Forschung

„Unser Land war nicht so gut aufgestellt, wie wir gedacht haben“

Dr. Martin Löffelholz ist Professor für Medienwissenschaft an der TU Ilmenau und beschäftigt sich seit Anfang der 1990er-Jahre mit der Kriegs- und Krisenkommunikation. Derzeit ist er an zwei Forschungskonsortien zur öffentlichen Kommunikation in der Corona-Pandemie beteiligt. Im Interview mit UNIonline spricht er über seine Motivation und die Ziele seiner Forschungen.

Herr Prof. Löffelholz, Ihr Fachgebiet genießt international hohes Ansehen auf dem Gebiet der Krisenkommunikation. Sie haben dazu zahlreiche Projekte bearbeitet und 2002 eine internationale Forschungsgruppe gegründet. Was war der Anlass für diesen Schritt?

Mit Kriegs- und Krisenkommunikation beschäftige ich mich seit dem zweiten Golfkrieg, also seit 1991. Ich hatte als junger Nachwuchswissenschaftler die Aufgabe, einen Vortrag zu einem anderen Thema zu halten. Als der Krieg im Irak im Januar 1991 begann, bat mich mein damaliger Chef aufgrund der enormen öffentlichen Aufmerksamkeit und meines journalistischen Hintergrundes, einen Vortrag zum Thema Krieg und Medien zu halten. Seitdem hat mich das Thema nicht mehr losgelassen.

Welche Erfahrungen konnten Sie vor Ihrer akademischen Laufbahn als Journalist sammeln?

Ich war als junger Journalist einige Monate in Sri Lanka und bin dort 1983 in den beginnenden Bürgerkrieg geraten. Ich war gerade eine Woche vor Ort, statt auszureisen habe ich mich jedoch entschieden, zu bleiben. Dadurch konnte ich unmittelbare Erfahrungen in einer extrem schwierigen Berichterstattungssituation sammeln. Seither hat mich dieses Thema nicht mehr losgelassen, und mit der Berufung an die TU Ilmenau habe ich einen Forschungsschwerpunkt darauf ausgerichtet. Das hat nicht zuletzt damit zu tun, dass wir oft erst in existenziell bedrohlichen Situationen erkennen, wie widerstandsfähig Organisationen oder Menschen sind. Wir können also aus der Analyse von Krisensituationen Schlussfolgerungen ableiten, welche uns helfen, unser Alltagsleben oder auch Organisationen zu verbessern.

Eines Ihrer aktuellen Projekte, „MIRKKOMM", untersucht die Krisenkommunikation von Gesundheitseinrichtungen und -behörden vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie – gefördert vom Bundesforschungsministerium. Worin besteht hier der Forschungsbedarf?

Wir sehen, dass die Zahl der Geimpften in Deutschland nicht auf dem Niveau ist, welches wir bräuchten, um die Pandemie zu beenden. Im ersten Jahr der Pandemie war das zwar noch nicht das Thema, weil es damals vor allem um Maßnahmen des Selbstschutzes ging. Aber mit der Möglichkeit zur Impfung entstand die Frage, warum sich manche nicht impfen lassen wollen und was aus staatlicher Sicht getan werden kann, um die Impfquote zu erhöhen.Der Forschungsbedarf besteht also einerseits darin, herauszufinden, mit welchen kommunikativen Maßnahmen im ersten Pandemie-Jahr versucht wurde, die Bevölkerung zu selbstschützendem Verhalten zu animieren. Zweitens wollen wir untersuchen, mit welchen kommunikativen Maßnahmen im zweiten Jahr der Pandemie versucht wurde, die Bevölkerung zum Impfen zu bewegen.

Was versprechen Sie sich davon?

Zum Abschluss des Forschungsprojektes werden wir einen Empfehlungskatalog erarbeiten, damit in künftigen Großkrisen, nicht nur in Pandemien, der staatliche Apparat besser agieren kann. Die Besonderheit des Projekts liegt darin, dass wir dabei alle drei staatlichen Ebenen einbeziehen, d.h. die nationale Ebene, die Bundesländer und die Kommunen. Das ist wichtig, weil die Kommunen und örtlichen Gesundheitsämter für die konkreten Maßnahmen verantwortlich sind. Dazu gibt es aber bislang kaum wissenschaftliche Arbeiten. Deshalb ist dieses ein innovatives und gleichzeitig anwendungs- und praxisorientiertes Forschungsprojekt.

Aus welchem Grund wollen Sie bei diesem Forschungsprojekt mitwirken?

