Forschung

"Wir brauchen KI zum Erhalt der Biodiversität"

In wenigen Klicks durch 16.000 Pflanzenarten – das ermöglicht die App zur Pflanzenerkennung „Flora Incognita“. Der Erfinder der App, Prof. Patrick Mäder, ist Leiter des Fachgebiets Data-intensive Systems and Visualization der TU Ilmenau. Er hat sich das Ziel gesetzt, Künstliche Intelligenz (KI) zum Schutz unserer heimischen Tier- und Pflanzenwelt einzusetzen. Anlässlich des Internationalen Tags der biologischen Vielfalt erzählt der Professor, wie er durch Deep Learning Pflanzenarten dokumentiert, Wildbienenbestände überwacht und Lebensraum für Insekten schafft.

TU Ilmenau/Michael Reichel
Prof. Patrick Mäder möchte unsere heimische Artenvielfalt bewahren.

Prof. Mäder, der Internationale Tag der biologischen Vielfalt erinnert an unsere Verpflichtung und Verantwortung, die biologische Vielfalt zu schützen und zu erhalten. In verschiedenen Forschungsprojekten setzen Sie Künstliche Intelligenz (KI) zum Einsatz in der Natur ein, um beispielsweise mit Hilfe der App „Flora Incognita“ Pflanzen zu bestimmen, oder bei „BeesUp“ für eine wildbienengerechte Stadtplanung. Kann KI dabei helfen, Biodiversität zu erhalten?

Ja! Für den Erhalt der Biodiversität steht an wohl erster Stelle, Arten zu kennen und ansprechen zu können – sonst merkt man nicht, wenn sie aussterben. Wir haben 2018 eine Umfrage durchgeführt, bei der 38% der Befragten angaben, weniger als 20 krautige, wildwachsende Pflanzenarten zu kennen. Nur 10% konnten über 100 Arten ansprechen. Wenn man bedenkt, dass auf Magerrasen bis zu 600 Pflanzenarten sowie 90% der heimischen Schmetterlingsarten vorkommen können, viele Menschen solche Habitate aber einfach als „Gras“ wahrnehmen - wie soll man dann für den Schutz der Artenvielfalt werben?

Künstliche Intelligenz in Form von Bilderkennung über Deep Learning kann hier helfen. Mit einfachsten Mitteln und in Sekundenschnelle können Nutzer:innen der Flora-Incognita-App bereits über 16.000 verschiedene Pflanzenarten bestimmen, Steckbriefe lesen und Abzeichen für gesammelte Gruppen sammeln. Diese fast spielerische Auseinandersetzung mit Artenvielfalt leistet einen großen Beitrag zur Sensibilisierung der Bevölkerung für den Schwund der Biodiversität.

Im Projekt „BeesUp“ nutzen wir Künstliche Intelligenz zur Bestimmung von Wildbienenarten und für artgerechte Empfehlungen für die Anlage von Blühstreifen, die Schaffung von Nistmöglichkeiten oder das Monitoring der Veränderung der Wildbienenbestände. Solche Trendanalysen – wann, wo, welche Arten (nicht mehr) vorkommen – werden durch Künstliche Intelligenz nun auch im großen Maßstab möglich.

Unkraut bietet Lebensraum für eine Vielzahl von Insekten. Im Projekt „Better Weeds“ identifizieren und werten sie mittels KI an landwirtschaftlichen Flächen auftretenden Unkrautarten aus. Warum werden diese erfasst und welche Erkenntnisse erhoffen Sie sich von dem Projekt bzw. gibt es schon konkrete Erkenntnisse?

