Forschung

„Die Mathematik bietet die Möglichkeit, in andere Fachgebiete zu schauen“

Prof. Thomas Hotz, Leiter des Fachgebiets Wahrscheinlichkeitsrechnung und mathematischer Statistik an der TU Ilmenau, hat sich durch seine Forschung an der Reproduktionszahl R in der Corona-Pandemie international einen Namen gemacht. Im Interview erklärt er, warum der Umgang mit Daten heute in allen Bereichen relevant ist. Zudem gibt er Einblicke in spannende Stationen seiner Arbeits- und Forschungstätigkeit als Mathematiker und Statistiker, darunter bei den Vereinten Nationen in New York und dem Bundeskriminalamt.

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Guten Tag Herr Professor Hotz, was begeistert Sie an Ihrem Fach?

Ich bin auf der einen Seite Mathematiker. Mathematik ist ein Fach, in dem es ums logische Denken geht, wo man ein bisschen knobeln und sich freuen kann, wenn man die Lösung eines schwierigen Problems gefunden hat. Ich fühle mich aber auch als Statistiker. Ich denke, gerade in der heutigen Zeit spielen Daten eine wichtige Rolle. Nicht nur in der Wissenschaft, sondern überall werden wir damit bombardiert. Diese Daten korrekt auszuwerten und zu verstehen, was dahintersteckt, macht mir viel Spaß.

Statistik ist ein Thema, das in vielen Disziplinen eine wichtige Rolle spielt. Wie kommt sie in der Corona-Pandemie zum Einsatz?

In der Pandemie versuchen wir, Statistiken zu erstellen und Kenngrößen wie die Reproduktionszahl zu schätzen – das auch auf regionaler Ebene. Eine Hürde dabei ist, dass die Fallzahlen zwischenzeitlich gering sind. Wir wollen genaue Aussagen treffen, ob die Pandemie sich gerade stärker oder weniger stark ausbreitet. Dabei beschäftigen wir uns mit Schwankungen, die durch zufällige Effekte zunehmen. Auf Basis dieser Zahlen muss man dann, zum Beispiel in kleinen Kreisen wie dem Ilm-Kreis, feststellen können, welche Maßnahmen man ergreifen muss.

Wie errechnen Sie trotz geringer Fallzahlen eine realistische R-Zahl?

Wir schauen uns einerseits die Dynamik von anderen Kreisen an. So können wir in gewissem Maße Schlussfolgerungen treffen. Das setzt natürlich gewisse Annahmen voraus, die wir treffen müssen, um die Kreise zu vergleichen. Zum anderen beziehen wir die zeitliche Dynamik mit ein. Wir gehen davon aus, dass sich die Dynamik nicht jede Woche vollkommen verändert. Zudem greifen wir auf Forschung zu komplexeren Datenmengen zurück.

Sie haben während Ihrer wissenschaftlichen Laufbahn viel Forschung mit Bezug zur Medizin betrieben.

Ja, ich habe bereits im Studium als Hilfskraft bei der statistischen Datenauswertung bei der Therapie von Fibromyalgie-Patienten geholfen. Die Patienten haben ein Schmerztagebuch geführt und jede Woche aufgeschrieben, wie sie sich fühlten. Schon damals fand ich die Fragestellung spannend, wie man Mathematik in andere Bereiche einbringen kann. Und Medizin ist da natürlich ein Fach, bei dem man direkt sieht, ob es etwas bringt.

Sie waren später als Medizinstatistiker tätig.  

Nach meinem Studium bin ich nach England gezogen und habe dort vor allem Mediziner beraten, wie sie ihre Statistiken durchführen können. Dort konnte ich für mich feststellen: „Hat mein Studium der Mathematik etwas genutzt?“. Die Antwort lautete ganz klar ja. Und die Statistik bietet mir dann auch immer die Möglichkeit, in ganz andere Gebiete hineinzuschauen. Ich habe in der Medizin, in den Ingenieurswissenschaften und in den Naturwissenschaften gearbeitet, aktuell kooperiere ich mit Partnern im Bereich der Forstwissenschaft. Das finde ich ganz spannend, denn man forscht nicht immer nur auf seinem Gebiet.

Sie waren auch bei der UN in New York tätig. Welche Aufgaben hatten Sie dort?

In New York war ich amtlicher Statistiker. Dort habe ich an einer Datenbank gearbeitet, die Daten aus verschiedenen Quellen in ein System integriert hat. Das war eine Arbeit, die im Prinzip auch ein Informatiker hätte machen können. Das ist dann auch letztendlich der Grund dafür gewesen, dass ich da wieder gegangen bin.

Wie ging Ihr Weg weiter, bevor Sie nach Ilmenau gekommen sind?

Von New York aus bin ich nach Göttingen, zurück in die Forschung, gegangen. Ich habe über Fingerabdruckanalyse promoviert, was mich zu einer Kooperation mit dem Bundeskriminalamt gebracht hat. Ich habe mit Chemikerinnen und Chemikern und Physikerinnen und Physikern gearbeitet. Ein Schwerpunkt war die Nanoskopie, womit man Zellen auf einer ganz anderen Skala, als man das vorher konnte, beobachten kann. Ich habe mit der Arbeitsgruppe von Stefan Hell zusammengearbeitet, der einen Nobelpreis auf dem Gebiet bekommen hat. Hier ging es vor allem darum, die Bildbewegung, die auf Nanometerebene durch die kleinsten Erschütterungen entsteht, auszurechnen.

In Ihrem Beruf kommen Sie immer wieder mit neuen Themenfeldern in Berührung. Wie eignen Sie sich das Wissen dazu an?

Bei einem Statistiker ist es so, dass die Arbeit zu ihm kommt. In der Medizinstatistik und Epidemiologie kenne ich mich mittlerweile ein bisschen aus. Aber von Biochemie oder Biophysik habe ich wenig Ahnung. Wenn jemand ein statistisches Problem hat, kommt er zu mir und erklärt es mir. Wir haben im Fachgebiet auch eine statistische Beratungsstelle. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus allen Fakultäten kommen dort mit ihren statistischen Problemen auf mich zu. Als Mathematiker mische ich mich nicht in die Fachdisziplinen ein. Ich kann gar nicht beurteilen, was zum Beispiel in der Physik interessante Fragestellungen sind.

Interview: Jannik Packenius

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Prof. Thomas Hotz

Leiter des Fachgebiets Wahrscheinlichkeitsrechnung und mathematische Statistik