Der Markt für gesunde Ernährung boomt. Florian Weißenstein und Sebastian Weber, Alumni der TU Ilmenau, haben das schon früh erkannt und launchten 2014 ihre Ernährungsapp YAZIO. Angefangen als eine Idee im WG-Zimmer der ehemaligen Studenten ist das Start-up heute zum Marktführer in Europa aufgestiegen. Bereits mehr als 80 Millionen Nutzerinnen und Nutzer weltweit vertrauen der App beim Gewichtsmanagement. Wie sie ihr Unternehmen ohne Fremdkapital aufgezogen haben und warum ihre App so erfolgreich ist verraten die Gründer im Interview.
TU-Ausgründungen: Was wurde aus ...
YAZIO? Europäischer Marktführer unter den Kalorienzähler-Apps
2008 habt ihr yazio.de als Ernährungs- und Gesundheitsportal mit einer umfangreichen Kalorientabelle gestartet. Wie kam es zur Idee und gab es damals schon ähnliche Angebote auf dem Markt?
Sebastian: Angefangen hat alles tatsächlich mit einer Art Hobby-Projekt während unseres Studiums. Damals haben wir zusammen in einer 2er-WG gewohnt. Da wir uns schon immer sehr für die Themen Fitness und Ernährung interessiert haben und gleichzeitig sehr Internet- und Technik-affin waren und sind, war es nur eine Frage der Zeit, bis wir ein gemeinsames Projekt auf die Beine stellen.
Florian: Eines Tages haben wir sozusagen aus Eigenbedarf nach einer Kalorientabelle in Kombination mit einem Ernährungstagebuch gesucht. Da gab es zwar schon ein paar Websites, aber keine davon konnte uns genau das bieten, wonach wir gesucht haben. Und dann dachten wir uns: "Wieso bauen wir uns nicht einfach unsere eigene Website?”. Und so entstand die ursprüngliche Idee für YAZIO direkt in unserem WG-Wohnzimmer.
Würdet ihr sagen, ihr hattet damals das richtige Gespür für ein Angebot, das gesundheitsbewusste Konsument:innen anspricht?
Florian: Ja, definitiv. Zum einen durch unsere Leidenschaft für genau diese Themen und zum anderen dadurch, dass wir selbst auch schon auf der Konsumenten-Seite standen. Wir wussten also genau, worauf wir den Fokus legen müssen und möchten. In Bezug auf die Kalorientabelle und das Ernährungstagebuch war es uns einerseits sehr wichtig, dass wir eine Plattform schaffen, auf der wir den Besucher:innen eine riesige Sammlung an zuverlässigen, detaillierten Nährwertinformationen und eine effektive Möglichkeit, ihre Ernährung im Detail zu tracken, zur Verfügung stellen. Andererseits lag unser Fokus auch darauf, die Oberfläche so übersichtlich und benutzungsfreundlich wie möglich zu gestalten, um die Handhabung so einfach und intuitiv wie möglich zu machen.
An welche Zielgruppen richtet sich die App und wie hilft sie beim Abnehmen?
Sebastian: YAZIO richtet sich weltweit an Erwachsene, die ein bestimmtes Gesundheits- oder Ernährungsziel vor Augen haben. Dabei kann es sich z.B. um ein konkretes Wunschgewicht handeln, das sie durch eine Ab- oder Zunahme oder Muskelaufbau erreichen möchten. Oder aber sie haben dieses schon erreicht und möchten es langfristig halten. Aber auch, wenn jemand weder zu- noch abnehmen, sondern einfach ein allgemein ausgewogenes Leben führen und neue gesunde (Ess-)Gewohnheiten entwickeln möchte, ist YAZIO die beste Anlaufstelle. Bei diesen Vorhaben unterstützt die App die Nutzer:innen durch eine Vielzahl an effektiven Features, wie z.B. einen Kalorienzähler, eine riesige Lebensmittel- und Rezeptdatenbank, detaillierte Nährwertinformationen und Analysen, diverse Fasten-Tracker und vieles mehr.
