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Diversity Audit "Vielfalt gestalten": TU Ilmenau für Strategien im Umgang mit Vielfalt zertifiziert

Als eine von acht Hochschulen aus Thüringen hat die TU Ilmenau erfolgreich am Diversity Audit "Vielfalt gestalten" des Deutschen Stifterverbandes teilgenommen. Vizepräsidentin für Studium und Lehre Prof. Anja Geigenmüller und Andrea Krieg, Diversitätsbeauftragte und Leiterin des Referats Gleichstellung, Diversität und Gesundheit an der Universität, nahmen das Zertifikat am 9. Mai im Rahmen des 5. Diversity-Forums in Berlin entgegen. Die für drei Jahre gültige Zertifizierung bescheinigt der TU Ilmenau, dass sie die Vielfalt ihrer Studierenden und Beschäftigten als Chance begreift und Wege gefunden hat, dieses Potenzial für die Hochschulentwicklung zu nutzen.

David Ausserhofer
Übergabe des Zertifikats für das Diversity Audit an die Delegation der TU Ilmenau, Diversitätsbeauftragte Andrea Krieg (Mitte) und Vizepräsidentin Prof. Anja Geigenmüller.

Anlässlich der Verleihung des Zertifikats „Vielfalt gestalten“ sagte Wissenschaftsminister Wolfgang Tiefensee: "Mit der Zertifizierung beweisen die Hochschulen, dass sie Diversität nicht nur tolerieren, sondern sie auch aktiv fördern. Das ist genau die richtige Strategie, denn damit einher geht die Chance für mehr Offenheit, Kreativität und Innovationskraft. Dadurch wird Vielfalt zu einer Ressource, mit der sich die Herausforderungen der Zukunft erfolgreich meistern lassen.“ Wir haben mit Vizepräsidentin Prof. Anja Geigenmüller über das Zertifizierungsverfahren, Vielfalt an der TU Ilmenau sowie die Herausforderungen und weiteren Maßnahmen auf dem Weg zu einer diversitätssensiblen Hochschule gesprochen.

Guten Tag Prof. Geigenmüller, was ist überhaupt Diversität – und wie vielfältig ist die TU Ilmenau?

Diversität ist Ausdruck für die Vielfalt und Verschiedenartigkeit von Menschen, angefangen von persönlichen Merkmalen wie Alter, Herkunft, Geschlecht, soziale oder ethnische Herkunft, Familienstand, sexuelle Identität oder Weltanschauung bis hin zu unterschiedlichen Lebenssituationen z.B. aufgrund von Einschränkungen, Behinderungen oder chronischen Krankheiten. Die TU Ilmenau ist sehr vielfältig, da sie Mitarbeitende und Studierende mit ganz verschiedenen Merkmalen, unterschiedlichen fachlichen Disziplinen und Lebenswirklichkeiten vereint. Insbesondere die Zahl internationaler Studierender und Mitarbeitender ist in den vergangenen Jahren stark gewachsen. Aktuell (Stand Wintersemester 2022/23) kommen an der TU Ilmenau 4.752 Studierende, davon 2.864 deutsche und 1.888 ausländische Studierende aus mehr als 100 Ländern zusammen. Damit wir die Universität gemeinsam weiterentwickeln können, sollten wir uns diese Vielfalt bewusstmachen und sie als Vorteil für uns begreifen.

Was ist das Diversity Audit "Vielfalt gestalten"?

Audits sind ja bekanntermaßen Verfahren zur Analyse und Reflexion von Standards, Prozessen und Routinen. Ziel des Diversity Audits ist es, mit Hilfe eines externen Experten oder einer Expertin die eigene Einrichtung zu betrachten, Vielfalt „sehen zu lernen“ und daraus Maßnahmen zu entwickeln, um z.B. bestimmte Personengruppen besser in den Hochschulalltag einzubinden. Als Auditor begleitete uns Prof. Frank Linde von der Technischen Hochschule Köln. Frank Linde forscht und publiziert vor allem zum Thema Diversität in Hochschulen und in der Hochschullehre. Durch seine umfangreichen Erfahrungen war er für uns und für unser spezielles Profil als technische Universität eine hervorragende Unterstützung.

Das Auditierungsverfahren erstreckt sich über einen Zeitraum von ca. zweieinhalb Jahren und besteht aus einem internen Auditierungsprozess und einem Diversity Forum, d.h. einem regelmäßigen Austausch zwischen den Thüringer Hochschulen und dem Stifterverband. Seit März 2021 ist die Universität gemeinsam mit dem Stifterverband in den Prozess des Auditierungsverfahrens „Vielfalt gestalten“ getreten.

