Forschung

„Wir müssen Kreisläufe schließen“

Kunststoffe sind aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Sie begegnen uns in allen Bereichen unseres Lebens, sei es in Lebensmittelverpackungen, im Auto oder in Elektrogeräten. Doch wie sieht es mit der Nachhaltigkeit solcher Produkte aus? Wir haben mit Prof. Florian Puch, Leiter des Fachgebiets Kunststofftechnik und wissenschaftlicher Leiter am Thüringischen Institut für Textil- und Kunststoff-Forschung (TITK) in Rudolstadt, einem An-Institut der TU Ilmenau, über die Herausforderungen und Perspektiven von Kunststoffen in der Kreislaufwirtschaft gesprochen.

TU Ilmenau/Michael Reichel
Professor Florian Puch ist Fachgebietsleiter Kunststofftechnik an der TU Ilmenau und wissenschaftlicher Leiter am Thüringischen Institut für Textil- und Kunststoff-Forschung (TITK) in Rudolstadt, einem An-Institut der TU Ilmenau.

In den 80er Jahren war der Slogan „Jute statt Plastik“ ein geflügeltes Wort, und auch heute denken wir beim Thema Umweltschutz vor allem an Vermeidung von Plastik. Andererseits gilt Kunststoff heutzutage als multifunktionaler, umweltgerechter und nachhaltiger Werkstoff mit einem hohen Innovationspotenzial für Techno­logien einer nachhaltigen Entwicklung. Wie passt das zusammen?

Tatsächlich gibt es Studien, die sagen, dass Mehrwegkunststofftüten, also die in Deutschland verbreiteten dicken Plastiktüten, die jetzt per Gesetzgebung verboten wurden, je nachdem, wie häufig sie wiederverwendet werden, durchaus nachhaltiger sein können als Jute- oder Baumwollbeutel, da für den Anbau von einigen Pflanzen viele Ressourcen wie Wasser oder Flächen verbraucht werden. Da ist die Gesetzgebung ein bisschen über das Ziel hinausgeschossen. Was sinnvoller und zielgerichteter ist, ist das Verbot von Kunststoffeinwegbesteck. Auch da ist aber nicht Holzbesteck, sondern immer Mehrweg die Lösung.

Letztendlich sind Kunststoffe heute unverzichtbar. In der Medizintechnik garantieren sie Hygiene und Sterilität. Aber auch Elektronikanwendungen wie unser Mobiltelefon oder unser Laptop – all das, was wir jeden Tag für garantiert halten und in einer nachhaltigen Zukunft nicht wegdenken – basiert auf Kunststoffen, sei es zur Isolation von Kabeln, in Steckverbindungen oder Gehäusen. Dazu kommen viele nicht sichtbare Teile aus Kunststoff, die eine hohe Funktionsintegration und dadurch die Minimierung des Bauraumes in solchen Anwendungen zulassen. Aber auch in der Baubranche spielen Kunststoffschäume bei der energetischen Isolierung und Sanierung von Gebäuden eine riesige Rolle, damit weniger Energieverluste in der Nutzungsphase auftreten, und gehören ganz klar zu den nachhaltigen Lösungen, die wir brauchen.

Ein gutes Beispiel für die Ambivalenz des Themas sind die Verpackungen: Sie ermöglichen auf der einen Seite, dass Lebensmittel länger haltbar und frisch sind, auf der anderen Seite entsteht dadurch natürlich Verpackungsmüll. Das Wichtigste ist hier, dass Menschen weltweit sensibilisiert werden, auch nach der ersten Lebensphase richtig mit den Verpackungen umzugehen, damit der Kunststoff nicht in die Umwelt gelangt.

Das heißt, damit aus Kunststoffprodukten kein wertloser Müll wird, sondern Wertstoffe ohne schädliche Auswirkungen auf Umwelt und Klima, müssen wir „im Kreis denken“, das heißt diesen Produkten mehr als nur ein Leben ermöglichen und sie wiederverwerten? 