Florian: All diese Funktionen helfen nicht nur dabei, die Kalorienaufnahme jederzeit im Blick zu behalten, sondern darüber hinaus ein Gefühl für Ernährung und das eigene Essverhalten zu bekommen. So lassen sich bestehende Gewohnheiten ganz einfach erkennen und bei Bedarf auf diesen Erkenntnissen aufbauend neue entwickeln. Unabhängig vom konkreten Ziel ist es bei YAZIO die oberste Priorität, dass dies alles auf gesundem und nachhaltigem Wege geschieht.
2011 habt ihr euer Studium an der TU Ilmenau abgeschlossen und eure Firma gegründet. Welche Erfahrungen habt ihr in dieser anfänglichen Gründerzeit gemacht?
Florian: Als wir Ende 2011 unser Unternehmen gegründet haben lag der Fokus auf unserer Website mit der Kalorientabelle und dem Ernährungstagebuch sowie auf verschiedenen Online-Shops. 2014 kam dann die App dazu. Die Anfangszeit war vor allem von Tatendrang und unserer Motivation, etwas richtig Tolles auf die Beine zu stellen, geprägt. Einerseits war diese Zeit total spannend und aufregend, aber andererseits auch extrem herausfordernd und hart. Wir hatten zwar eine Vision und ein genaues Bild davon, was wir erreichen möchten, aber ein Unternehmen von null auf hochzuziehen, war für uns zu dem Zeitpunkt absolutes Neuland. Daher gab es nicht nur Höhen, sondern auch einige Tiefen und es war keine Seltenheit, dass wir auch mal an Wochenenden durchgearbeitet haben. Wenn ich ehrlich bin, haben wir auch mehr als einmal daran gedacht, das Handtuch zu werfen.
Sebastian: Eine der größten anfänglichen Herausforderungen war das Thema rund um die Finanzierung und die Suche nach Investor:innen. Wir hatten mehrere Gespräche und Pitches, aber leider – oder in Retrospektive eher zum Glück – ohne Erfolg. So kam es dann letztendlich zur Entscheidung, alles selbst zu finanzieren. Die Suche nach Büroräumen war hingegen unter anderem dank des Technologie- und Gründerzentrums Ilmenau sehr unkompliziert. So hatten wir für die ersten Jahre, ca. von 2011 bis 2013, die Möglichkeit, Büroräume im TGZ zu nutzen. Zusätzlich wurden wir in den ersten Jahren wirklich sehr stark von der Thüringer Aufbaubank unterstützt, unter anderem in Form von Kaltmiet- und Personalförderungen. An dieser Stelle nochmal ein großes “Danke!” an das TGZ und die TAB! Als es an der Zeit war, unser Team zu vergrößern, haben wir durch unsere Verbindung zur TU Ilmenau und die allgemein hohe Dichte an Studierenden in der Umgebung, auch sehr schnell qualifizierte Verstärkung gefunden.
Wie hat sich das Start-up seit seiner Gründung entwickelt?
Sebastian: Seit der Gründung hat YAZIO eine unglaubliche Entwicklung erlebt. Unsere User-Zahlen haben sich über die vergangenen Jahre exponentiell vervielfacht. In Europa, wo wir anfangs hauptsächlich vertreten waren, sind wir inzwischen zum Marktführer geworden. Zusätzlich haben wir über die Jahre viele weitere internationale Märkte erschlossen, wie z. B. Südamerika oder die USA, in denen wir unsere Präsenz stetig weiter ausbauen.
