Forschung

Weltbienentag: So sorgt die TU Ilmenau für wildbienenfreundliche Städte

Im Projekt „BeesUp“ entwickeln Wissenschaftler der TU Ilmenau, des Julius-Kühn-Instituts und der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg ein durch künstliche Intelligenz (KI) gestütztes, digitales Planungswerkzeug zur wildbienengerechten Gestaltung unterschiedlich genutzter Freiflächen im städtischen Raum. Anlässlich des bevorstehenden Weltbienentags am 20. Mai sprechen wir mit Prof. Patrick Mäder, Leiter des Fachgebiets Data-intensive Systems and Visualization an der Fakultät für Informatik, sowie mit Projektleiter Dr. Marco Seeland und Philipp Gattung, studentischer Mitarbeiter im Projekt. Gemeinsam entwickeln sie die Smartphone-App, die als Planungstool für die Empfehlung regionaler Maßnahmen zum Erhalt von Wildbienenarten dienen soll.

ixabay/Barbara P. Meister
Das „Bienensterben“ betrifft vor allem die Wildbienen.

Bienen und andere Bestäuber sind ein Pfeiler der Ernährungssicherheit – weltweit. Etwa jeder dritte Bissen Nahrung hängt von einer erfolgreichen Bestäubung ab. Die über 20 Millionen Bienenstöcke allein in der EU stellen zudem einen nicht zu verachtenden Wirtschaftszweig dar. Betreut werden diese Bienenstöcke von etwa 615 000 Imkerinnen und Imkern. Nach China ist die EU mit jährlich etwa 220.000 Tonnen der zweitgrößte Honigproduzent weltweit. Der Weltbienentag am 20. Mai soll dazu dienen, auf die Bedeutung der Wild- und Honigbienen für die Biodiversität und Ernährungssicherheit aufmerksam zu machen und Wege zu finden, sie zu schützen.

Herr Prof. Mäder, sterben die Bienen aus?

Prof. Mäder: Das „Bienensterben“ muss differenziert betrachtet werden. Honigbienen, vor allem die von Imker:innen am meisten gehaltene Westliche Honigbiene (Apis mellifera), sind einer Vielzahl von natürlichen und menschengemachten Krankheiten und Schädlingen ausgesetzt – aber Bienenvölker können durch erfahrene und sachgemäße Imkerei immer wieder neu geschaffen werden. Die Zahl der Bienenvölker in Deutschland steigt stetig an, von knapp 700.000 2011 auf über 10 Millionen 2021! Das „Bienensterben“ betrifft vor allem die Wildbienen: Solitärbienen wie Mauerbienen, Hosenbienen, Sandbienen, Furchenbienen, Maskenbienen und Hummelarten. Etwa 550 Wildbienenarten gibt es in Deutschland. Die Hälfte von ihnen ist seit Jahrzehnten bedroht. Lebensraumverlust durch Versiegelung von Landschaften, Herbizide und das Wegfallen von Nahrungsquellen sind die Treiber des Bienensterbens.

Mit dem Projekt BeesUp möchte die TU Ilmenau für wildbienengerechte Städte sorgen.

Prof. Mäder: Viel zu oft kommt es vor, dass aus Mangel an Wissen nutzlose oder sogar schädigende Maßnahmen zur Förderung und Pflege von Wildbienen geplant und umgesetzt werden. Unser Team will das ändern: Wir möchten im Projekt „BeesUp“ gemeinsam mit unseren Projektpartnern in Braunschweig und Halle den Verantwortlichen für Stadtentwicklung ein KI-gestütztes Werkzeug an die Hand geben, womit sie, bezogen auf einen konkreten Standort, die richtige Management-Entscheidung für die Stadtgestaltung treffen können.

Wir kennen die Bedarfe von etwa 300 Wildbienenarten in Bezug auf ihre Nahrungs- und Nistvorlieben und verknüpfen diese mit anthropogenen Faktoren wie der Flächennutzung, also Sport, Erholung, Verkehr, Garten und den naturräumlichen Parametern Boden, Besonnung, und Mikroklima. Dadurch können wir Empfehlungen ableiten, beispielsweise welche Pollen- und Nektarpflanzen im Blühstreifen angepflanzt werden oder wo Nistmöglichkeiten geschaffen werden sollten – und aus welchem Material. Ziel ist es, eine langfristig erfolgreiche, wildbienengerechte Stadtgestaltung zu ermöglichen.

Herr Dr. Seeland, was ist Ihre Rolle im Projekt?

Dr. Seeland: Ich leite das Ilmenauer Teilprojekt von BeesUp und koordiniere dafür die Arbeiten eines wissenschaftlichen Mitarbeiters und zahlreicher studentischer Arbeiten, die inhaltlich mit dem Projekt verwandt sind. Aktuell finden dazu acht studentische Arbeiten statt, die von App-Entwicklung bis zur Weiterentwicklung und Evaluierung von Methoden des maschinellen Lernens reichen.

Herr Gattung, auch Sie arbeiten als Student der Informatik im Projekt mit. Was genau ist Ihre Aufgabe?