Warum hat die TU Ilmenau am Audit teilgenommen? Wie kann die Universität von Vielfalt profitieren?

Universitäten wie die Technische Universität Ilmenau sind immer auch Orte der Vielfalt von Persönlichkeiten, Fachdisziplinen, Perspektiven und Erfahrungen. Wir möchten diese Vielfalt nutzen, um uns als nationaler und internationaler Lehr- und Forschungsstandort weiterzuentwickeln. Die Zertifizierung verstehen wir als Auszeichnung, aber auch als Auftrag, unsere Universität bewusst zu gestalten: Unsere Universität soll ein Ort vielfältiger Perspektiven sein, an dem gemeinsame Werte wie Vertrauen, Offenheit, gegenseitige Achtung, interkulturelle Toleranz und Vielfalt bestehen und gelebt werden

Mit unserer Arbeit möchten wir den Fokus auch auf Menschen richten, die nicht selbstverständlich wie alle anderen am Universitätsleben teilhaben können, z.B. aufgrund körperlicher oder psychischer Einschränkungen. Dazu braucht es Strukturen und Menschen, die dafür Verantwortung übernehmen und ansprechbar sind für die Belange von Studierenden, Forschenden und Mitarbeitenden.

Mit dem Referat GDG wurde an der TU Ilmenau eine Struktureinheit geschaffen, die die Umsetzung des im Leitbild formulierten Auftrages unterstützt, entsprechende Rahmenbedingungen zur Umsetzung schafft und bedarfsorientierte Maßnahmen entwickelt. Wir möchten damit einen Beitrag leisten, vorhandene Barrieren sichtbar zu machen und zu überwinden und Freiräume für ein gemeinschaftliches Miteinander an der Universität zu schaffen.

Welche Bereiche an der Universität waren am Verfahren beteiligt?

Wir haben von Anfang an alle Bereiche – sowohl die Fakultäten als auch den Service- und Administrationsbereich – einbezogen. Wir haben zudem großen Wert darauf gelegt, dass in den Arbeitsgremien alle Statusgruppen eingebunden sind, d.h. sowohl Studierende als auch wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und auch Professorinnen und Professoren.

Welche Themenbereiche standen im Fokus?

Da Diversität ein sehr breites Thema ist, muss man sich auf ausgewählte Themenfelder konzentrieren, die zur Situation und zu den Herausforderungen der Universität passen. Wir haben für uns drei Schwerpunkte definiert: Zum einen geht es uns um die Erhöhung des Anteils weiblicher Studierender vor allem in den technischen Fachrichtungen. Im Audit wollten wir untersuchen, welche Maßnahmen uns helfen, Schülerinnen zu vermitteln, dass die TU Ilmenau ein toller Studien- und Arbeitsort ist. Zweitens haben wir uns vorgenommen, mehr für barrierefreie Lehre zu tun. Wir haben uns im Bereich digitaler Lehre sehr weiterentwickelt. Wir dürfen aber nicht aus den Augen verlieren, dass auch digitale Lehrformen und Materialien Barrieren haben können. Aus dem Audit heraus sollte u.a. eine Sammlung von Hinweisen und Empfehlungen für Lehrende entstehen, wie verschiedene Lehrformen möglichst barrierefrei gestaltet sein können. Drittens sind wir angesichts der hohen Zahl internationaler Studierender aufgefordert, auch da Barrieren abzubauen. Das beginnt bei ganz einfachen Dingen wie der Veröffentlichung wichtiger Informationen mindestens in Deutsch und Englisch und geht weiter bis hin zu Maßnahmen gegen die Diskriminierung und Ausgrenzung internationaler Studierender und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aufgrund ihrer Herkunft, ihrer Hautfarbe, Religion usw.

Wo steht die TU Ilmenau in diesen Bereichen im Vergleich zu anderen Hochschulen?

Wir konnten uns sehr gut zwischen den Thüringer Hochschulen austauschen und uns gegenseitig Ideen und Impulse liefern. Das war sehr wichtig, um sich mit dem Thema vertraut zu machen und erste Schritte zu unternehmen, Diversität als Handlungsfeld zu verstehen, mit dem man die Universität gestalten kann. In einem bundesweiten Vergleich sehen wir, dass andere Hochschulen schon sehr viel länger an diesem Thema arbeiten und daher auch bereits sehr umfassende Erfahrungen machen konnten mit verschiedenen Ausgangssituationen, der Wirksamkeit von Maßnahmen, der Akzeptanz des Themas in der Hochschulöffentlichkeit usw. Von diesen Hochschulen können wir viel lernen, um unser Verständnis von Diversität zielgerichtet und ergebnisorientiert zu verfolgen.