Genau. Wir müssen Kunststoffe sinnvoll einsetzen, das heißt beispielsweise bei Verpackungen Mehrwegsysteme schaffen, wie das beispielsweise beim To-Go-Becher schon geschehen ist. Solche Entwicklungen müssen wir noch mehr befördern. Da steht uns nur zum Teil noch die Gesetzgebung im Weg, weil es nicht so einfach ist, an die Wursttheke unsere Butterbrotdose mitzubringen. Aber in Sachen Mehrfachnutzung und Mehrwegverpackungen können wir viel tun und dürfen Kunststoffe nicht als Billig- oder Wegwerfprodukte betrachten, sondern als wichtigen Rohstoff und Werkstoff.

Es gibt nicht umsonst die Abfallhierarchie, die in der EU propagiert wird, bei der an erster Stelle die Vermeidung von Abfällen steht also die Frage: Brauche ich wirklich die Minitüten Gummibärchen? Dann die Wiederverwendung, also der bereits erwähnte To-Go-Becher. Dann erst kommt das Recycling und schließlich die energetisch-thermische Verwertung und die Beseitigung der Abfälle, also das Deponieren, das in Deutschland beispielsweise schon jetzt nur noch einen verschwindend geringen Prozentsatz ausmacht.

Was muss bei Kunststoffen in der Kreislaufwirtschaft noch bedacht werden?

Wir müssen über andere Nutzungsformen und Geschäftsmodelle nachdenken. Wenn wir darauf verzichten, uns eine Bohrmaschine ins Regal zu legen, mit der wir einmal im Jahr drei Löcher bohren und auf die Bohrmaschine im Quartiers-Werkzeugschuppen zugreifen, kann eine solche Maschine robuster ausgelegt werden, weil es dann nur noch eine Ressource für viele Menschen gibt, die natürlich besser genutzt werden kann. Da haben wir viel Potenzial nach oben auch im Design, um Geräte wieder häufiger verwenden und am Ende zudem recyclen zu können. Das spielt zum Beispiel beim Automobil eine wesentliche Rolle: Wir müssen nicht nur darüber nachdenken, wie bekommen wir das Auto zusammen, sodass es seine Funktion erfüllt, sondern auch, wie bekommen wir nachher die Teile wieder auseinander, sodass wir die einzelnen Rohstoffe wiedergewinnen, also wiederverwenden oder recyclen können. Wir haben schon heute viele technische Lösungen, die aber nur in Verbindung mit den richtigen Geschäftsmodellen umgesetzt werden können.

Welchen Teil können wir als Verbraucherinnen und Verbraucher zur Kreislaufwirtschaft beitragen?

Vermeiden, wiederverwenden und – so profan das klingt - den Müll ordentlich trennen, also zum Beispiel das Papplabel vom Joghurtbecher trennen und die Alufolie oben vollständig abreißen: Dann habe ich drei reine Wertstoffe, die ich recyceln kann. Wenn der Deckel und das Papplabel noch dranhängen, erkennt die Sortieranlage die einzelnen Wertstoffe je nach Blickwinkel als sortenrein, obwohl es sich um mehrere Komponenten handelt. Wir müssen uns also die Zeit nehmen, einen solchen Joghurtbecher auseinanderzunehmen oder Pfandflaschen in die Pfandsysteme zurückzubringen. Das PET-System zeigt, dass wenn man einen sortenreinen Wertstoffstrom schafft, dieser auch Flasche zu Flasche recycelbar ist. Und das funktioniert, weil die richtigen Anreize gesetzt werden.

Das heißt wir müssen Kreisläufe schließen und mehr und mehr etablieren, aber am Ende kommen wir dennoch zu Produkten, die nicht mehr weiter zu verwerten sind. Wenn wir dann den hohen Energiegehalt, den diese Stoffe beinhalten, auch noch einsetzen, dann macht das durchaus Sinn. Zudem lassen biologisch abbaubare Kunststoffe einen weiteren Recyclingweg zu: die Kompostierung.

Mit solchen Kunststoffen, den so genannten Biopolymeren, beschäftigen Sie sich sowohl an der TU Ilmenau als auch am Thüringischen Institut für Textil- und Kunststoff-Forschung (TITK) intensiv.