Ich habe mich in den vergangenen Jahren bereits in anderen Projekten mit der Krisenkommunikation staatlicher Institutionen beschäftigt, unter anderem mit den Medien-Beziehungen von Bundeswehr und US-Streitkräften. Wir haben dabei Erfahrungen mit der Analyse von Großorganisationen gesammelt, die wir beim aktuellen Projekt anwenden können. Daneben gibt es persönliche Gründe, da ich in meinem Umfeld diverse kommunikative Probleme erlebt habe. Als professioneller Beobachter von Kommunikation habe ich zudem schon in der Frühphase der Pandemie gesehen, dass es verschiedene Defizite gibt. Unser Land war nicht so gut aufgestellt, wie wir dies vielleicht anfangs gedacht haben, als die Infektionszahlen noch relativ niedrig waren. Mit unserer anwendungsorientierter Forschungsarbeit können wir dafür sorgen, dass bei künftigen Großkrisen Menschenleben durch verbesserte Kommunikation besser geschützt werden.

Ihre Forschungsvorhaben vereinen viele Partner aus der Wissenschaft und der Praxis, sogar internationale Forscher sind eingebunden. Wie wichtig ist diese Vernetzung?

Die Vernetzung spielt eine große Rolle: Die internationalen Partner sind bei MIRKKOMM als als externes Beratergremium beteiligt. Sie helfen uns zu schauen, wo wir stehen, geben uns Anregungen aus ihrer jeweiligen Forscher*innenperspektive und dienen somit als Ideenbörse und gleichzeitig als eine Form der Qualitätssicherung. Außerdem ist die Vernetzung wichtig, weil jeder Forscher seine eigenen Schwerpunkte hat. Beispielsweise haben wir mit Professor Hans-Jürgen Bucher vom KIT (Karlsruher Institut für Technologie), einen Spezialisten für das multimodale Erzählen dabei. Er beschäftigt sich mit der Frage, wie Rezipienten die angebotenen Informationen wahrnehmen, wo Defizite sind und wie man künftig mit einer stärkeren Visualisierung von Informationen zusätzliche Rezipientengruppen erreichen kann. Ein weiterer Partner ist das Bundesinstitut für Risikobewertung in Berlin, welches über eine große Zahl von Kontakten in Behörden verfügt und auch deshalb nützlich ist.

Was sind dabei die Aufgaben der TU Ilmenau?

Wir führen zunächst eine Leitfadenbefragung von Regierungsvertretern durch. Damit wollen wir herausfinden, welche Faktoren relevant für die Kommunikation in und über die Pandemie waren und welche Probleme dabei aufgetaucht sind. Der zweite Schritt bezieht sich auf die Analyse relevanter staatlicher Dokumente. Wir erforschen dabei, welche Rolle entsprechende Handlungsanleitungen zur Kommunikation hatten und wie man sie künftig optimieren kann. Mit einer zweiwelligen repräsentativen Befragung von Kommunen analysieren wir schließlich, welche Erfahrungen Bürgermeister*innen und Gesundheitsämter in der Pandemie gemacht haben und wie die Kommunikation über Großkrisen in Zukunft verbessert werden kann.

Wie laufen die Vorbereitungen für das Projekt ab?

In Kürze beginnt die Leitfadenbefragung von Vertreter*innen der Bundesregierung, der Bundesländer und kommunaler Behörden. Dafür haben wir einen umfangreichen Fragebogen erstellt. In einem zweiten Forschungsprojekt, dem von der DFG geförderten DECIPHER-Konsortium, führen wir ebenfalls eine Leitfadenbefragung durch, jedoch in international vergleichender Perspektive. Einbezogen werden neben Deutschland fünf europäische Länder – Großbritannien, Italien, Niederlande, Schweden, Spanien – sowie die USA. Unterstützt werden wir dabei von Krisenkommunikationsforschern aus den entsprechenden Ländern, die von der DFG als sogenannte Mercator Fellows gefördert werden und im Juni als Gastprofessoren an der TU Ilmenau sein werden.

Wie geht es weiter?

Als nächstes werden wir uns im MIRKKOMM-Projekt mit den Analyseinstrumenten für die Dokumentenanalyse beschäftigen. In der zweiten Jahreshälfte wird dann der Fragebogen für die repräsentative Befragung der Kommunen vorbereitet.

Können sich Studierende beteiligen?

Ja, wir haben bereits mehrere studentische Assistentinnen und Assistenten in beiden Projekten eingestellt. Darüber hinaus bieten wir Forschungsseminare im Bachelor- und Masterstudiengang zu den entsprechenden Themen an.

Das Interview führte Celine Ehret