Forschung

„Ein regennasser Kopf kann bei Blitzeinschlägen die Überlebenschancen verbessern“

Ein nasser Kopf kann bei Gewitter unter Umständen Leben retten – das ist bekannt, seitdem das Team um Prof. Jens Haueisen und Prof. Michael Rock die Ergebnisse ihrer Forschungsarbeiten über Blitzentladungen in der renommierten Fachzeitschrift Springer Nature Scientific Reports veröffentlicht hat. Den Wissenschaftlern ist es gelungen nachzuweisen, dass Regenwasser auf der Kopfhaut bei direkten Blitzeinschlägen in den Kopf eine Schädigung reduzieren kann. Doch was kann außerdem vor Blitzeinschlägen schützen und helfen die Maßnahmen allen Menschen gleich gut? Diesen Fragen geht der Leiter des Instituts für Biomedizinische Technik und Informatik (BMTI) sowie des Fachgebiets Biomedizinische Technik an der TU Ilmenau derzeit nach. In UNIonline eröffnet Prof. Haueisen spannende Einblicke in seine Forschung, mit der Patient*innen unter anderem nach Operationen künftig schonender beatmet und Augenkrankheiten dank Stromzufuhr therapiert werden könnten.

TU Ilmenau/Eleonora Hamburg
Am BMTI entwickeln Prof. Haueisen und sein Team Durchschnittsköpfe. Mit deren Hilfe wollen sie in Experimenten herausfinden, was bei Blitzeinschlägen mit menschlichen Köpfen passiert.

Guten Tag Prof. Haueisen, Sie bekommen diese Frage derzeit bestimmt häufig gestellt, aber hilft ein nasser Kopf tatsächlich bei Gewitter?

Die Frage ist so pauschal nicht zu beantworten, denn es hängt vom Wasser ab. Es muss leitfähig sein. Regenwasser hat spezifische Eigenschaften, eine bestimmte Leitfähigkeit, das nicht jedes Wasser hat.

Wie haben Sie herausgefunden, dass Regenwasser auf der Kopfhaut bei direkten Blitzeinschlägen in den Kopf eine Schädigung reduzieren kann?

Wir haben das an künstlichen Köpfen in Experimenten gemessen. Diese wurden nach Vorbild eines Menschen gefertigt und bilden die Hauptschichten eines Kopfes nach − Haut, Schädel und das Innere. Unser Fokus lag auf den elektrischen Eigenschaften - das heißt, die Leitfähigkeit und die Permittivität.

Wie wurden die Modellköpfe gefertigt?

Zunächst lag uns ein medizinischer Bildgebungsdatensatz eines Probanden vor, der in die besagten drei Hauptbestandteile des Kopfes segmentiert wurde. Auf dieser Grundlage fertigten wir die Modellköpfe. Sie bestehen aus Materialien, die die Eigenschaften des menschlichen Gewebes nachstellen. Der äußere Teil, die Haut, besteht hauptsächlich aus Agar, einem aus Algen gewonnenen Material, das auch in der Lebensmittelindustrie eingesetzt wird. Dieses bildet das Gewebe nach und modelliert die Eigenschaften, die elektrisch relevant sind.

Der Schädel ist aus einer Art Gips hergestellt worden, der genau wie die Hautschicht mit verschiedenen Materialien angereichert wurde, um die Leitfähigkeit und die Permittivität herzustellen und eine entsprechende mechanische Stabilität zu erhalten. Das Innere ist nur Natriumchloridlösung, also Salzwasser.

Die Modelle halten nicht lange, da sie zum einen aus organischem Material bestehen und zum anderen nach dem Experiment meist zerstört sind.

Werden Sie Ihre Forschung zu den Blitzeinschlägen weiterführen?

Ja, das tun wir bereits. Aktuell arbeiten wir daran einen Durchschnittskopf zu entwickeln. Menschliche Köpfe sind zwar grundsätzlich ähnlich, aber nicht gleich. Sie unterscheiden sich in der Größe und Form. Dazu haben wir etwa 5000 Datensätze ausgewertet, die die Variabilität der Bevölkerung abdecken. Daraus werden wir den einen Durchschnittskopf designen.

Warum designen Sie einen solchen Durchschnittskopf?

Anhand eines Modells eines Kopfs eines einzelnen Menschen haben wir herausgefunden, dass Regenwasser die Schäden bei Blitzeinschlägen reduziert. Nun wollen wir untersuchen, ob unterschiedliche Kopfformen zu einem anderen Effekt führen.

Wir gehen vielen Fragestellungen nach, zum Beispiel was passiert im Fall eines Blitzeinschlags, wenn jemand eine Kopfbedeckung aufhat? Oder ist es besser, einen Hut oder eine Mütze im Gewitter zu tragen?