Wie wichtig ist bei diesem Thema der Austausch der Hochschulen untereinander?

Sehr wichtig! Denn wir können hier ja nur voneinander lernen. Genau diesem Austausch aller Thüringer Hochschulen untereinander diente auch das 5. Diversity Forum in Berlin, insbesondere die Diskussion mit sog. „critical friends“, also Expertinnen und Experten für Diversität aus der ganzen Bundesrepublik, aus Universitäten, berufsbildenden Einrichtungen usw., um sich zu Best Practice auszutauschen, sich gegenseitig zu helfen und ggf. auch gemeinsame thüringenweite Vorhaben zu initiieren.

Welche Herausforderungen gibt es noch zu bewältigen?

Das Audit war ein erster Schritt, um uns in dem Thema Diversität zu positionieren. Die richtige Arbeit fängt vermutlich jetzt an: Wir werden all das, was wir gelernt, ausgetauscht, verstanden und reflektiert haben, jetzt in konkrete Strategien und Maßnahmen überführen. Diversität ist kein Selbstzweck, sondern ein wichtiger Baustein für die Zukunft unserer Universität. Dazu braucht es viele Ideen und die Beteiligung aller Universitätsmitglieder. Und wir brauchen unser Verständnis von Diversität – ein Verständnis, das unsere Identität als TU Ilmenau widerspiegelt. Daher bleibt die Sensibilisierung der Hochschulöffentlichkeit auch weiterhin eine wichtige Aufgabe. Diversität wird vielleicht häufig als „erhobener Zeigefinger“ empfunden. Doch darum geht es nicht. Es geht darum, die Vielfalt an Menschen und Persönlichkeiten der TU Ilmenau zum Wohle der Universität einzubinden und nicht auszugrenzen, wertzuschätzen und nicht kleinzureden.

Was sind die nächsten Schritte?

Ganz wichtig wird sein, die bisherigen Erkenntnisse und Perspektiven aus dem Auditierungsprozess weiter in die Universität zu tragen und den Diskussionsprozess fortzusetzen. Um ziel- und ergebnisorientiert zu arbeiten, braucht es ein Diversitätskonzept als Orientierung für die Entwicklung diversitätsbezogener Prozesse, Strukturen und Maßnahmen. Ein solches Konzept muss Ziele und Maßnahmen definieren, Verantwortliche benennen und uns in die Lage versetzen zu prüfen, inwiefern wir unsere Diversitätsziele erreicht haben. Dabei werden die drei Schwerpunktthemen – Gewinnung von Studieninteressentinnen, barrierefreie Lehre und unterstützende Maßnahmen für internationale Studierende und Mitarbeitende – weiterhin im Vordergrund stehen.

Und wie stellen Sie sich die TU Ilmenau im Idealfall vor?

Mich persönlich würde sehr freuen, wenn wir unserem universitären Anspruch auch weiterhin treu bleiben und Verschiedenartigkeit, Unerwartetes und Neues als Chance verstehen zu lernen und uns weiterzuentwickeln. Mich würde freuen, wenn wir gemeinsam Ideen entwickeln, wie wir unsere Vielfalt pflegen und zum Wohl der Universität weiterentwickeln können. Und ich halte viel davon, dabei ziel- und ergebnisorientiert vorzugehen, dass wir uns konkrete Projekte vornehmen und auf diese Weise unsere Weiterentwicklung auch stetig vorantreiben können.

Über das Diversity Audit „Vielfalt gestalten“

Mit dem Diversity Audit unterstützt der Stifterverband Hochschulen seit zehn Jahren dabei, ein spezifisches und für sie passendes Verständnis von Diversität und eine darauf bezogene Strategie zu entwickeln. Ziel ist: Egal ob Studierende in Teilzeit, mit Migrationsgeschichte oder aus einem nichtakademischen Elternhaus – alle Studierenden sollen die Chance haben, erfolgreich an Bildung teilhaben zu können. Ebenso wichtig ist die Förderung von Diversität unter den Beschäftigten, sei es in der Wissenschaft oder in der Hochschulverwaltung. Bundesweit haben inzwischen 66 Hochschulen an dem Diversity Audit zur Strategie- und Organisationsentwicklung erfolgreich teilgenommen.

Kontakt

Prof. Anja Geigenmüller

Vizepräsidentin für Studium und Lehre