Forschung

Von der Umweltanalytik bis zur Therapie von Krankheiten: Kurzlehrgang gibt Einblicke in die angewandte Mikrofluidik

Bei einem interdisziplinären Kurzlehrgang vom 18. bis 20. März 2024 an der TU Ilmenau kommen 20 Doktorand*innen, Wissenschaftler*innen sowie Forschende aus der Industrie aus ganz Europa und den USA zusammen, um sich mit den vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten der Mikrofluidik vertraut zu machen. Der „Short Course on Practical Microfluidics“ findet zum dritten Mal an der TU Ilmenau statt und wird von Prof. Christian Cierpka, Fachgebietsleiter Technische Thermodynamik an der Fakultät für Maschinenbau, geleitet.  

Personen mit Kittel und Handschuhen in einem Labor TU Ilmenau/Barbara Aichroth
André Girão (Mitte) und Seth Rowland-Crosby (links) mit Dr. Jialan Cao-Riehmer im Laborkurs zur tropfenbasierten Mikrofluidik im Rahmen des „Short Course on Practical Microfluidics“ an der TU Ilmenau.

„Ziel unseres Lehrgangs ist es, den Teilnehmenden eine praktische Einführung in die vielfältigen Anwendungsgebiete der Mikrofluidik zu geben und ihnen die oft erstaunlichen Effekte zu erklären, durch die sich die Mikrofluidik in vielen Situationen völlig von der makroskopischen Welt unterscheidet“, so Cierpka. Als Teilgebiet der Strömungsmechanik beschäftigt sie sich damit, kleinste Mengen Flüssigkeit oder Gas zu transportieren – durch Kanäle und Netzwerke mit einem Durchmesser von unter 100 Mikrometern, das heißt dünner als ein Haar –, aber auch damit, sie voneinander zu trennen, zu mischen oder anderweitig zu verarbeiten.

Schlüsseltechnologie für viele High-Tech-Anwendungen

Für ihre Grundlagenforschung und deren Anwendungen machen sich die Ingenieurwissenschaften dabei das Vorbild der Natur zunutze. So gelangt beispielsweise auch das Wasser in einem Baum über winzige Kanäle und Kapillarkräfte aus dem Boden über die Wurzel bis in die Blattspitze: „Schon jetzt begegnen uns in unserem Alltag überall Anwendungen solcher mikrofluidischer Systeme, vom Tintenstrahldrucker bis hin zum Schwangerschaftstest, und die Technologie ist der Schlüssel für viele High Tech-Anwendungen – ob in der Umweltanalytik, der Materialforschung, der Lebensmitteltechnologie oder zur Diagnose und Therapie von Krankheiten“, so Prof. Christian Cierpka. So lassen sich beispielsweise mithilfe mikrofluidischer Systeme Patienten auf Krebszellen testen oder über Mikropumpen mit Insulin oder Schmerzmitteln versorgen. Auch können sie eingesetzt werden, um schädliche Chemikalien im Erdreich aufzudecken.

Im Kurzlehrgang zur Mikrofluidik gaben Prof. Christian Cierpka, Prof. Steffen Strehle, Prof. Hartmut Witte sowie Dr. Alexander Groß von der TU Ilmenau, Prof. Steffen Hardt von der TU Darmstadt, Prof. Massimiliano Rossi von der Universität Bologna sowie Lars Dittrich von der 5 microns GmbH Einführungen in die Grundlagen der Mikrofluidik sowie angrenzender Disziplinen, die mikrofluidische Phänomene nutzen: die Mikrosystemtechnik, die Biomikrofluidik, die tropfenbasierte Mikrofluidik, die Elektrokinetik, die Strömungscharakterisierung und die Mikrofabrikation. Um die Teilnehmenden in die Lage zu versetzen, ihre eigenen mikrofluidischen Systeme zu bauen, erhielten sie außerdem einen theoretischen Überblick über Herstellungstechniken wie die Fotolithografie und das Design von speziellen Chips, die in mikrofluidischen Systemen zur Anwendung kommen, aber auch über verschiedene optische Methoden wie die Particle Image Velocimetry (PIV), die Particle Tracking Velocimetry (PTV) und dreidimensionale Techniken.

Die theoretische Einführung wird durch Praktika in den Laboren der TU Ilmenau ergänzt, in denen die Workshop-Teilnehmenden erste praktische Erfahrungen mit den Techniken zur Messung von Strömungsfeldern in mikrofluidischen Systemen sammeln konnten, ihre eigenen Chips mit Softlithographie bauen, etwas über Datenverarbeitung lernen und eigene Laborarbeiten durchführen. „Durch die Arbeit in kleinen Gruppen mit höchstens vier Personen können wir auch individuelle Bedürfnisse der Teilnehmenden berücksichtigen, und sie haben die Möglichkeit, sich untereinander und mit den Lehrenden intensiv auszutauschen“, so Prof. Christian Cierpka:

Diese kleinen Gruppen machen den Kurs für uns als Veranstalter zwar aufwändig, wurden aber immer wieder als ungeheurer Mehrwert empfunden, weshalb wir auch 2024 die Anzahl der Teilnehmenden beschränken mussten und der Kurs schnell ausgebucht war.

