Forschung

Für künftige Weltraum-Missionen: Wissenschaftler entwickeln Haube zur Messung der Gehirnaktivität im All

Prof. Patrique Fiedler und sein Team am Institut für Biomedizinische Technik und Informatik der TU Ilmenau arbeiten in Kooperation mit der US-Weltraumbehörde NASA an einem weltalltauglichen EEG-System. Es soll Astronaut*innen auf langjährigen Missionen begleiten, um Einschränkungen ihrer Leistungsfähigkeit rechtzeitig zu erkennen und ihnen entgegenwirken zu können.

TU Ilmenau/Eleonora Hamburg
Prof. Patrique Fiedler und das Institut für Biomedizinische Technik und Informatik (BMTI) haben eine Haube zur Messung der Gehirnaktivität entwickelt, die auf trockenen Elektroden basiert. Sie kommt ganz ohne Gel aus und eignet sich deshalb besonders gut für die Raumfahrt.

Wasser, Metalle oder seltene Erden – wertvolle Rohstoffe wie diese werden auf der Erde immer knapper. Im Weltall hingegen vermuten Forschende sie in großen Mengen. So wurden auf dem Planeten Mars bereits Erze wie Silizium, Aluminium oder Magnesium nachgewiesen. Im „Mars Exploration Program“ plant die Raumfahrtbehörde NASA bemannte Flüge zum Mars mit der Perspektive, dort in Zukunft Rohstoffe abzubauen. Voraussetzung dafür sind leistungsfähige Astronaut*innen. Für sie stellt der Aufenthalt in einem Raumschiff eine mentale und physische Belastung dar. Gerade über längere Zeiträume nimmt ihre kognitive Leistungsfähigkeit ab, wie Studien belegen.

In einem aktuellen Forschungsprojekt entwickeln Wissenschaftler der TU Ilmenau ein raumschifftaugliches EEG-System zur Messung der Hirnaktivität. In Zusammenarbeit mit der Complutense Universität Madrid sowie der McGovern Medical School Houston wird, im Rahmen einer NASA-Förderung des Translational Research Institutes for Space Health (TRISH), sowohl die Technologie als auch die Methodik für die automatische Analyse der Hirnaktivität während Raumfahrtmissionen erforscht. Bei kommenden Weltraumeinsätzen der NASA sollen die Astronaut*innen das System jeden Tag für mehrere Stunden anwenden, um Leistungsabnahmen rechtzeitig zu erkennen und diesen entgegenzusteuern.

Prof. Patrique Fiedler, Leiter des Fachgebiets Datenanalyse in den Lebenswissenschaften an der TU Ilmenau, wertete zusammen mit den Partnern mehrere EEG-Datensätze von Astronaut*innen aus, nachdem sie zur Erde zurückgekehrt waren. Zwar war bereits bekannt, dass der Aufenthalt im All negative Effekte auf ihre Kognition, Wahrnehmung und mentale Prozesse hat. Prof. Fiedler und sein Team untersuchen aktuell jedoch insbesondere die so genannte Recovery und wollen hierauf aufbauend Verfahren entwickeln, um die Abnahme von Leistungsfähigkeit zu verlangsamen und eine Erholung zukünftig möglichst auch während der Mission zu erreichen. Prof. Fiedler erklärt:

Die negativen Effekte ließen sich bei allen Raumfahrer*innen nachweisen. Vermutlich sind die physische und mentale Belastung, die geringe Gravitation, die laute Umgebung und womöglich auch die Strahlung dafür verantwortlich, dass sie keine richtigen Entspannungsphasen haben und ihre Leistungsfähigkeit besonders bei langen Missionen abnimmt.

Abhilfe schaffen soll ein an der TU Ilmenau entwickeltes EEG-System auf Basis von Trockenelektroden. Um Gehirnsignale messen zu können, werden die Elektroden an eine Haube befestigt. Die Träger*innen setzen sie wie eine Mütze auf und können derweil ohne Einschränkungen ihren Tätigkeiten nachgehen. Möglich wird dies durch trockene Elektroden, die im Gegensatz zu handelsüblichen medizinischen Messgeräten auch ohne Gel Messungen zwischen Haut und Elektrode gewährleisten. Die Haube wurde von Prof. Fiedler im Rahmen seiner Promotionsarbeit am Institut für Biomedizinische Technik und Informatik (BMTI) entwickelt und ist bereits auf dem Markt erhältlich. Im aktuellen Forschungsprojekt in Kooperation mit der NASA gehen die Wissenschaftler am BMTI einen Schritt weiter: Sie optimieren das für medizinische Diagnostik konzipierte Messsystem zur Diagnostik und Monitoring für die Raumfahrt:

Wir entwickeln ein besonders leichtes, komfortables und einfach zu bedienendes Messsystem, das auf die Bedürfnisse der Raumfahrt angepasst ist und den Verhältnissen im Raumschiff sowie der extremen Beschleunigung bei Start und Landung des Raumschiffs standhalten kann. Zudem wird es energieeffizient sein, daher wird die Energieversorgung bereits im System integriert.

Die Haube dient nicht nur als Messsystem im All, sondern auch als medizinisches Diagnostikgerät. Die EEG-Daten werden an die NASA gesendet, wo Ärzt*innen den Gesundheitszustand der Raumfahrer*innen diagnostizieren und Therapiemaßnahmen empfehlen, so die Idee der Wissenschaftler. Auch hierzu wird im Projekt geforscht. Das Team konzentriert sich vor allem auf das Neurofeedback – eine Therapieform, die sich bereits erfolgreich als ein Baustein zur Behandlung von beispielsweise ADHS bewährt hat. Die Therapie ist eine Form des computergestützten Gehirntrainings und setzt auf die aktive Beeinflussung der Gehirnaktivität. Patient*innen steuern durch Entspannung oder Konzentration bewusst spielerisch ihre Hirnfunktionen und steigern dadurch Konzentrationsfähigkeit, Gedächtnis oder Entspannung in einfachen Übungen. Dieser Ansatz sei laut Prof. Fiedler auch für Weltraumfahrer*innen vielversprechend, um Stress abzubauen und trotz Ausnahmesituation im All zu entspannen.

Ein erster Prototyp der EEG-Haube befindet sich derzeit in Houston. Prof. Fiedler arbeitet konzentriert darauf hin, sein System für kommende Weltraummissionen der NASA fertigzustellen. Mit seiner Forschung möchte er einen Beitrag für die Erkundung des Weltraums leisten:

Gerade bei langjährigen Missionen im All müssen die Astronaut*innen ihre Gesundheit erhalten. Mit unserem praktischen System zur Messung der Leistungsfähigkeit in Kombination mit Therapieansätzen kann das erreicht werden.

Prof. Patrique Fiedler

Leiter des Fachgebiets Datenanalyse in den Lebenswissenschaften