Forschung

Innovativer Zugfunk für automatisierten Schienenverkehr

Ein fünfköpfiges Forscherteam der TU Ilmenau hat in einem soeben abgeschlossenen Forschungsprojekt am Thüringer Innovationszentrum Mobilität erstmals erfolgreich das Abstrahlverhalten von Antennen auf Lokomotivdächern an einem maßstabgetreu verkleinerten Modell studiert und so einer Messung in Laboren zugänglich gemacht. Dies eröffnet Ingenieurinnen und Ingenieuren in Forschung und Entwicklung einen einfachen Weg, Antennen für innovative Zugfunksysteme im automatisierten Schienenverkehr zu entwickeln und zu optimieren, die den zukünftigen Bahnfunkstandards entsprechen. Das Projekt discoRAIL „Digital services connected rail traffic“ – deutsch: Digital vernetzter Schienenverkehr – wurde für die Funkwerk Systems GmbH in Kölleda innerhalb von anderthalb Jahren umgesetzt.

Mann mit Notebook zeigt auf Zugmodell TU Ilmenau/ari
Dr. Tobias Nowack (links) und M.Sc. Ehtisham Asghar bei der Einrichtung von Referenzantennen auf dem maßstabgetreuen Lokomotivmodell in VISTA – Virtuelle Straße Simulations- und Testanlage am Thüringer Innovationszentrum Mobilität

Mit der Einführung neuer Funktechnologien und des FRMCS-Standards – kurz für Future Railway Mobile Communication System –, der zweiten Generation eines einheitlichen europäischen Digitalfunks für den Eisenbahnbetrieb, der in den kommenden Jahren schrittweise den heutigen digitalen Betriebsfunk GSM-R (Global System for Mobile Communications-Rail) ablösen und das 5G-Zeitalter für Zugfunk einläuten wird, entstehen neue Anwendungen im automatisierten und vernetzten Schienenverkehr, für die optimale Antennenlösungen erforscht und getestet werden müssen. Die Antennen hochpräzise zu vermessen und zu optimieren, ist dabei der Schlüssel zu einer sicheren und robusten Funkkommunikation und Signalisierung. Bevor die Antennen in der Praxis eingesetzt werden können, müssen sie jedoch in ihrem endgültigen Einbauzustand getestet werden, idealerweise in echofreien Messumgebungen wie der abgeschirmten Absorberkammer VISTA – Virtuelle Straße Simulations- und Testanlage – am Thüringer Innovationszentrum Mobilität. Die schiere Größe von Lokomotiven macht Tests in solchen Forschungslaboren aber praktisch unmöglich. Die Idee der Ilmenauer Forscher zur Lösung dieses Problems: der maßstabgetreue Nachbau eines Lokomotiv-Modells.

Zahl und Qualität der auf den Lokomotiven erforderlichen Antennen steigt rapide

„Der weltweite Bedarf an Schienenverkehr für Personen und Güter wächst rasant, nicht zuletzt auch angesichts der ambitionierten Klimaziele der EU, und das Personen- und Frachtaufkommen wird sich bis 2050 mehr als verdoppeln", erklärt Projektleiter Professor Matthias Hein: „Die Anforderungen der Bahnbetreiber, der Bedarf nach sicherer Kommunikation und Signalisierung, sowie der Wunsch nach einer vernetzten Umgebung an Bord lassen die Zahl und Qualität der dafür auf den Lokomotiven erforderlichen Antennen zudem rapide steigen.“ Bevor die Antennen in der Praxis eingesetzt werden können, muss ihre Funktion bewertet und abgesichert werden. Das Chassis der Lokomotive beeinflusst die Abstrahleigenschaften der Antennen allerdings so erheblich, dass der Test der Funkantennen im Einbauzustand, das heißt zusammen mit der Lokomotive, durchgeführt werden muss.

Das in der ThIMo-Kernkompetenz „Funk- und Informationstechnik“ angesiedelte Forscherteam des Fachgebiets Hochfrequenz- und Mikrowellentechnik hat nun erstmals im Rahmen des Projekts discoRAIL eine Studie an einem maßstabgetreu verkleinerten Lokomotivmodell durchgeführt, das dieselbe Form und dieselben Aufbauten wie die betrachtete Baureihe hat. Im Vergleich zur bisherigen Forschung an Kfz-Antennen mussten die Forscher dabei neue Herausforderungen bewältigen, da Lokomotivdächer wesentlich größer und komplexer als Autodächer aufgebaut sind und sich von ihnen beispielsweise durch ihre gestufte Dachform, Stromabnehmer oder Isolatoren unterscheiden. Die computer-simulierten und danach messtechnisch untersuchten Testszenarien im Rahmen des Projekts wiesen daher Pilotcharakter auf. So wurden unter anderem dreidimensionale Strahlungsdiagramme des im Maßstab 1:3 skalierten Modells bei Frequenzen zwischen 2100 MHz und 7800 MHz in VISTA untersucht, die realen Betriebsfrequenzen zwischen 700 MHz und 2600 MHz entsprechen.

Ausgezeichnete Korrelation zwischen Messung und Simulation

Wie von den Forschern erwartet, zeigten sich mit zunehmender Frequenz immer stärker ausgeprägte Einflüsse der verschiedenen Dachgeometrien, Aufbauten und Montagepositionen auf die Strahlungsdiagramme. Diese Testergebnisse am maßstabsgetreuen Modell verglichen die Forscher anschließend mit elektromagnetischen Simulationen der Originalvariante. Das Ergebnis: eine ausgezeichnete Korrelation zwischen Messung und Simulation von mehr als 98 %. Projektleiter Matthias Hein:

Damit haben wir uns nicht nur die Straße, sondern auch die Schiene ins Funklabor geholt und der Zukunft der Mobilität eine weitere Dimension gegeben.

Auch die Funkwerk Systems GmH ist mit der systematischen Auswertung der Studie höchst zufrieden, da sie den Entwurf neuartiger Zugantennen ermöglicht. Prof. Hein: „Solche Messungen ebnen den Weg für kommende Zugfunkstandards mit ihren hohen Sicherheitsanforderungen sowie innovative Anwendungen zum Schutz und Nutzen von Fahrgästen, Fracht und Betreibern.“

Nähere Informationen zur Forschung im ThIMo-Kernkompetenzfeld Funk- und Informationstechnik sowie am Fachgebiet Hochfrequenz- und Mikrowellentechnik unter www.mobilitaet-thuerigen.de und www.tu-ilmenau.de/hmt/.

Univ.-Prof. Dr. rer. nat. habil. Matthias A. Hein

Direktor Thüringer Innovationszentrum Mobilität / Leiter Fachgebiet Hochfrequenz- und Mikrowellentechnik