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Portrait: "Die NASA hätte mich abgelehnt."

Professorin Edda Rädlein leitet an der TU Ilmenau im Fachgebiet Werkstoffwissenschaften und ist zugleich Gleichstellungsbeauftragte der Universität. Im Interview mit UNIonline spricht sie über ihr Leben - vom Mädchengymnasium über das Physikstudium bis zu Chancengleichheit in ihrem Alltag.

Portrait from Prof. Edda Rädlein Eva Seidl

Frau Prof. Dr. Rädlein, Sie kommen ursprünglich aus Bayern, haben dort studiert, waren dann in Niedersachsen und sind jetzt in Thüringen. Welches Bundesland ist Ihr Favorit?

Bayern ist traumhaft was die finanzielle Versorgung betrifft. Aber Ilmenau ist für meine Bedürfnisse genau die richtige Mischung. Es ist angenehm – ich lege keinen großen Wert auf Theater oder Kleidungsvorschriften. Bereits vor der Grenzöffnung hatte ich so ein Gefühl, der Thüringer Wald muss schön sein.

Wie sind Sie auf Ilmenau gekommen?

Ich war zu dem Zeitpunkt bereits Werkstoffwissenschaftlerin in einem extrem spezialisierten Gebiet, von dem im Voraus klar war, es gibt in Deutschland nur sechs Lehrstühle. Man muss also sehr genau planen, wo man mit seiner Habilitation landet und wie man die Zeit überbrückt bis eine Stelle frei wird. Die fachliche Seite hat in Ilmenau gepasst und ich war mir zu dem Zeitpunkt sicher, dass ich nicht in eine der großen Städte möchte. Ilmenau ist traumhaft!

Sie waren als Schülerin auf einem Mädchengymnasium und hatten nahezu keinen Kontakt mit Jungs, wie vielleicht andere Mädchen auf einem normalen Gymnasium.

Das Nachbargrundstück war ein Knabengymnasium. Dazwischen war eine sehr schmale Gasse, unser Kontakt, welche unsere Kontaktzone für die Redaktionssitzung unserer gemeinsamen Schülerzeitung war. Da haben wir Jungs gesehen, aber ich hatte tatsächlich schweren Jungs Mangel.

Wie war es für Sie, danach auf eine Universität zu kommen, an der – in Ihrem Studiengang Physik – auch noch überwiegend Männer studiert haben?

Traumhaft! Ich musste anfangs meine Klamotten nicht waschen, ich musste mich nicht mehr schminken und es war völlig egal, was ich anhatte. Es war aber leider auch egal, wenn ich am Wochenende etwas Tolles genäht habe – keiner von den Jungs hat es gemerkt. Gesellschaftliche Zwänge, die man glaubt mitmachen zu müssen, sind plötzlich abgefallen. Ich weiß nicht, ob das in jedem Studium so ist, aber in der Physik ist das ausgesprochen ausgeprägt. Und das fand ich gut. Ich habe auch die ersten paar Wochen keine anderen Frauen gesehen.

Erkennt man, im Hinblick auf die Atmosphäre, Unterschiede zwischen Schule und Studium?

Ja. Es ist eine völlig andere Art an die Arbeit ranzugehen. Physiker sind sehr konzentriert auf ihre Arbeit, sehr stolz auf das was sie schaffen und sehr gewillt extrem schwere Dinge zu schaffen. In der Schule stellt sich ein Gruppengefühl ein, dass man die Regeln umgehen muss um sich das Leben möglichst leicht zu machen. An der Uni ist das überhaupt nicht vorgekommen. Uns war es egal ob es Regeln gibt – und davon gab es nur wenige, die wir relativ schnell begriffen haben: Man muss am Ende alles wissen und wie man hinkommt, ist egal. Mir hat das gefallen, ich fand die Zeit im Studium sehr gut. Ich wusste, ich lande in einem Jungs dominierten Studiengang. Aber das habe ich gebraucht nach diesen neun Jahren…

Sie haben an der FAU in Erlangen studiert. Wie hat es Ihnen in der Stadt gefallen? War Erlangen damals schon so eine lebhafte Studentenstadt wie heute?

Die Stadt war zu viel für mich. Die Uni und das Studium waren toll, ich hatte auch tolle Freunde, aber ich war nur ein einziges Wochenende in der Stadt. Ich wusste nicht, dass ich überhaupt Heimweh haben würde. Erlangen war viel zu groß und zu gruselig für mich.

Dann gefällt Ihnen die Kleinstadt, wie Clausthal, an der Sie unter anderem Ihre Doktorarbeit geschrieben haben, besser?

