammenarbeiten. Das ist eine Stärke unseres Standortes und insbesondere des ThEFI. Die Fachgebiete sind miteinander verzahnt, weil wir eine kleine Universität sind. Die Wissenschaftler können hier optimal in interdisziplinären Teams zusammenarbeiten. So können wir eine ganzheitliche Perspektive einnehmen.

Dem ThEFI nachgelagert ist das Zentrum für Energietechnik, das als Labor dieses Instituts fungiert. Wir verfolgen damit einen innovativen Ansatz der Labornutzung. Wir haben nicht mehr ein Labor, das einer Person zugeordnet ist, sondern bieten einen Laborpool an, der von verschiedenen Wissenschaftlern verwendet werden kann. Dadurch fördern wir Synergien, um eine kostengünstige Laborinfrastruktur zu unterhalten.

Pavel Chatterjee


Professor Sattler, Sie wollen verstärkt die interdisziplinäre Zusammenarbeit an der TU Ilmenau fördern sowie den Transfer in die Wirtschaft vorantreiben. Wie lassen sich diese Ziele mit dem ThEFI verwirklichen?

Sattler: Zum Thema Energiewende können viele Fachgebiete beitragen. Dazu gehört das Mobilitätsthema etwa mit dem Thüringer Innovationszentrum Mobilität, aber auch energiesparsame Elektronik oder Künstliche Intelligenz, die das Energiemanagement unterstützen kann. Physik, Materialwissenschaften, Informatik, Informationstechnik, Maschinenbau bis hin zu den Wirtschaftswissenschaften kommen hier ebenfalls zur Anwendung.

An unserem Standort arbeiten wir mit regionalen Partnern zusammen wie zum Beispiel dem Fraunhofer Institut IOSB-AST, aber natürlich auch mit Wirtschaftspartnern.

Westermann: Dazu gehören kleine und mittelständische Unternehmen, die von unserer Forschung unmittelbar profitieren und mit denen wir gemeinsam Projekte verwirklichen. Wir würden uns jedoch mehr Partner aus der Industrie wünschen, um weitere Innovationen anzustoßen. Wir haben jetzt die strukturellen Voraussetzungen geschaffen, sodass wir neben der Grundlangenforschung perspektivisch die Möglichkeit haben, Ausgründungen aus dem ThEFI zu befördern. Wir möchten - auch durch das neue Ilmkubator-Projekt - in Zukunft aktiver in diesem Bereich sein. Die Erkenntnisse, die wir aus Forschungsprojekten erlangen, könnten so in Ausgründungen münden.

Sattler: Wir bieten neben unserer Expertise auch die Infrastruktur, also entsprechende Forschungsgeräte, um diese Projekte bearbeiten zu können.


Welche Forschungsschwerpunkte bearbeiten Sie am ThEFI?

Westermann: Die Spannbreite der Projekte ist sehr groß: Wie steuert man ein de-karbonisiertes Energiesystem? Wie kann ich mit Methoden der Künstlichen Intelligenz den Netzbetrieb sicherer machen? Wie sehen neue materialsparende Komponenten aus, die man in fünf Jahren in das Energienetz einbauen wird? Wie erzeuge ich CO2-freie elektrische Energie? Mit welchen Materialen kann ich Wasserstoff herstellen? Und wie kommuniziert man neue Energietechnologien, sodass sie bei der Bevölkerung Akzeptanz finden?


Könnte Thüringen mithilfe der Forschung an der TU Ilmenau eine Vorreiterrolle in der Energieversorgung in Deutschland einnehmen?

Westermann: Natürlich sind wir daran interessiert, unsere Ergebnisse unmittelbar anzuwenden. Wir haben auch einige Aktivitäten auf diesem Gebiet, es wäre schön, wenn man diese noch ausweiten könnte. Wir könnten uns auch eine Art Living Lab auf dem Campus vorstellen und arbeiten derzeit an einem Konzept zur Finanzierung.


Das Jahr der Energietechnik ist das erste aus einer Reihe von Themenjahren, die an der TU Ilmenau folgen sollen. Welche Themen kommen hierfür noch in Frage und welchen Ansprüchen müssen sie genügen?

Sattler: Die Themen spiegeln die Schwerpunkte unserer Universität wider. Ich könnte mir vorstellen, dass wir uns in Folge-Themenjahren beispielsweise mit neuartigen Materialien oder intelligenter Sensorik befassen werden. Es sollten jedoch immer Themen sein, die ein gesellschaftliches Problem adressieren und einen Großteil der TU Ilmenau betreffen.

 

Das Interview führte Eleonora Hamburg.