Ja, wobei wir da auch differenzieren müssen: Wir haben einmal biobasierte Polymere, die nicht biologisch abbaubar, sondern auch für die Ewigkeit gemacht sind, aber auch biobasierte, biologisch abbaubare Polymere. Es gibt aber auch petrochemisch basierte Polymere, die biologisch abbaubar sind. Und dann gibt es die große Gruppe, die heute vorrangig im Einsatz ist, die petrochemisch basierten Polymere, die nicht biologisch abbaubar sind. Wir beschäftigen uns mit allen Gruppen, weil es für einige Produkte durchaus Sinn machen kann, dass sie entweder biobasiert, biologisch abbaubar oder dauerhaft sind. Am TITK arbeiten wir schon seit langem mit Cellulose und Cellulosefasern, die ein immens hohes Potenzial zum Beispiel für Textilanwendungen bergen, weil Baumwolle von der Ökobilanz her ein schwieriges Produkt ist: Sie braucht sehr viel Wasser und sehr viel Fläche.

In einem aktuellen Projekt beschäftigen Sie sich auch mit der Vermeidung von Ausschuss in Spritzgießprozessen bei der Herstellung von Kunststoffbauteilen. Was muss bei der Herstellung und Verarbeitung von Kunststoffen beachtet werden, damit die entsprechenden Verfahren möglichst energiesparend und ressourceneffizient sind?

Bei den meisten Kunststoffverarbeitungsprozessen handelt es sich um Prozesse, die Produkte in großen Stückzahlen herstellen. Da kommt es darauf an, Ausschussquoten weiter zu reduzieren. Das ist der Hintergrund unseres Projekts, bei dem wir uns damit beschäftigen, Fehler, die beim Spritzgießen entstehen, mit einem integrierten Sensorsystem, das aus einer optischen Kamera, einer Wärmebildkamera und einer Wägezelle besteht, einwandfrei zuordnen zu können. Über einen zweiten KI-Algorithmus soll die Maschine dann entsprechend nachgeregelt werden, damit dieser Ausschuss nicht mehr entsteht.  Mit dem Einsatz Künstlicher Intelligenz in nachhaltigen Fügeprozessen beschäftigen wir uns aktuell auch im neuen Transferzentrum ProKI-Ilmenau gemeinsam mit anderen Fachgebieten an der TU Ilmenau unter Leitung des Fachgebiets Fertigungstechnik.

Ein weiteres Forschungsfeld, mit dem Sie sich beschäftigen, zielt darauf ab, Kunststoffe, so genannte Faserverbundwerkstoffe, im Bereich Automotive zu nutzen, also für automobile Bauteile. Wo liegen hier die Vorteile von Kunststoff und wie können solche Leichtbauteile für eine nachhaltige Mobilität genutzt werden?

Im Gegensatz zu den thermoplastischen Verarbeitungsverfahren wie Spritzgießen und Extrusion ist der Leichtbau noch vergleichsweise jung. Es gibt noch viel Arbeit im Bereich großserientauglicher Prozesse, aber auch bezüglich des Werkstoffverständnis. Leichtbau gehört zu den Schlüsseltechnologien in Deutschland und ist daher für uns ein sehr spannendes Feld. Innerhalb des Thüringer Innovationszentrums Mobilität haben wir unter anderem einen innovativen Prozess zur Herstellung von endlosfaserverstärkten Kunststoffen etabliert, der genau in diese Lücke stoßen soll und ganz direkt etwas mit Nachhaltigkeit zu tun hat: Überall, wo sich leichte Teile in bewegten Anwendungen befinden, wird in der Nutzungsphase Energie eingespart. Beim Automobil brauche ich weniger Energie, um mein Fahrzeug zu bewegen, oder kann andere Assistenzsysteme hinzufügen, ohne dass das Fahrzeug zu schwer wird – und spare damit entweder Treibstoff oder Strom.

Welche werkstofflichen, anwendungsorientieren oder verfahrenstechnischen Herausforderungen sind in den kommenden Jahren noch zu bewältigen, damit man bei Kunststoffen wirklich von Werkstoffen der Zukunft sprechen kann?