Die Segetalflora, die an Ackerrändern zu finden ist und in seiner Ausprägung der Vegetation der Kalkäcker (Caucalidion) 2022 Pflanzengesellschaft des Jahres war, ist aus Biodiversitätssicht sehr wertvoll. Nicht nur kommen hier sehr viele verschiedene Pflanzenarten vor, sie bilden auch Lebensraum und Korridore für die Ausbreitung von zahlreichen Insekten. Wird dieser Ackerrand „undifferenziert gespritzt“, sinken Ökosystemleistungen wie Bestäubung oder Schädlingsbekämpfung durch Nützlinge. „BetterWeeds“ soll hier ansetzen und helfen, Unkraut effizient, aber selektiv zu bekämpfen. Das Gute ist, viele (auch konventionelle) Landwirt:innen sind bereit, Maßnahmen zur Förderung der Unkrautdiversität auf ihren Flächen durchzuführen – allerdings nur dann, wenn trotzdem konkurrenzstarke Unkräuter so gut wie möglich kontrolliert werden. In diesem Spannungsfeld bewegen wir uns und setzen beispielsweise Drohnen ein, um Ackerränder fotografisch aufzunehmen, die Artenvielfalt aus diesen Aufnahmen automatisch zu dokumentieren und so Grundlagen für ein Unkrautmanagement zu erarbeiten, welches die wertvolle Segetalflora schützt und gleichzeitig die Landwirtschaft zufrieden stellt. Zur kommenden Ilmenauer Wissenschaftsnacht haben wir einen Infostand geplant, wo Interessierte einen Einblick in diese Forschung bekommen können.

Im Projekt „KI4BioDiv“ geht es um die Entwicklung von Methoden und Technologien zur effizienten, schnellen und automatisierten Überwachung von Biodiversität in verschiedenen Lebensräumen und Landschaften. Wie wird KI hierzu eingesetzt und wie verlässlich sind die erhobenen Daten?

Dieses Projekt umfasst sehr viele Organismengruppen. Wir entwickeln derzeit grundlegende Methoden, wie man die Vielfalt von beispielsweise Faltern, Muscheln, Pilzen oder Phytoplankton mit einfachen Methoden dokumentieren und anschließend analysieren kann. Um hierfür wirklich belastbare Ergebnisse zu erzielen, arbeiten wir eher kleinteilig, mit ausgewählten, sehr gut kuratierten Datensätzen. Künstliche Intelligenz findet auch hier vorranging in Deep Learning zur Arterkennung Anwendung, aber auch in der Analyse von Zeitreihen und in Plausibilitätsprüfungen. Das ist alles sehr spannend, aber noch nicht so „greifbar“ wie die Flora-Incognita App, beispielsweise. Allerdings braucht es zunächst diese grundlegenden Methoden, um in Zukunft Technologie für den Erhalt der Biodiversität einsetzen zu können.


Seit Jahren beklagen wir das Bienensterben und die damit verbundenen negativen Auswirkungen auf unser Ökosystem. Im Verbundprojekt „NutriBee“ untersuchen Sie, inwieweit Stress die Bienengesundheit beeinflusst. Welche Erkenntnisse konnten Sie bereits gewinnen?

Unsere Projektpartner haben hierfür spannende Daten erhoben: mehrere Hundert genetisch identische Bienenvölker wurden an verschiedenen Standorten ausgebracht, und die Messungen an den Stöcken ermöglichen uns, Veränderungen in der Bienengesundheit auf die jeweiligen Umwelteinflüsse beziehen zu können. Wir werten diese Daten derzeit mittels maschineller Datenverarbeitung (Machine Intelligence) aus. Das sind recht spezielle Aspekte wie verschiedene physiologische Änderungen, beispielsweise in der Enzymaktivität der Katalase. Außerdem beobachteten wir Veränderungen der mRNA-Genexpression und des Mikrobioms in den Bienen. Für die Leser:innen eher greifbar ist vielleicht, dass wir Unterschiede in der Lebenserwartung und der produzierten Honigmenge in Abhängigkeit verschiedener Stressoren feststellen konnten – beispielsweise durch den Einsatz von Pilzbekämpfungsmitteln und durch verminderte Mengen der gesammelten Nahrung. Genauere Ergebnisse kann ich hier jedoch nicht preisgeben, da die Messungen dieses Jahr fortgeführt werden und die wir die finalen Erkenntnisse natürlich nicht vorwegnehmen möchten.

