Serie

„Ich habe eine echte Leidenschaft für die Forschung“

Mit herausragender Forschung schärfen die Wissenschaftlerinnen der TU Ilmenau das Profil der Universität und tragen zum Fortschritt unserer Gesellschaft bei. In der Interviewreihe „Frauen in der Wissenschaft“ erzählen Wissenschaftlerinnen der TU Ilmenau über ihren Werdegang und geben Einblicke in ihren Lehr- und Forschungsalltag. 

Annika Neidhardt hat Ende letzten Jahres ihre Dissertationsarbeit am Fachgebiet Elektronische Medientechnik eingereicht und steht kurz vor der Verteidigung ihrer Promotion.  Am heutigen Girls‘ Day erzählt sie, warum sie schon von klein auf großes Interesse an Forschung hatte und ermutigt Mädchen, ebenfalls ihren Interessen nachzugehen.  

TU Ilmenau/Eleonora Hamburg

Guten Tag, Frau Neidhardt, herzlichen Glückwunsch, Sie haben Ihre Promotion fast abgeschlossen! Zu welchem Thema forschen Sie?

In meiner Doktorarbeit habe ich auditive Illusionen untersucht, die über Kopfhörer erzeugt werden. Das ist interessant für Virtual oder Mixed Reality Systeme. Wir können damit virtuelle Objekte auch akustisch realistisch wirken, aber auch reale Gegenstände scheinbar zu Schallquellen werden lassen. Ein beliebtes Beispiel ist die Anwendung im Museum, wo die Ausstellungsstücke selbst ihre Geschichte erzählen. Aber es gibt natürlich sehr viele weitere Anwendungsmöglichkeiten. Meine Forschung hat sich dabei mit der Frage beschäftigt, wie genau Menschen die akustischen Raumreflexionen wahrnehmen können. Eine exakte Imitation der realen Akustik kann in Räumen mit vielen reflektierenden Flächen sehr aufwändig und rechenintensiv werden. Daher ist für die effiziente Realisierung von Mixed Reality-Systemen interessant, psychoakustische Optimierungen zu entwickeln und Raumreflexionen mit vereinfachten Näherungen zu imitieren, welche für den Menschen aber nicht anders klingen.

Was begeistert Sie an Ihrem Fach?

Ich finde den Zusammenhang aus Technik und menschlicher Wahrnehmung sehr spannend. Daher macht es mir große Freude zu untersuchen, wie mit verschiedenen Audiosignalverarbeitungsansätzen die auditive Wahrnehmung manipuliert werden kann und sich beispielsweise glaubhafte räumliche auditive Illusionen wie virtuelle Schallquellen erzeugen lassen.

Was waren die Herausforderungen Ihrer Promotion und wie sieht Ihr täglicher Lehr- und Forschungsalltag an der TU Ilmenau aus?

Leider meist stressig… es ist immer wieder eine Herausforderung, rechtzeitig neue Projektmittel zu akquirieren, bevor der Vertrag ausläuft. Das nimmt leider viel Zeit ein und geht manchmal auch zu Lasten der eigentlichen Forschung und Lehre.

Sie haben sich nach einer Tätigkeit in der Industrie dafür entschieden, wieder an die Universität zurückzukehren. Schließlich führte Sie ihr Weg wieder nach Ilmenau.

Ich merkte, dass ich noch zu viel Neugier in mir hatte. Daher entschloss ich mich nach meiner Tätigkeit in der Industrie zu einem zweiten Masterstudium in Graz. Das Studium nannte sich „Elektrotechnik-Toningenieur“ und wurde von der Technischen Universität Graz und der Universität für Musik und darstellende Künste gemeinsam angeboten. So konnte ich mein Wissen im Bereich Musik, Audio und Akustik noch deutlich vertiefen. Im Anschluss arbeitete ich für zweieinhalb Jahre in der Angewandten Forschung am Fraunhofer IDMT in Ilmenau. Dabei entwickelte ich immer mehr meine eigenen Forschungsfragen und entdeckte mein Interesse für tiefgründige eigene Forschung. So begann ich, mein erstes eigenes Forschungsprojekt zu entwerfen und die Gelder dafür einzuwerben. Das ist anfangs ein etwas zäher Prozess und braucht Erfahrung. Aber am Ende habe ich es geschafft, mir meine Promotionsstelle zu schaffen. Das ist jetzt etwa sechs Jahre her. Ich denke, meine Doktorarbeitsgeschichte ist nicht unbedingt eine typische. Viele promovieren in einer bestehenden Stelle an einem vorgegebenen Thema und selbst dann ist Promovieren eine Aufgabe, die viel Kraft kostet.