Ich fand die Natur dort sehr gut, aber da war das Wetter so grauenvoll. Es gab teilweise zwei Wochen wo man das Nachbarhaus nicht gesehen hat. Und es war auch sehr weit weg von zuhause. Aber der Himmel ist toll zum Sternebeobachten!

Apropos Sterne beobachten. Woher kommt das Interesse an Astronomie?

Das war schon immer da. Ich bin mit vier Jahren schon im Auto am Fenster geklebt, habe nach oben geguckt und mich gefragt: Bewegen sich die Sterne, weil sich das Auto bewegt oder bewegen die sich von alleine?

Sie wollten früher in der Schule Vieles werden. Hatten Sie auch den Traum Astronautin zu werden?

Ja natürlich! Ich war schon einigermaßen wach als die Mondlandung stattfand und meine Grundschullehrerin meinte damals zu mir: Wenn eine Frau auf dem Mond kommt, dann bist du das. Das habe ich mir gemerkt.

Aber daraus ist nichts geworden ...

Ich habe mich tatsächlich zusammen mit einer befreundeten Kollegin bei der NASA beworben. Wir haben aber die beantragten Bewerbungsbögen nie zurückgeschickt. Die NASA ist diskriminierend – meine Freundin war zu groß zum Fliegen und ich zu dick. Aber für das Bodenpersonal waren wir uns zu schade.

Wie haben Sie sich gefühlt, als sie realisiert haben, dass Sie ihre große Leidenschaft Astronomie mit ihrem Beruf verknüpfen konnten?

Ich war schon ziemlich stolz. Es war von Anfang an ziemlich klar, dass ich nur mit geringen Chancen eine Stelle finde. Ich habe mir damals gedacht, jetzt hast du das ganze Studium geschafft – jetzt machst du im Diplom das, was dir am allermeisten Spaß macht. Aber eigentlich bin ich offenen Auges in eine Arbeitslosigkeit gerannt.

Stichwort Arbeitslosigkeit: Früher war es schwieriger als Frau in Ihrem Berufsfeld Fuß zu fassen und Anerkennung zu erlangen. Hat sich das heutzutage geändert?

Damals durfte in der Industrie noch gesagt werden „Wir stellen keine Frau ein“. Nach meinem Diplom habe ich mich auf Stellen beworben, bei denen ich ganz eindeutig deswegen abgelehnt worden bin. Das darf sich heute niemand mehr leisten. Auf der anderen Seite habe ich das Gefühl, dass es Mädels gibt, die sich weniger trauen. Wir wurden dazu erzogen uns durchzukämpfen.

2015 hat die TU das“ TOTAL E-QUALITY-Prädikat für Chancengleichheit“ erhalten. Kann man da von Stolz sprechen, an so einer Universität arbeiten zu dürfen?

Ich halte es für eine ganz normale gesellschaftliche Entwicklung, wir sind sehr gut, aber nicht herausragend. Als Gleichstellungsbeauftragte sehe ich die Stellen, wo wir trotz des Prädikats immer noch Mangel haben. Wir haben zum Beispiel immer noch zu wenig Kita-Plätze. Ich habe gerade heute von jemandem erfahren, der gerade wissenschaftlich gefördert wird, und das zu Recht, aber jetzt keinen Kita Platz bekommt. Ich verstehe, dass die Ressourcen irgendwo begrenzt sind. Aber da hilft einem kein Prädikat, wenn kein Platz da ist.

Wie würden Sie eine frische Abiturientin ermutigen, die sich noch unsicher ist, ob sie ein naturwissenschaftliches Studium wählen soll?

Wenn sie es mag, dann soll sie es tun und sich ausprobieren. Es ist kein Fehler, einen Studiengang mal zu wechseln und es ist auch kein Fehler, etwas Naturwissenschaftliches zu studieren, wenn man sprachlich begabt ist oder gut mit Menschen umgehen kann. Dieses wird man auch hier ausleben können. Wenn man aber schon Schwierigkeiten in den naturwissenschaftlichen Schulfächern hat, sollte man es sich gut überlegen. Das macht einem dann keinen Spaß. Aber eine Freundin von mir hat Physik studiert, nur um ihrem Physiklehrer zu beweisen, dass die 5 im Abitur nicht gerechtfertigt war. Und sie hat das Studium geschafft, immer sehr gern als Physikerin gearbeitet und sich auch als Physikerin gesehen. Sie musste sich zwar noch eine Nummer mehr anstrengen, aber der Ehrgeiz kann einen natürlich auch zu Höhen treiben.

Das Interview führte Eva Seidl.