Forschung

Automatisiertes Fahren: Wissenschaftler testen Radarsensoren in virtueller Umgebung

Fahrzeuge werden im Straßenverkehr zugelassen, nachdem sie durch umfangreiche Fahrtests auf ihre Verkehrssicherheit geprüft wurden. Für automatisiert fahrende Autos müssen hingegen erst noch geeignete Test- und Zulassungsverfahren entwickelt werden. Im deutsch-japanischen Forschungsprojekt VIVID hat ein Forschungsteam der TU Ilmenau gemeinsam mit einem großen Projektkonsortium verschiedene Szenarien im Straßenverkehr in einer virtuellen Umgebung erprobt und Radarsensoren zur Erfassung der Umgebung getestet. Ihre Forschungsergebnisse werden nun durch namhafte Automobilkonzerne verwertet und tragen zur Entwicklung des automatisierten vernetzten Fahrens bei.

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Das automatisierte Fahren in Deutschland ist derzeit nur eingeschränkt möglich. Wissenschaftler der TU Ilmenau wollen das durch ihre Beiträge zu einem szenarienbasierten Testen ändern.

Einsteigen, zurücklehnen, losfahren – dieses Fahrerlebnis bieten hochautomatisiert fahrende Autos. Auch wenn die technischen Voraussetzungen gegeben sind ist das hoch- und vollautomatisierte Fahren in Deutschland je nach Automatisierungsgrad nur in dazu passenden Verkehrsumgebungen zugelassen. Ein Grund: die Gewährleistung der Fahrsicherheit. Bevor die selbstfahrenden Autos am Straßenverkehr teilnehmen dürfen, müssen Automobilherstellfirmen ihre Sicherheit nachweisen.

Klassische Fahrtests, bei denen Testfahrende die Autos über Millionen von Kilometern auf Herz und Nieren getestet haben, sind für künftige Generationen automatisierter Fahrzeuge nicht mehr geeignet. Für eine belastbare Abschätzung des Sicherheitsrisikos wären inzwischen Milliarden von Kilometern erforderlich. Stattdessen setzen Standardisierungsgremien und Unternehmen der Automobil- und Zulieferindustrie auf virtuelle Testfahrten. In einer simulierten Verkehrsumgebung prüfen sie die Zuverlässigkeit aller Komponenten der Brems-, Lenk- und Sensorsysteme sowie der automatisierten Fahrfunktionen.

Im Projekt VIVID, kurz für „German Japan Joint Virtual Validation Methodology for Intelligent Driving Systems“, haben Wissenschaftler der TU Ilmenau gemeinsam mit den Partnern AVL List, Blickfeld, Continental, DLR Institut für Verkehrssystemtechnik, IPG Automotive, KIT, Mercedes-Benz sowie der TU Darmstadt und der Hochschule Kempten die Entwicklung einer geschlossenen Simulationskette aus Umgebungsmodell, Sensormodell und Datenübertragung vorangetrieben. Das Forschungsteam am Thüringer Innovationszentrum Mobilität (ThIMo) konzentrierte sich dabei auf die Frage, wie sich die Leistungsfähigkeit und -grenzen von Fahrzeugradaren, wie sie später im Auto verbaut werden, in einer virtuellen Umgebung testen lassen. Radarsensoren gehören zu den essentiellen Komponenten eines automatisiert fahrenden Fahrzeugs für die Umgebungserkennung. Sie erfassen Objekte wie andere Fahrzeuge und zu Fuß Gehende und messen deren Abstand zum Fahrzeug sowie deren Relativgeschwindigkeiten mit höchster Präzision auch unter schwierigen Wetterverhältnissen und bei Nacht.

