Studium

Mathematik-Absolventin: "Ich wusste immer, dass mir viele Türen offenstehen“

Ein Studium der Mathematik an der TU Ilmenau vermittelt Studierenden neben einem sehr soliden mathematischen Grundwissen auch Kenntnisse in mathematischer Modellbildung, Informatik und einem nichtmathematischen Fach und schult das problemlösungsorientierte Denken. Doch wo genau kann es nach dem Studium hingehen? Um diese Fragen zu beantworten, lädt Mathematikprofessorin Gabriele Eichfelder einmal pro Semester Mathematikerinnen und Mathematiker ein, aus ihrem Berufsalltag zu berichten. Eine von ihnen ist Dr. Julia Fligge-Niebling. Die Absolventin der TU Ilmenau arbeitet heute am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Jena im Bereich Datenanalyse und -intelligenz. UNIonline hat mit den beiden über ihre Liebe zur Mathematik und ihre Berufswege gesprochen.

TU Ilmenau
TU-Absolventin Dr. Julia Fligge-Niebling (re.) hat bei Prof. Gabriele Eichelder ihre Masterarbeit geschrieben und in Optimierung promoviert

Mathematikerinnen und Mathematiker gelten als besonders scharfsinnige Denker. Sind Sie selbst schon als Kind durch Ihr besonderes analytisches Denkvermögen aufgefallen?

Dr. Fligge-Niebling: Das erste Mal, als mir bewusst wurde, dass ich diesbezüglich anders bin als meine Mitschüler, war in der 4. Klasse, als ich den Känguru-Wettbewerb gewonnen habe. Meine Mutter hat mich als Grundschullehrerin allerdings auch schon sehr früh gefördert, indem sie mir z.B. Knobelhefte geschenkt hat, die ich mit Begeisterung gelöst habe. In der Oberstufe bin ich dann tatsächlich auch im Ethikunterricht aufgefallen, wenn es um philosophische Fragen ging. Ich habe da häufig sehr logisch und sachlich argumentiert, was mein damaliger Lehrer wohl ganz gut fand. Was ich mir damals da genau überlegt hatte, weiß ich heute leider nicht mehr.

Prof. Eichfelder: So einen Schlüsselmoment und einen entsprechenden familiären Hintergrund gab es bei mir nicht, Mathematik ist mir einfach immer wahnsinnig leichtgefallen. Deshalb ist es dann auch im Studium die Mathematik geworden.

Dr. Fligge-Niebling: Das Schöne an der Mathematik ist ja, dass alles so logisch ist.

Haben Sie sich deshalb auch für ein Studium der Mathematik entschieden?

Dr. Fligge-Niebling: Im Matheunterricht haben wir immer gelernt, wie man eine Aufgabe löst, aber nicht warum – aber genau das hat mich interessiert! Ich liebe logisches Denken und habe auch überlegt, Informatik zu studieren, beide Studiengänge haben ja etwas vom anderen Fach mit drin. Aber die Mathematik hat mich dann doch noch mehr gereizt. Für Ilmenau habe ich mich entschieden, weil ich in Thüringen bleiben wollte und mir der Studieninfotag und die Gespräche dort am besten gefallen haben.

Hatten Sie damals schon ein konkretes Berufsbild vor Augen?

Dr. Fligge-Niebling: Nein, tatsächlich nicht. Ich wusste immer, dass mir nach dem Studium viele Türen offenstehen und ich schon sehen würde, welche Themen mir am meisten liegen.

Prof. Eichfelder: Nicht zu wissen, was genau man nach einem Mathematik-Studium machen kann, hat mich damals sogar fast vom Studium abgehalten. Ich habe immer nur an Bank oder Versicherung gedacht, und mir war klar, dass ich da nicht hinmöchte. Zwar hat einem jeder gesagt: Mathematiker können überall arbeiten und alles machen, aber ich wusste nicht, was dieses alles ist. Ich wusste nur: Das Studium wird mir Spaß machen.

Wie sind Sie schließlich zu Ihrem aktuellen Arbeitsbereich gekommen?

Prof. Eichfelder: Bei mir war es die Diplomarbeit, das kreative Arbeiten an einem wissenschaftlichen Thema, was mich komplett begeistert hat. Davon wollte ich einfach nicht mehr weg und bin diesen Weg über die Promotion bis zur Habilitation Stück für Stück weitergegangen.