Am heutigen Girls‘ Day werden Mädchen ermutigt, in technisch-naturwissenschaftliche Felder reinzuschnuppern. Waren Sie schon als Schülerin an Forschung interessiert und was hat Sie zu einer Karriere in der Wissenschaft bewegt?

Ich habe schon früh festgestellt, dass ich immer genau verstehen wollte, wie Dinge funktionieren und was passiert, wenn man es einmal anders macht. Ich war schon immer ziemlich neugierig und habe gern Dinge ausprobiert. Manchmal denke ich, ich kann gar nichts anderes sein als eine Forscherin, weil ich dafür ein tiefes inneres Bedürfnis und eine echte Leidenschaft habe. Ich kann Mädchen nur ermutigen, immer neugierig zu sein und die Welt zu erkunden. Es ist wichtig, dass es immer wieder Menschen gibt, die nach dem Warum fragen und Dinge nicht einfach nur hinnehmen. Das ist natürlich überall wichtig, aber Forschende haben natürlich ganz besonders diese Aufgabe.

Welche Hürden haben Sie persönlich in Ihrer wissenschaftlichen Karriere erlebt, denen Männer weniger häufig begegnen?

Ich denke, ein „Problem“ in meinem Alltag ist, dass ich mich noch viel zu oft zuständig oder verantwortlich fühle, obwohl es eigentlich nicht zu meiner Aufgabe gehört. Mein Eindruck ist, dass sich Männer sehr viel leichter tun mit dem Nicht-zuständig-fühlen.

Warum werden mehr Frauen in der Wissenschaft aus Ihrer Sicht gebraucht?

Ich denke, dass grundsätzlich bunte Teams das meiste Potenzial haben, gute Lehre und Forschung zu ermöglichen. Es ist gut, wenn sich die Stärken und Schwächen der einzelnen Teammitglieder ergänzen und eine konstruktive Zusammenarbeit entstehen kann. Frauen haben auch manchmal Denkansätze, auf die Männer nicht kommen, die aber gut sind.
Ich würde mir aber generell wünschen, dass die Welt weniger von Lautstärke und Selbstdarstellerei geprägt wird und stattdessen mehr Raum für das Nachdenken bleibt. Das ist unabhängig vom Geschlecht. Viele Institutionen würden gut daran tun, den Leisen mehr Gehör zu schenken.

Was machen Sie gerne in Ihrer Freizeit?

Ich bin ein großer Musikfan, gehe gern auf Konzerte und Festivals, mache aber auch gern selbst Musik. Zurzeit entdecke ich meine Synthesizer wieder einmal für mich. Ich mag Kochabende mit Freunden, aber auch gemeinsames Wandern oder Windsurfen.

Haben Sie einen Lieblingsplatz auf dem Campus?

Vor dem Audimax in der Sonne sitzen, das mag ich wirklich sehr. Ich finde aber auch gut, dass es im bi-Club diese gut bestückte Whiskybar gibt.

Was steht demnächst für Sie an?

Ich möchte sehr gern weiter forschen. Es ist aber nicht ganz einfach eine gute Stelle dafür zu finden. Das ist wohl zunächst meine Hauptaufgabe.

Zur Person

Annika Neidhardt wurde in Plauen im sächsischen Vogtland geboren und ist dort zur Schule gegangen. Nach ihrem Abitur verbrachte sie ein Work & Travel-Jahr in England und nahm im Anschluss ein Elektrotechnik-Studium mit einer Vertiefung in Automatisierungstechnik an der TU Chemnitz auf. Ihr Fachpraktikum und ihre Diplomarbeit führte sie bereits in Ilmenau am Fraunhofer IDMT durch und arbeitete an Themen der virtuellen Akustik. Nach ihrem Studienabschluss war sie kurz in der Industrie tätig und programmierte und entwickelte Signalverarbeitung für Car Hi-Fi Systeme.  An der TU Graz studierte sie den Studiengang „Elektrotechnik-Toningenieur“ und arbeitete im Anschluss am Fraunhofer IDMT in Ilmenau. Seit sechs Jahren promoviert sie am Fachgebiet Elektronische Medientechnik an der TU Ilmenau. Sie ist seit drei Jahren stellvertretende Leiterin des Fachgebiets und Vorsitzende des DEGA-Fachausschusses Virtuelle Akustik.

Kontakt

Annika Neidhardt

Stellv. Leiterin des Fachgebiets Elektronische Medientechnik