Forschung

Quantum Hub Thüringen: TU-Forscher entwickeln Internet der Zukunft

Ob in der Medizintechnik, der Energieversorgung oder beim Online-Banking: Quantensysteme machen viele Anwendungen präziser, effizienter und sicherer und gelten daher als Technologie der Zukunft. Auch die Thüringer Forschung und Industrie möchte Quantentechnologien verstärkt nutzen. Um wissenschaftliche Erkenntnisse auf diesem Gebiet zu bündeln, hat sich die TU Ilmenau dem Quantum Hub Thüringen angeschlossen. Im Interview erklären die Projektverantwortlichen Professor Jens Müller und Professor Hannes Töpfer, wie die TU Ilmenau ihr Ingenieur-Know-how dazu nutzt, quantenbasierte Anwendungen von morgen mit zu entwickeln.

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Quanten sind kleinste Licht- und Energiebausteine. Was kann man unter Quantentechnologien verstehen?

Prof. Jens Müller: Das Prinzip der Quantentechnologie beruht auf der kleinsten Änderung einer physikalischen Größe. Diese Technologie bietet die Möglichkeit, sehr energiearm Informationen zu transportieren beziehungsweise nutzt diese kleinsten Zustandsänderungen, um beispielsweise sehr empfindliche Sensorik zu bauen.

Was haben Quantentechnologien herkömmlichen Systemen voraus?

Prof. Hannes Töpfer: Ein Sensor nimmt eine physikalische Größe auf und überführt es in ein elektrisches Signal. Das kennt man zum Beispiel vom elektronischen Fieberthermometer. Diese Skalen sind grob und eignen sich für den Hausgebrauch. Wenn wir zu fortgeschrittener Technik gehen wollen, wie sie etwa in der Medizintechnik eingesetzt wird, brauchen wir empfindliche Sensoren - Sensoren, die Quantenprinzipien nutzen. Man kann auf einmal in Bereiche vordringen, die vorher nicht zugänglich waren: Im Organismus, ohne den Körper zu öffnen, Prozesse erkunden, die vorher nicht einsehbar waren und damit Krankheitsbilder diagnostizieren, die beispielsweise mit einem EKG oder anderen bildgebenden Verfahren nicht einsehbar sind.

Ein weiteres Beispiel: Am Leibniz IPHT in Jena wurden Strahlungssensoren entwickelt, die auf Quantenbasis arbeiten. Diese können bei Kontrollen in Flughäfen eingesetzt werden. Prototypisch ist es gelungen zu zeigen, dass man ohne den Körper zu bestrahlen, detektieren kann, ob sich künstliche Gegenstände unter der Kleidung befinden. Dieser Effekt geht zurück auf Max Planck, der die Schwarzkörperstrahlung untersucht hat. Die Geoexploration ist ein weiterer Anwendungsbereich für technische Diagnostik auf Quantenbasis. Unsere Projektpartner arbeiten an Systemen, um aus der Luft heraus Bodenschätze zu ergründen. Diese Beispiele zeigen, dass Quantentechnologien keine Science Fiction sind, sondern bereits heute prototypisch funktionieren. Wir arbeiten daran, dass die Technologien außerhalb des Labors anwendbar und zum Alltag werden.

Das bedeutet, Quantentechnologien machen Geräte präziser und leistungsfähiger?

Prof. Jens Müller: Es handelt sich nicht um die Fortführung eines technischen Stands oder die Weiterentwicklung konventioneller Verfahren. Hier wird eine neue Qualität erreicht. Man kann jetzt zum Beispiel Analysen in Wellenlängenbereichen vornehmen, die man vorher so nicht machen konnte: Dinge werden mit Hilfe von Bildgebung sichtbar gemacht, in der Medizin können Zelluntersuchungen vorgenommen werden, die man in diesem Wellenlängenbereich besser machen kann.

Prof. Hannes Töpfer: Es ist ein bisschen wie bei der Mission von Raumschiff Enterprise: Man kann dort hingehen, wo niemand vorher war. Wir dringen in Bereiche vor, in die man mit normalen Technologien nicht hinkommt. Es ist, als ob man hinter einen Vorhang schauen kann.

Mit Ihren Forschungsarbeiten tragen Sie zur Entwicklung des so genannten Quanteninternets bei. Was kann man sich darunter vorstellen und warum wird dieses entwickelt?