Neben Ihrer Forschung zu Blitzentladungen arbeiten Sie am BMTI an einer Reihe von Forschungsprojekten zur Früherkennung, Diagnose, Therapie und Rehabilitation von Krankheiten. Welche Bandbreite der Biomedizintechnik deckt das Institut ab und welche Schwerpunkte in der Forschung verfolgen Sie?

Unsere Forschungsschwerpunkte liegen zum einen im Bereich der Mess- und Stimulationstechnik am Menschen. Wir beschäftigen uns sowohl mit der Hardware, der Gerätetechnik, als auch der Software, zum Beispiel Datenanalyse. Die Technik ist meist nicht-invasiv, das heißt sie dringt nicht durch die Haut hindurch.

Wir erforschen und entwickeln auch Technik für die Augenheilkunde, ophthalmologische Technik. Wir befassen uns mit optischen Systemen und mit elektrischer Stimulation am Auge sowie Technik, die zur allgemeinen Augendiagnostik beiträgt.

Wir betreiben zudem Grundlagenforschung im neurowissenschaftlichen Bereich.

Ihr Kollege, Prof. Patrique Fiedler, hat am BMTI so genannte trockene Elektroden entwickelt, die ohne Gel an Patient*innen angebracht werden können und bereits in einer Vielzahl von medizinischen Anwendungen zum Einsatz kommen. Sie erforschen auch weitere Elektrodenarten. Gibt es hierzu derzeit spannende Forschungsprojekte?

In einer Studie mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft beschäftigen wir uns im Moment mit der elektrischen Stimulation des Auges. Das Projekt heißt VIRON. Dazu bringen wir einzelne Elektroden rund um das Auge an. Sie applizieren einen schwachen Strom, der für eine Aktivierung der Zellen am Auge sorgt. In einer vorangegangenen Studie, die allerdings in einem kleinen Rahmen durchgeführt wurde, wurde bereits gezeigt, dass diese Stimulation hilfreich beim Glaukom sein kann. Gemeinsam mit einer Reihe von Kliniken haben wir nun eine große klinische Studie gestartet, bei der etwa 300 Glaukom-Patient*innen deutschlandweit getestet werden. Unser Institut berechnet die optimale Elektrodenposition für die Patient*innen. Ganz konkret testen wir zwei Situationen: die sogenannte Standardstimulation, wo die Elektroden rechts und links am Auge angebracht werden und die Stimulation, bei der sie optimal um das Auge verteilt werden. Mit der Geometrie der individuellen Patient*innen wird berechnet, wie am besten der Strom verteilt wird.

Im Projekt eVENT entwickeln Sie eine neue Methode zur künstlichen Beatmung bei Operationen. Warum braucht es überhaupt eine neue Methode?

Der Projektname steht für Elektroventilation und bedeutet, dass man den Nervus phrenicus, der das Zwerchfell versorgt und im Sinne der Muskelkontraktion dafür sorgt, dass wir atmen, elektrisch stimuliert. Nicht invasiv ist das anspruchsvoll zu realisieren. Die Grundidee bei einer maschinellen Beatmung bei Operationen ist eine Überdruckbeatmung. Bei natürlicher Atmung hingegen atmen wir mit Unterdruck. Häufig wird ein Tubus in den Rachen der Patient*inen eingeführt.  Der Überdruck hat den Nachteil, dass er zu Nebenwirkungen führen kann, den so genannten Ventilator initiierten Krankheiten - von Infektionen bis hin zu Lungenschädigungen. Viele tausende Patient*innen sind davon betroffen.

Ein anderes Problem ist das Entwöhnen: Sobald man aufhört von alleine zu atmen, bildet sich die Atemmuskulatur zurück. Auch nach Operationen werden die Patient*innen häufig noch maschinell beatmet. Die Atmungsmuskulatur fängt bereits nach wenigen Stunden an, sich zurückzubilden. Innerhalb von Tagen wird das zu einem ernsthaften Problem. Die Patient*innen müssen von der Beatmung wieder entwöhnt werden, der Fachbegriff heißt "Weaning". Sie müssen über viele Tage und teils Wochen das Atmen wieder trainieren. Mit der elektrischen Stimulation könnten wir sie dabei unterstützen, indem wir das Zwerchfell stimulieren und die Atemmuskulatur schonend trainieren.

Welche Vorteile bietet die nicht-invasive Stimulation des Zwerchfellnervs?

Zum einen, dass bei rechtzeitigem Einsatz sich der Muskel gar nicht so weit zurückbildet. Andererseits kann es Menschen unterstützen, die ihre Atmungsmuskulatur wiederaufbauen müssen. Die Weaning-Zeit wird verkürzt.

Kontakt

Prof. Jens Haueisen

Leiter des Instituts für Biomedizinische Technik und Informatik