In diesem Jahr nehmen Nachwuchswissenschaftler*innen und Forschende aus Schweden, Portugal, Polen, dem Vereinigten Königreich, Frankreich, Italien, den USA und Deutschland am Kurzlehrgang teil. Einer von ihnen ist Seth Rowland-Crosby, Doktorand im Bioengineering an der Newcastle University.

Ein Großteil meiner Arbeit dreht sich um die Nanofabrikation, das heißt die praktischen Aspekte des Themas wie das Herstellen von Geräten und das Testen, aber ich hatte noch nie eine theoretische Einführung in die Mikrofluidik. Dieser Kurs ist daher eine gute Gelegenheit für mich, auch die theoretische Seite kennenzulernen und mich mit Experten auf diesem Gebiet auszutauschen.

Auch Riccardo Spena aus Florenz, Doktorand bei Procter & Gamble mit besonderem Interesse für regenerative Medizin, Pharmakologie und Tissue Engineering im Gesundheitswesen, das heißt die künstliche Herstellung biologischer Gewebe, um damit kranke Gewebe zu substituieren, hat diese Möglichkeit genutzt: „Wir wollen im Rahmen eines ‚grünen Projekts‘ einige der Elemente, die wir in unseren Prozessen nutzen, durch umweltverträglichere und nachhaltigere Elemente ersetzen.“ André Girão, Postdoc an der Universidade de Aveiro, hat von seinem Kollegen von dem Kurs erfahren:

Ich bin ganz neu auf dem Gebiet und nutze diesen Kurs als Ausgangspunkt für neue Experimente und Werkzeuge, die ich in Zukunft für das Design und die Herstellung von Scaffolds für Tissue-Engineering-Anwendungen nutzen kann.

Gemeinsam mit Dominik Grachala, Dokorand an der AGH University of Krakow in Polen, erkundeten sie am ersten Workshoptag unter anderem den so genannten 2D-Konzentrationsraum in der tropfenbasierten Mikrofluidik. „Die tropfenbasierte Mikrofluidik nutzt Tropfen als Reagenzgläser, um chemische Reaktionen und biologische Prozesse auf kleinstem Raum zu untersuchen“, erklärt Dr. Alexander Groß, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für physikalische Chemie/Mikroreaktionstechnik der TU Ilmenau:

So kann man zum Beispiel durch Strömungen innerhalb der Nanoliter-Tropfen besonders schnell mischen und damit über bestehende Screening-Technologien hinausgehen.

Wie das in der Praxis funktioniert, lernten die Teilnehmenden im Laborkurs bei Dr. Jialan Cao-Riehmer. Als Leiterin der Nachwuchsgruppe Microfluid Biotechnique nutzt sie die tropfenbasierte Mikrofluidik unter anderem, um umweltschonende mikrofluidische Hochdurchsatzverfahren zu entwickeln und so auf Zellen beispielsweise die Wirkung von Medikamenten zu testen, die Wasserqualität zu überwachen, Schadstoffe zu detektieren oder pflanzliche Entwicklungsprozesse passgenau zu steuern und zu beschleunigen. In einem weiteren Laborpraktikum demonstrierte Dr. Jörg König, wissenschaftlicher Mitarbeiter und Leiter des Mikrofluidiklabors am Fachgebiet Technische Thermodynamik, die Arbeit mit einem Mikromischer, der es basierend auf akustischen Oberflächenwellen erlaubt, Flüssigkeiten in Mikrokanälen schnell zu durchmischen und Partikel oder Zellen wie beispielsweise Krebszellen nach ihren Eigenschaften wie Größe, Kompressibilität und Dichte zu trennen – ein Forschungsschwerpunkt in der Mikrofluidikgruppe des Fachgebiets.

Einblicke in High-Tech-Fertigungstechniken im Zentrum für Mikro- und Nanotechnologien

Neben diesen Laborpraktika und Vorträgen erhielten die Doktoranden und Doktorandinnen auch Einblick in High-End-Fertigungstechniken im Zentrum für Mikro- und Nanotechnologien, der mit 1.200 m² Fläche über den größten zusammenhängenden universitären Reinraum Europas verfügt. Hersteller von Geräten und Messtechnik für die Mikrofluidik informierten zudem über neueste High-Tech-Produkte wie die Mikropumpe E-PunCh. Die von der 5microns GmbH in Zusammenarbeit mit dem Fachgebiet Technische Physik entwickelte chipintegrierte, energieeffiziente und kostengünstige Mikropumpe kommt ohne mechanische Komponenten wie Klappen und Membranen aus und ermöglicht es, kleinste Flüssigkeitsmengen in der Größenordnung einiger Nanoliter zu dosieren, beispielsweise für die Umweltanalytik, die Medizintechnik oder die Automobilindustrie.

Unmittelbar im Anschluss an den Workshop findet an der TU Ilmenau der 12. „Workshop of Chemical and Biological Micro Laboratory Technology“ statt, der internationale Forschende auf dem Gebiet der Mikrofluidik und angrenzender Disziplinen zusammenzubringt, um ihre Erfahrungen und Forschungsergebnisse miteinander zu teilen.

Wir freuen uns, auch dieses Jahr wieder zahlreiche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den USA, Schweden, Frankreich und Deutschland als Keynote Speaker an der TU Ilmenau begrüßen zu dürfen.

Kontakt

Prof. Christian Cierpka

Leiter Fachgebiet Technische Thermodynamik