Philipp Gattung: Im Rahmen einer Studienarbeit und meiner Bachelorarbeit habe ich verschiedene KI-gestützte Methoden auf Bilderkennungsprobleme angewendet, z.B. zur Lokalisation der Biene im Bild oder zur Klassifikation von Gattung, Art und Geschlecht. Aktuell arbeite ich als HiWi am Projekt, wobei hier meine erste Aufgabe in der Entwicklung einer intuitiven Web-Applikation besteht, mit der die untersuchten Verfahren demonstriert werden können.

Künstliche Intelligenz und modernste Algorithmen des maschinellen Lernens spielen also eine zentrale Rolle im BeesUp-Projekt?

Dr. Seeland: Sogenannte KI-Algorithmen spielen eine tragende Rolle und durchziehen das gesamte Projekt. Für die Empfehlung regionaler Maßnahmen müssen wir zunächst wissen, welche Wildbienenarten zu welchen Zeiten an welchen Orten beobachtet werden. Wie in Philipps Arbeit entwickeln wir dazu Algorithmen auf Basis neuronaler Netzwerke, mit welchen die App kamerabasiert die beobachtete Wildbienenart korrekt erkennt. Ort, Zeitpunkt und die erkannte Wildbienenart fließen dann in den Pool von Vorkommensdaten, anhand derer wir regionale und zeitliche Populations- und Beobachtungstrends vorhersagen können - ebenfalls unter Verwendung neuronaler Netzwerke. Aus diesen Daten und dem Wissen um die Bedürfnisse der Wildbienenarten leitet unsere KI schließlich maßgeschneiderte Empfehlungen ab.

Wann wird das Planungstool verfügbar sein?

Dr. Seeland: Von den etwa 550 in Deutschland vorkommenden Wildbienenarten können wir aktuell die 200 häufigsten zuverlässig erkennen. Um die Erkennung auch für seltenere Arten zu ermöglichen und zu verbessern, sammeln wir gemeinsam mit Expert:innen weitere Vorkommens- und Bilddaten. Insbesondere für Vorkommensdaten müssen dafür viele Quellen durchsucht, z.T. erst digitalisiert und die Daten gefiltert, aufbereitet und geprüft werden. Die Arbeit am eigentlichen Planungstool beginnt im nächsten Jahr, die Veröffentlichung ist für das darauffolgende Jahr geplant.

Was motiviert Sie, Wildbienen zu schützen?

Philipp Gattung: Es motiviert mich, meine Kenntnisse in der Informatik auf direkte Probleme in Umwelt und Gesellschaft anwenden zu können, wobei mich besonders die Forschung und Entwicklung im Bereich Machine Learning interessiert. Die Verbesserung der Lebensumstände von Wildbienen sehe ich als wichtige Aufgabe, um ein weiteres Bienensterben und damit einhergehende negative Auswirkungen auf Biodiversität und Nahrungsmittelproduktion zu verhindern.

Dr. Seeland: Als Bestäuber und Nahrungsquelle spielen Wildbienen eine häufig unterschätzte, aber entscheidende Rolle in unserem Ökosystem. Indem wir artgerechte Gestaltungsmaßnahmen maßgeschneidert empfehlen, können wir als Datenwissenschaftler zum Erhalt von Wildbienen beitragen. Von der urbanen Flächengestaltung bis zum Balkon oder Garten – jede und jeder Einzelne kann so unsere Umwelt wildbienenfreundlicher gestalten.

Drei Tipps der Wissenschaftler für eine wildbienenfreundliche Umwelt, die leicht auch im Alltag umgesetzt werden können:

  • „Unordnung“ im Garten zulassen: Einer der Hauptgründe für den Verlust der Insektenvielfalt sind zu aufgeräumte und eintönige Landschaften. Ein Sandhaufen hier, eine Unkrautecke dort – das ermöglicht Lebensraum und Nahrung für viele Wildbienen.
  • Genau hinsehen beim Kauf von „Blühmischungen“: Nicht selten sind in Samentütchen Neophyten enthalten, die einheimische Pflanzen verdrängen können, oder gezüchtete Blumen mit gefüllten Blüten, die Wildbienen oft keine Nahrung liefern.
  • Sinnvolle Insektenhotels schaffen: Diese fallen zu oft in die Kategorie „gut gemeint“ statt gut gemacht. Falsche Materialien, die kein Insekt als Unterschlupf braucht wie Tannenzapfen oder Schneckenhäuser, scharfe Kanten an Schilf- oder Bambusröhren, die die Flügel der Wildbienen zerschneiden, oder ein Standort im Schottergarten, der weit und breit keine Nahrung finden lässt – das sind nur einige der Fehler, die leider noch viel zu oft gemacht werden.

Weitere Informationen

Das Projekt „BeesUp“ wird vom Institut für Bienenschutz am Julius Kühn-Institut koordiniert. Verbundpartner sind die Technische Universität Ilmenau und die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Fördergeber sind das Bundesamt für Naturschutz (BfN) mit Mitteln des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU).

Kontakt

Dr. rer. nat. Marco Seeland

Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachgebiet Data-intensive Systems and Visualization