Prof. Hannes Töpfer: Wir nutzen alle den Computer und wissen, dass die Kommunikation prinzipiell nicht sicher ist. Banktransfers sind ein gutes Beispiel, wie sensibel Daten sein können. Um diese wesentlich sicherer zu machen, kommt das Quanteninternet ins Spiel: Dabei nutzt man die Eigenschaft, dass man mit geringen Energiemengen Daten überträgt. Wenn jemand sich in dieses System hackt, wird dadurch die Verbindung sofort unterbrochen. Seit vielen Jahren gibt es Visionen, sensible Daten auf diese Weise zu kommunizieren, weil bewiesen ist, dass dieses System abhörsicher ist. Für viele Bereiche, zum Beispiel die Medizin oder die Wirtschaft, sind solche Sicherheitsgefahren relevant genug, um das Quanteninternet einzusetzen. Nun sind unter anderem Ingenieure der TU Ilmenau gefragt, diese Technologie zum Einsatz zu bringen.

Warum ist dieses Quanteninternet derzeit vor allen eine ingenieurwissenschaftliche Aufgabe?

Prof. Jens Müller: Das grundlegende Prinzip der Quantenkommunikation ist bereits geklärt. Eine Punkt-zu-Punkt Übertragung auf kurze Distanz funktioniert schon. Gehen wir jedoch auf größere Distanzen, kommt ein weiterer Faktor dazu: Es findet bei der Signalübertragung eine Dämpfung statt. Wir arbeiten mit kleinsten Energiemengen und diese gehen im Rauschen unter. Wir brauchen einen Mechanismus, die Verschlüsselungsinfos aufzufrischen, um damit über eine entsprechend lange Distanz zu gehen. Dieses Vorhaben muss Hardware-technisch untersetzt werden. Wir wollen an der TU Ilmenau Mikrosysteme bauen, die man z.B. in einem Kommunikationssatelliten einsetzen kann. Dieser gewährleistet eine sichere Datenübertragung.

Prof. Hannes Töpfer: Man muss diese Lichtteilchen, präziser: Photonen, die übertragen werden, erst einmal feststellen. Man braucht dafür einen Empfänger. Das ist in der Physik gelöst und wir arbeiten daran, diese empfangenen Signale zu verstärken, sodass sie auf einen vernünftigen Pegel kommen, damit sie weitertransportiert werden können. Im Labor konzipieren wir solche Verstärkerschaltungen mit Quantenbauelementen, die diese Teilchen detektieren und verstärken können. Mit unserer Grundlagenforschung können wir wesentliche Durchbrüche erreichen.

Warum ist das Know-how der TU Ilmenau auf diesem Gebiet so relevant?

Prof. Hannes Töpfer: Wir sind im globalen Wettbewerb mit unseren Erkenntnissen sehr weit vorne und haben viel Erfahrung, die wir in das Quantum Hub einbringen. Bereits seit 1969 arbeiten TU Ilmenau-Wissenschaftler an der Umsetzung von physikalischen Wirkprinzipien, konkret an Quantenschaltungen in elektronischen Bauelementen - damals mit dem Ziel, energieeffiziente Mikroelektronik zu bauen, später hocheffiziente Quantensensorik zu entwickeln. Seit 1989 tragen wir auf eine Weise dazu bei, dass in fast allen führenden Gruppen in Europa unsere Spur hinterlassen worden ist. Wir haben maßgebliche Berechnungsgrundlagen auf den Weg gebracht, die in allen wichtigen Laboren zum Einsatz gekommen sind. Mit von uns mitentwickelte Quantenelektronik mit Superleitern ist europaweit etabliert. Seit 20 Jahren halten wir zudem alle zwei Jahre einen international besuchten Trainingsworkshop ab, um Menschen auf diese Technologie vorzubereiten. Wir sind gut vernetzt: Ich bin im Vorstand einer europaweiten Technologievereinigung, die sich mit diesen Quantenbausteinen befasst. Wir sind seit Jahren auf dem Gebiet fit und ein international anerkannter Partner. 

Auch in der Energieversorgung mit erneuerbaren Energien bietet die Quantentechnologie vielversprechende Perspektiven ...

Prof. Hannes Töpfer: In diesem Zusammenhang wird das Quantencomputing eingesetzt. Dabei werden mit Quantenobjekten mathematische Modelle umgesetzt, die einen ganz anderen Zahlenraum eröffnen, als wir das aus der Mathematik in der Schule oder im Studium kennen. Die sogenannte Verschränkung, die Tatsache, dass Quantenteilchen miteinander in Beziehung stehen, lässt den Datenraum bildlich explodieren. Viele Aufgaben, die im Alltag schwer zu bewältigen sind, können mithilfe des Quantencomputings gelöst werden. Die Energieverteilung gehört dazu. Einspeisestellen aus Windparks oder Solarparks führen zu einem Verteilproblem, die man mathematisch nicht effektiv lösen kann. Wie kann man Energie optimal dort bereitstellen, wo sie gebraucht wird – das ist eine enorm anspruchsvolle mathematische Aufgabe, die mit Hilfe der besonderen Fähigkeiten des Quantencomputers bewältigt werden kann. Ein Menschheitsproblem würde dann auf einmal lösbar, das bisher nur befriedigend bewältigt wird.