Auto navigiert durch virtuelle Verkehrsumgebung

Im VIVID-Projekt führte das Forschungsteam die Sensortests mittels der vehicle-in-the-loop-Methode durch, bei der ein reales Fahrzeug durch eine auf dem Computer realistisch nachgebildete Verkehrsumgebung navigiert. Das Team unter der Leitung von Prof. Matthias Hein, Projektkoordinator und Leiter des Fachgebiets Hochfrequenz- und Mikrowellentechnik am ThIMo der TU Ilmenau, testete dabei das Fahrverhalten des Autos in verschiedenen Verkehrssituationen. In der Virtuellen Straße – Simulations- und Testanlage VISTA bildeten die Forscher eine Vielzahl von Szenarien nach – etwa das Auffahren auf ein anderes Auto, Slalomfahrten oder das Erkennen von verlorenen Frachtstücken. Auch die Situation, in der plötzlich eine Person auf die Fahrbahn gerät, gehört zu den besonders kritischen Szenarien, die im Projekt untersucht wurden. Projektleiter Prof. Matthias Hein erklärt, warum VIVID einen bedeutenden Schritt zur weltweiten Angleichung und Standardisierung virtueller Testverfahren darstellt:

Es ist uns gelungenen, Szenarien im Straßenverkehr realitätsnah in einer virtuellen Umgebung abzubilden und diese ohne Risiko zu erproben. Unsere Ergebnisse fließen direkt in die Forschung und Entwicklungsabteilungen namhafter Automobil- und Zulieferfirmen ein. Damit leisten wir einen wichtigen Beitrag für die Entwicklung des automatisierten Fahrens nicht nur in Deutschland, sondern durch die Zusammenarbeit mit den japanischen Partnern sogar weltweit.

Zusammenführung mit weiteren großkalibrigen Projekten

Das deutsch-japanische VIVID-Projekt wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) als eines von vier ausgewählten Forschungsprojekten zum automatisierten und vernetzten Fahren mit 3,33 Millionen Euro gefördert. Mit dem Fokus auf Sicherheit und Validierung haben große Konsortien aus Wirtschaft und Wissenschaft in beiden Ländern drei Jahre lang die virtuelle Verifikation und Validierung von Sensoren für das automatisierte und vernetzte Fahren erforscht und ihre Erkenntnisse ausgetauscht, um diese für die gemeinsame Weiterentwicklung der Technologie zu nutzen. Im japanischen Teilprojekt DIVP waren Toyota Motor Corp., Honda, Nissan, das Kanagawa Institute of Technology, Nihon Unisys, SOKEN, die Mitsubishi Precision Company, SOLIZE Engineering Corp., Sony Semiconductor Solutions Corp., Hitachi Automotive Systems, DENSO Corp., PIONEER Corp., Deloitte und SOLIZE Corp eingebunden. Im Herbst 2023 fand VIVID auf der Mobility Innovation Week in der Wissenschaftsstadt Tsukuba seinen Abschluss, zu der Prof. Hein als einer von rund 25 deutschen Delegierten anreiste, um die Projektergebnisse vorzustellen.

Die Erkenntnisse aus dem Projekt werden nun in der Anschlussinitiative CONTROL des Arbeitskreises SafeTRANS zur Absicherung des automatisierten und vernetzten Fahrens aufgegriffen und gemeinsam mit Ergebnissen aus thematisch verwandten Projekten ausgebaut. Als einer von vielen weiteren führenden Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Wirtschaft setzt Prof. Matthias Hein gemeinsam mit seinem Team sein Know-how dazu ein, sicheres hochautomatisiertes Fahren auf deutschen Straßen baldmöglichst zur Realität werden zu lassen:

Die koordinierte Zusammenführung von VIVID mit großkalibrigen Projekten ist die bestmögliche Verwertung, die man sich als Forscher vorstellen kann. Erst durch solche konzertierten Aktionen können wir die Visionen des fahrerlosen Fahrens ohne Sicherheitsbedenken wahr werden lassen.

Impressionen des VIVID-Projektabschlusses in Tsukuba

Kontakt

Prof.. Matthias Hein

Direktor des Thüringer Innovationszentrums Mobilität