Forschung

Interdisziplinäre Forschung: Ilmenauer Nachwuchswissenschaftler zu GAMM-Junioren ernannt

Für ihre herausragenden wissenschaftlichen Leistungen in der Angewandten Mathematik und der Strömungsmechanik sind Dr. Lukas Lanza und Dr. Philipp Vieweg, Nachwuchswissenschaftler an der TU Ilmenau, von der Gesellschaft für Angewandte Mathematik und Mechanik (GAMM) als GAMM-Junioren nominiert worden. Damit repräsentieren sie in den kommenden drei Jahren den wissenschaftlichen Nachwuchs in diesem Bereich und vertreten ihre Disziplinen in den Gremien der GAMM, in der Wissenschaft und in der Gesellschaft. Jedes Jahr werden insgesamt zehn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler als GAMM-Junioren ausgewählt.

TU Ilmenau
Dr. Philipp Vieweg und Dr. Lukas Lanza sind als als GAMM-Junioren nominiert worden.

GAMM-Junioren sind internationale Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler, die sich durch herausragende zukunftsweisende Forschungsleistungen auszeichnen. Entsprechend dem Leitgedanken der GAMM, die Zusammenarbeit von Ingenieurwissenschaften und Mathematik zu intensivieren, sollen sie vor allem den interdisziplinären Dialog und den Wissenstransfer zwischen den verschiedenen Fachbereichen der Angewandten Mathematik und Mechanik fördern. Erstmals werden nun gleich zwei Nachwuchswissenschaftler der TU Ilmenau in diesen Kreis aufgenommen.

Besseres Verständnis geo- und astrophysikalischer Probleme

Wie entstehen regelmäßige Strömungsstrukturen in der Natur wie Wolkenstraßen oder Granulen, die aus dem Sterninneren aufsteigenden Zellen heißer Materie, die als ein Wabenmuster auf der Oberfläche sichtbar sind?  Welche Rolle spielen diese Muster für den Wärmetransport? Und wie beeinflussen sie das Wetter und das Klima? Mit diesen geo- und astrophysikalischen Fragen beschäftigt sich Dr. Philipp Vieweg in seinen Forschungen am Fachgebiet Strömungsmechanik unter Leitung von ERC Advanced Grant-Preisträger Prof. Jörg Schumacher. Um die Prozesse, die zu solchen Strukturen führen, berechnen und analysieren zu können, nutzt er Methoden der Angewandten Mathematik und maschinelle Lernverfahren.

So wies er in seiner soeben abgeschlossenen Promotion numerisch die wesentliche Rolle von so genannten thermischen Randbedingungen bei der Entstehung langlebiger und großskaliger Strömungsmuster in thermischer Konvektion nach. Diese sind der chaotischen Turbulenz auf kleinen Skalen überlagert und zum Beispiel in der Atmosphäre, den Weltmeeren oder im Inneren der Sonne zu finden. Außerdem zeigte er, wie sich diese großen Strukturen auf den turbulenten globalen Transport von Impuls und Wärme auswirken. Seine direkten numerischen Simulationen erforderten teils mehr als 130.000 CPUs (Central Processing Units) und wurden unter anderem auf Höchstleistungsrechensystemen in Jülich und Garching ausgeführt.

Die Interdisziplinarität dieses Forschungsthemas ist heute gefragter denn je. „Die numerische, datengetriebene Grundlagenforschung vereinfachter dynamischer Systeme ist essenziell für ein besseres Verständnis der komplexen Zusammenhänge in astro- und geophysikalischen Anwendungen“, erklärt Dr. Vieweg. „Die Kombination von Untersuchungen aus Sicht eines in der Strömung mitbewegten bzw. eines ortsfesten Beobachters, den so genannten Lagrange- bzw. Eulerperspektiven auf die Strömungsdynamik, generiert zueinander komplementäre Einsichten zum Transport und Mischen im Fluid und damit ein breites Interesse auf Seiten der Mathematiker, Physiker und Ingenieure“. So können die Ergebnisse beispielsweise die an der Sonnenoberfläche beobachtete Hierarchie aus Granulen und Supergranulen erklären oder Atmosphärenströmungen auf Basis von Wetterballondaten rekonstruieren, so Dr. Vieweg:.

Diese Erkenntnisse sind angesichts der immerwährenden Änderungen des Klimas von besonderer Bedeutung für eine möglichst präzise Vorhersage.

Sicher steuern dank Systemdaten

Dr. Lukas Lanza hat an der Universität Paderborn unter dem von-Mises-Preisträger Prof. Thomas Berger promoviert und arbeitet derzeit als Postdoktorand am Fachgebiet Optimization-based Control bei Heisenberg-Professor Karl Worthmann an der TU Ilmenau. Sein Forschungsgebiet ist die mathematische Systemtheorie, eine Disziplin der angewandten Mathematik, ohne die zahlreiche technische Innovationen nicht mehr denkbar sind. Dabei untersucht er mithilfe mathematischer Methoden wie Differentialgleichungen oder datenbasierten Lernverfahren, wie sich dynamische Systeme, beispielsweise elektrische Antriebe, Energiesysteme oder auch der Verkehr, leistungsfähig und sicher steuern und regeln lassen. So beschäftigte sich Dr. Lanza in seiner Doktorarbeit unter anderem mit Hilfe der sogenannten Funnel-Regelung (Englisch für „Trichter“), einer maßgeblich an der TU Ilmenau entwickelten Technik, mit der Stabilität aus mehreren Einzelkörpern zusammengesetzter mechanischer Systeme, die untereinander durch Gelenke oder Kraftelemente wie Federn oder Dämpfer verbunden sind.

Diese Forschungen setzt er in Ilmenau mit der konzeptuell neuen Regelungsmethodik „Funnel MPC“ (für Model Predictive Control, Englisch für modelprädikative Regelung) fort. „Ein wesentlicher Aspekt in der modernen Regelungstheorie ist das Nutzen von Systemdaten“, so Dr. Lanza. In seiner momentanen Forschung entwickelt der Wissenschaflter datengetriebene und lerngestützte Regelungsverfahren, die solche Systemdaten nutzen, um Regelziele mit vorgegebener Genauigkeit zu erreichen: Ein Kernaspekt bei der Entwicklung dieser Algorithmen ist, dass das Einhalten der Regelziele mathematisch bewiesen wird und so Garantien ausgesprochen werden können. Eine aktuelle Anwendung dieses neuen Ansatzes ist die Regelung einer Magnetschwebebahn. „In dieser Anwendung geht es darum, durch die Schweberegelung vor allem den vorgegebenen Abstand zwischen der Aufhängung des Fahrzeugs und der Fahrbahn sicherzustellen“, erklärt Dr. Lanza seine Arbeit. „Aber das System muss auch robust gegenüber Unsicherheiten und Störungen wie der Gesamtmasse des Fahrzeugs abhängig von der Fahrgastanzahl sein oder bei starkem Wind funktionieren und dabei hinreichend Fahrkomfort bieten.“

Über die GAMM

Die Gesellschaft für Angewandte Mathematik und Mechanik wurde 1922 durch den Ingenieur und Physiker Ludwig Prandtl sowie den Mathematiker Richard von Mises gegründet. Ziel der GAMM ist es, die wissenschaftliche Arbeit und die internationale Zusammenarbeit in der Angewandten Mathematik sowie auf allen Teilgebieten der Mechanik und Physik zu pflegen und zu fördern.