Welche Ziele haben Sie sich im Quantum Hub Thüringen gesetzt?

Prof. Hannes Töpfer: In Thüringen haben wir bereits sehr gute Beispiele, wie man die Quantentechnologie kommerzialisieren kann. Zum Beispiel greift die Firma Supracon aus Jena aus dem Bereich Messtechnik Forschungserkenntnisse auch aus Thüringen auf und ist dadurch in der Lage, den Markt mit Quantensensoren für hochpräzise Messsysteme zu versorgen. Durch den Verbund von elf Partnern bekommt die Überführung von Forschungserkenntnissen in Produkte einen neuen Schub. Thüringen verfügt über die Wertschöpfungsketten, um das Know-how für wertige Lösungen und Produkte zu nutzen. Viele Betriebe werden von unseren Forschungsergebnissen profitieren.

Prof. Jens Müller: Thüringen wird als Sensorland bezeichnet, weil viele Unternehmen in diesem Bereich tätig sind. Wir sehen ein großes Potenzial in der Anwendung hochpräziser Sensoren auf Basis von Quantentechnologien. Mit unserer Forschung wollen wir Grundlagen dafür schaffen und aufzeigen, wie diese angewendet und in Produkte integriert werden können. Das ist die Stärke der TU Ilmenau im Hub-Verbund: Die Systemintegration, sprich die Umsetzung der Forschungserkenntnisse. Als Forschungsstandort wollen wir zudem eine internationale Sichtbarkeit erreichen, um größere Mittel für die Finanzierung unserer Forschung zu akquirieren und darauf aufbauend noch mehr Forschung in diesem Bereich zu betreiben. Davon profitiert wiederum die regionale Industrie.

Prof. Hannes Töpfer: Wir haben alle nur einen Gewinn, wenn diese Technologie zur Anwendung kommt und für alle bedienbar ist. Zu den ersten Anwendern wird sicherlich medizinisches Personal gehören, später werden diese Produkte jedoch allen zugänglich sein. Wir als Ingenieure haben die Aufgabe, diese Bedienbarkeit und Langlebigkeit dieser Produkte sicherzustellen. Wenn der physikalische Effekt einmal steht, geht unsere Arbeit richtig los.

Wann könnten Quantentechnologien in unseren Alltag Einzug erhalten?

Prof. Jens Müller: Es sind bereits Dinge auf dem Weg, die bisher aber nur punktuell funktionieren. Wenn ausreichend viel Geld in die Forschung investiert würde, könnte das sehr schnell passieren.

Prof. Hannes Töpfer: Ich teile diese Meinung. Das kann durchaus schnell gehen. Viele Unternehmen haben die Zeit in der Corona-Pandemie genutzt und ihre Algorithmen auf Quantenaspekte umgestellt. Die Anwender bereiten sich schon vor und das ist ein sehr positives Zeichen, das wir lange im Bereich der Hochtechnologien nicht gespürt haben. Hinzu kommt der Druck des internationalen Wettbewerbs. Viele Firmen investieren hohe Mittel in diese Technologie. Da die Wertschöpfungskette zwischen Forschungserkenntnissen und Umsetzung dieser in Unternehmen in Thüringen bereits sehr gut funktioniert, sehe ich positiv in die Zukunft.

Das Interview führte Eleonora Hamburg

 Zahlen und Fakten zum »Quantum Hub Thüringen«

  • Laufzeit: 05/2021 - 12/2023
  • Volumen: 6 Millionen Euro
  • Fördermittelgeber: Thüringer Ministerium für Wirtschaft, Wissenschaft und digitale Gesellschaft
  • Forschungssäulen: Quantenkommunikation, Quantensensorik, Quantenbildgebung
  • Beteiligte: FSU Jena; TU Ilmenau; Helmholtz-Institut Jena; Leibniz-Institut für Photonische Technologien Jena; DLR-Institut für Datenwissenschaften Jena; Fraunhofer-Institut für Digitale Medientechnologie Ilmenau; Fraunhofer-Institut für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung, Institutsteil für Angewandte Systemtechnik Ilmenau; Fraunhofer-Projektzentrum für Mikroelektronische und Optische Systeme für die Biomedizin Erfurt, IMMS Institut für Mikroelektronik- und Mechatonik-Systeme gemeinnützige GmbH Ilmenau; CiS Forschungsinstitut für Mikrosensorik GmbH Erfurt
 

Kontakt

Prof. Jens Müller

Ko-Sprecher des Quantum Hubs Thüringen, Vizepräsident für Internationale Beziehungen und Transfer, Leiter Fachgebiet Elektroniktechnologie

Prof. Hannes Töpfer

Projektleiter der TU Ilmenau für Quantensensorik, Leiter Fachgebiet Theoretische Elektrotechnik