Florian: Aber nicht nur unsere User-Base, sondern auch unser Team hat sich mit der Zeit um ein Vielfaches vergrößert. Heute sind wir stolz, ein Team von über 70 Mitarbeitenden zu haben, die täglich daran arbeiten, die Welt zu einem gesünderen Ort zu machen. Während der Großteil remote arbeitet, sitzt ein Teil unseres Teams in unserem kürzlich renovierten Büro in der alten Kartäuser Kirche in Erfurt, das wir 2017 bezogen haben. Und nicht zuletzt hat sich natürlich auch die YAZIO App selbst deutlich weiterentwickelt. Über die Zeit hinweg haben wir die App kontinuierlich verbessert, indem wir bestehende Features überarbeitet und optimiert, aber auch immer wieder komplett neue Funktionen entwickelt und umgesetzt haben.
Derzeit tummeln sich Apps zum Abnehmen in App-Stores. Ihr seid mittlerweile Marktführer in Europa. Was macht eure App so erfolgreich?
Sebastian: Derzeit haben wir über 80 Millionen Nutzer:innen weltweit. Dass diese Zahl seit Jahren kontinuierlich wächst, hat vielerlei Gründe. Einer davon ist, dass wir sehr großen Fokus darauf legen, dass unsere App intuitiv und benutzungsfreundlich ist. Ein bestimmtes Wunschgewicht zu erreichen oder neue Gewohnheiten zu bilden, kann sich für viele erst einmal wie eine unmögliche Aufgabe anfühlen. Wir sehen es dabei als unsere Aufgabe, ihnen diese Sorge zu nehmen und sie tatkräftig auf ihrem persönlichen Weg zu unterstützen.
Florian: Apropos “persönliche Wege”: Ein weiterer Aspekt, der YAZIO so besonders macht, ist die Möglichkeit, nahezu jeden Bereich und jedes Feature der App an die eigenen Bedürfnisse und die persönliche Situation anzupassen. Gerade bei Themen wie Ernährung, Gewicht und Gesundheit ist das in unseren Augen extrem wichtig, weil sie so individuell sind.
Sebastian: Wir könnten hier noch einige Gründe aufzählen, aber der letzte und einer der wichtigsten Punkte, den wir an dieser Stelle erwähnen möchten, ist unser Team. Bei der Einstellung neuer Mitarbeiter:innen haben wir schon immer sehr großen Wert darauf gelegt, dass sie nicht nur fachlich unsere Ansprüche erfüllen, sondern auch menschlich und hinsichtlich ihrer Werte gut zu uns passen. So konnten wir über die Jahre hinweg ein wirklich tolles Team auf die Beine stellen, was sich auch direkt in der Qualität unseres Produkts widerspiegelt.
Welche Arbeit steckt hinter einer erfolgreichen App? Welche Arbeitsbereiche habt ihr und wie sieht euer Arbeitsalltag aus?
Florian: Es ist leider eine sehr verbreitete Annahme, dass Apps kleine Projekte sind, die nicht viel Arbeit bedürfen, was übrigens auch zu der Erwartungshaltung führt, dass sie daher kostenlos sein sollten. Aber tatsächlich steckt viel mehr Arbeit dahinter, als viele denken. Bei YAZIO haben wir über 10 verschiedene Abteilungen, von Development über Marketing bis hin zu einer Rechtsabteilung und sogar einem eigenen Team für unsere Rezepte.
Sebastian: Unser Arbeitsalltag beinhaltet sowohl strategische als auch operative Aufgaben. Im Grunde besteht unsere Rolle darin, gemeinsam mit unserem Team die Richtung des Unternehmens und die nächsten Schritte festzulegen, aber auch einen Überblick über die aktuelle Situation im Unternehmen und am Markt zu behalten. Dazu haben wir täglich Meetings, in denen wir uns untereinander, aber auch mit den verschiedenen Führungskräften im Unternehmen zu aktuellen Projekten austauschen und auf dem Laufenden halten. Neben solchen internen und externen Meetings investieren wir auch viel Zeit in die Wettbewerbsanalyse und in Brainstorming-Sessions.
Welche Pläne habt ihr für die Zukunft?