Zur Person:

Nach seinem Studium des Wirtschaftsingenieurwesens an der TU Ilmenau arbeitete Patrick Mäder als Consultant und Softwareentwickler in Projekten verschiedener Automobilhersteller und -zulieferer. Ab 2005 promovierte er an der TU Ilmenau und beschäftigte sich mit der kontinuierlichen Nachvollziehbarkeit von Softwareentwicklungen. Für seine Dissertation erhielt er den Thüringer STIFT-Preis.

Ab 2010 forschte Patrick Mäder als Lise Meitner-Fellow an der Johannes-Kepler-Universität Linz am Institut für Software Systems Engineering. 2012 kehrte er an die TU Ilmenau zurück und akquirierte, bearbeitete und koordinierte zahlreiche Drittmittelprojekte in den Bereichen Software Engineering und Machine Learning. Während dieser Zeit verbrachte er diverse, mehrmonatige Forschungsaufenthalte an der DePaul University Chicago. Seit 2016 war er Juniorprofessor des Stiftungslehrstuhls Softwaretechnik für sicherheitskritische Systeme an der Fakultät für Informatik und Automatisierung und baute diesen zu einem Fachgebiet mit zuletzt 18 wissenschaftlichen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen aus.

2021 wurde er zum Universitätsprofessor und Leiter des Fachgebietes Fachgebiet Data-intensive Systems and Visualization an der Fakultät für Informatik und Automatisierung ernannt worden. Seine Forschung widmet sich Themen in den Bereichen sichere und zuverlässige Software; skalierbares, multi-modales und erklärbares Maschine Learning; sowie Computational Biology and Ecology. Für die Entwicklung einer App-basierten Lösung zur Bestimmung heimischer Pflanzen „Flora Incognita“ wurden er und das Projektteam 2020 mit dem Thüringer Forschungspreis in der Kategorie Angewandte Forschung ausgezeichnet.                                                                                                                   

Seine Expertise in den Bereichen Informatik, Ingenieurwissenschaften und den daran angrenzenden Wissenschaftsgebieten wendet er zum Schutz unserer heimischen Tier- und Pflanzenwelt an. In den Jahren 2006 und 2012 nahm er an mehrwöchigen Expeditionen nach Sibirien teil. Unter abenteuerlichen Bedingungen führte er dort ökologische Untersuchungen durch, sein Bewusstsein für Biodiversität verändert haben: Sein Ziel ist es, Kompetenzen verschiedener Wissenschaftsbereiche zusammenbringen, um komplexe Zusammenhänge zu untersuchen, sie zu verstehen und Grundlagen für Lösungen zum Artenschutz zu erarbeiten.

Mehr zum Thema KI und Biodiversität erfahren Sie bei der Ilmenauer Wissenschaftsnacht!

Treffen Sie die Menschen hinter der beliebten App persönlich! Erfahren Sie bei einem #FloraCampus-Rundgang, wie groß die Pflanzenvielfalt auf dem Universitätsgelände ist, was mit modernsten Methoden der automatischen Bilderkennung heute schon möglich ist, warum invasive Pflanzenarten ein Problem sind und wie Sie selbst zur wissenschaftlichen Forschung beitragen können.

Lernen Sie, wie Wissenschaftler*innen der TU Ilmenau durch umweltgerechtes Unkrautmanagement Effizienz, Nachhaltigkeit und Ökologie in der Landwirtschaft steigern und privatsphärensicheres maschinelles Lernen gewährleisten und probieren Sie die App zur Erkennung von Wildbienenarten aus!

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Zum Programm der Ilmenauer Wissenschaftsnacht

Wir freuen uns auf Sie!

 

Kontakt

Prof. Patrick Mäder

Fachgebietsleiter Data-intensive Systems and Visualization Group