In Bezug auf die Kunststoffe, mit denen wir Verbraucher tagtäglich in Kontakt sind, ist es sicherlich eine Frage der Recyclingtechnologien, das heißt chemisches Recycling könnte noch intensiver genutzt werden. Und es ist eine Frage des Stoffstrom-Managements. Matratzen werden zum Beispiel schon einigermaßen koordiniert gesammelt, aber wir könnten da noch besser werden, um große Recyclinganlagen mit einheitlichen Rohstoffen zu füttern. Die Heterogenität der Stoffströme in den Griff zu bekommen und aufzubereiten, ist sicherlich die größte Herausforderung.

Eine weitere Herausforderung sind Multimaterialsysteme, die zum Beispiel im Leichtbau in der Nutzungsphase vorteilhaft sein können, in der End-of-Life-Phase aber wieder eine große Herausforderung: Wie trenne ich diese Materialien voneinander? Wo macht es Sinn, ein Multimaterialsystem zu nutzen, weil es in der Nutzungsphase viel Energie einspart? Und wo macht es keinen Sinn, weil am Ende wieder viel Energie in das Lösen von Verbindungen hineingesteckt werden muss? Hier spielt das Thema Demontage eine große Rolle, damit wir besser recyceln können.

Ein Beispiel sind Windkraftanlagen und das Recycling der Rotorblätter. Viele machen sich bereits Gedanken: Wie bekommen wir die Flügel so auseinander, dass wir die Werkstoffe, die darin gebunden sind, wiederverwenden können? Mittel- und langfristig wird es Wege geben, um diese Verbindungen zum Beispiel schaltbar zu gestalten und das Polymer wieder von den Fasern zu trennen. Hier gibt es bereits einige Forschungsansätze. 

Das Thema Kreislaufwirtschaft soll verstärkt auch in die Lehre an der TU Ilmenau einfließen. Was genau ist hier geplant?

In vielen Fachgebieten ist das Thema Nachhaltigkeit schon jetzt fest verankert. Aktuell planen wir eine Ringvorlesung im Sommersemester 2023, um das Thema Kreislaufwirtschaft nicht nur aus der Sicht der Werkstoffe Glas, Metall und Kunststoff, sondern auch aus Produktsicht zu betrachten, also am Beispiel des Produktdesigns, der Fahrzeug- und der Elektrotechnik, aber auch durch die Brille der Wirtschaftswissenschaftler, die über spezifische Anreizsysteme, Geschäftsmodelle und Kommunikation in diesem Kontext sprechen werden. Denn all das ist notwendig, um kreislauffähige Produkte in den Umlauf zu bringen. In der Ringvorlesung bündeln wir all diese Themen interdisziplinär und interaktiv. Das heißt Diskussionen sind sehr willkommen.

Uns interessiert, welche Faktenbasis die Studierenden mitbringen und was wir selbst an Fakten beisteuern können. Denn das Ganze ist ja ein Stück weit auch eine emotionale Diskussion. Wir können den Studierenden nicht alle Lösungen für eine nachhaltige Zukunft präsentieren, aber wir können ihnen das Handwerkszeug mitgeben und Methodiken aufzeigen, damit sie selbst die Probleme lösen können, die ihnen begegnen.

Zur Person:

Nach seiner Promotion an der RWTH Aachen und mehrjähriger Tätigkeit in der Industrie leitet Prof. Florian Puch seit 2021 das Fachgebiet Kunststofftechnik an der TU Ilmenau und ist wissenschaftlicher Leiter am Thüringischen Institut für Textil- und Kunststoff-Forschung (TITK) in Rudolstadt, einem An-Institut der TU Ilmenau. Im Mittelpunkt seiner Tätigkeit in Forschung und Lehre steht die Funktionalisierung von Kunststoffen und die Konzeption und Realisation neuartiger Maschinensysteme für die Kunststoffverarbeitung.  Im Thüringer Innovationszentrum Mobilität (ThIMo) an der TU Ilmenau verantwortet Prof. Puch den Kompetenzschwerpunkt „Kunststofftechnik und Leichtbau“. Dabei stehen Technologien zur Herstellung und zum Recycling von faserverstärkten Kunststoffen für die Automobilindustrie im Fokus.

Um Werkstoffe in Kreislaufwirtschaft und Industrie, speziell Kunststoffe, geht es auch beim Thüringer Werkstofftag am 14. März 2023 an der TU Ilmenau.

Kontakt

Prof. Florian Puch

Fachgebietsleiter Kunststofftechnik