Dr. Fligge-Niebling: Ich habe über neun Jahre in Ilmenau verbracht und in der Optimierung promoviert, einem Bereich der anwendungsorientierten Mathematik, der in ganz vielen Bereichen wie Wirtschaft, Logistik und Produktion, aber auch im Alltag eine wichtige Rolle spielt. Auch wenn es mir hier sehr gefallen hat, wollte ich mal etwas anderes sehen, aber in der Forschung bleiben. Da war es ideal, dass das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt damals jemanden für das Institut für Datenwissenschaften in Jena gesucht hat. Mein Forschungsprofil war zwar nicht zu 100% ideal, aber als Mathematikerin mit Optimierungshintergrund kommt man schnell in Themen wie Deep Learning und Machine Learning rein. Der Prozess, wie ein tiefes neuronales Netz aus Daten lernt, ist tatsächlich nur die Ausführung eines Optimierungsverfahrens. Auch viele weitere Fragestellungen im Machine Learning können als Optimierungsprobleme modelliert und gelöst werden.

Data Science ist ja gerade ein großes Thema. Wie sieht Ihr Arbeitsalltag als Mathematikerin aus?

Dr. Fligge-Niebling: Als Gruppenleiterin habe ich zwar nicht mehr täglich mit Mathematik zu tun. Aber dennoch benötigen wir für unsere Forschungsarbeit am DLR viel Mathematik, vor allem aus der Stochastik, Analysis und Optimierung, um die verschiedenen Verfahren zu verstehen oder selbst neue Algorithmen zu entwickeln. Auch erarbeite ich mir mit meinen Mitarbeitern gerne neue Themen, von denen ich bisher noch nicht viel wusste.

Prof. Eichfelder: Die Mathematik hinter den Datenwissenschaften ist tatsächlich eine sehr anspruchsvolle – Leute, die in diesem Bereich arbeiten, müssen ein sehr breites und gleichzeitig sehr tiefes Wissen in Mathematik haben. Deshalb richten wir an der TU Ilmenau gerade eine neue Professur in Mathematics of Data Science ein, und Aspekte der Datenwissenschaften werden künftig sowohl in bestehende Studiengänge wie Elektrotechnik, Maschinenbau und Biomedizinische Technik einfließen, als auch in einen neuen Studiengang Data Science for Engineering.

Mit der Vortragsreihe „Mathematik in der Praxis“ möchten Sie früh Einblicke in mögliche Berufsfelder von Mathematikerinnen und Mathematikern geben. Was für Berufsfelder können das noch sein?

Prof. Eichfelder: Wir hatten zum Beispiel schon Vorträge zur Optimierung der Stahlproduktion, der Flugwegeplanung, zur optimalen Verwertung von Edelsteinen, zu medizintechnischen Anwendungen, zur Automatisierung im Handel, zur Mathematik in der pharmazeutischen Forschung oder auch Unternehmensberatungen bei uns an der Uni. 

Welche Möglichkeiten haben Studierende an der TU Ilmenau noch, schon während ihres Studiums praktische Erfahrungen zu sammeln?

Prof. Eichfelder: Im 6. Semester können unsere Studierenden einen Kurs belegen, in dem wir Modellierungsanwendungen vorstellen. Da zeige ich zum Beispiel, wie man für Magnetresonanztomografen Daten clustert. Außerdem lassen wir solche praktischen Anwendungsbeispiele immer auch in unsere Vorlesungen einfließen.

Dr. Fligge-Niebling: Ich würde jedem Studierenden empfehlen, auch mal über ein Praktikum oder als studentische Hilfskraft in einem der vielen Unternehmen oder Institute im Umfeld der Uni reinzuschnuppern. Leider habe ich das verpasst. Auch wenn man die Sätze und Theoreme aus dem Studium dort nicht sofort benötigt, ist es wichtig zu wissen, dass man als Mathematiker wirklich viel machen kann – so platt der Spruch „Als Mathematiker kannst du alles werden“ auch ist: Mit analytischem und logischem Denkvermögen und grundlegenden Mathematikkenntnissen aus dem Studium kommt man heutzutage wirklich weit.