Sebastian: Als oberstes Ziel verfolgen wir die Vision, das Leben von so vielen Menschen wie möglich durch gesunde Ernährungsgewohnheiten zum Positiven zu verändern. Dabei sehen wir unsere Mission darin, sie mithilfe einer benutzungsfreundlichen und ernährungsbasierten Lösung dabei zu unterstützen, gesunde, realistische und nachhaltige (Ess-)Gewohnheiten zu entwickeln. Dazu arbeiten wir unter anderem weiter daran, die YAZIO App und Marke als Qualitätsprodukt und -merkmal zu etablieren und unsere Präsenz weltweit noch weiter auszubauen. Dabei wollen wir uns nicht nur auf unsere aktuell stärksten Märkte fokussieren, sondern auch weiterhin neue Märkte weltweit erschließen und unsere Position dort verfestigen. Und das möchten wir natürlich auch weiterhin mit dem bestmöglichen Produkt tun! Daher konzentrieren wir uns weiterhin darauf, die App so benutzungsfreundlich wie möglich zu gestalten und so gut es geht den Wünschen und Bedürfnissen unserer Nutzer:innen entsprechend anzupassen.
In einem Interview habt ihr Hochschulen als „Brutstätten für Gründertum“ bezeichnet. Inwiefern hat euch euer Studium an der TU Ilmenau und das Umfeld auf dem Campus dazu inspiriert und befähigt, eure Produktidee zu verwirklichen und ein Start-up zu gründen?
Florian: Die TU Ilmenau hat für uns bei der Umsetzung unserer Idee und der Gründung von YAZIO eine große Rolle gespielt. Neben der sehr guten akademischen Ausbildung an sich war es unter anderem der Aspekt der Freiheit und Eigenverantwortung während des Studiums, von dem wir stark profitieren konnten. Dadurch, dass wir unsere Zeit frei einteilen konnten, hatten wir die Möglichkeit, uns auch mit Projekten neben des Studiums zu beschäftigen und diese Ideen wirklich zu verfolgen.
Sebastian: Ein weiterer nennenswerter Punkt waren die inspirierenden Menschen und die Atmosphäre auf dem Campus. Durch die hohe Diversität und Internationalität am Campus hatten wir viel Kontakt zu Studierenden aus vielen verschiedenen Ländern. Von diesem interkulturellen Austausch haben wir nicht nur persönlich, sondern auch hinsichtlich der Gestaltung und Umsetzung unserer Idee sehr viel lernen und mitnehmen können. Gleichzeitig konnten wir von den technischen Studiengängen an der TU Ilmenau profitieren, durch die wir schnell qualifizierte Werkstudierende finden konnten.
Florian: Und nicht zuletzt haben wir sowohl durch das TGZ, als auch durch die Initiative “Auftakt” mit ihrem hervorragenden Netzwerk und Beratungsangebot unglaublich wertvolle Unterstützung erhalten.
Welche Tipps und Ratschläge würdet ihr angehenden Gründern an Hochschulen mitgeben?
Florian: Bei der Gründung eines Unternehmens gibt es so viele Faktoren und Aspekte, die man beachten muss. Das Allerwichtigste und unser größter Ratschlag für angehende Gründer:innen ist dabei aber: Einfach machen! Wenn du nicht anfängst und zumindest versuchst, deine Idee in die Realität umzusetzen, dann bringt auch das beste Konzept nichts. Und daran scheitern tatsächlich die meisten.
Sebastian: Es ist unmöglich, sich im Vorhinein auf jede Eventualität vorzubereiten. Natürlich müssen die Rahmenbedingungen abgesteckt und gut durchdacht werden. Aber vieles ist auch “learning by doing”. Darum: Fangt einfach an, traut euch den ersten Schritt zu machen und bringt den Ball erstmal ins Rollen. Und wenn der Ball dann auch mal bergab und nicht nur bergauf rollt, dann denkt dran, dass das ganz normal ist. Lasst euch davon nicht entmutigen und bleibt dran. Viel Erfolg euch allen!