Forschung

„Wir entwickeln Roboter, die Menschen helfen“

Mit seiner praxisorientierten Ausrichtung treibt das Fachgebiet Neuroinformatik und Kognitive Robotik den Einsatz von Assistenzrobotik in der Pflege, in der Reha und im Handel seit 25 Jahren voran. Im Interview erklärt Prof. Horst-Michael Groß, Leiter des Fachgebiets, wo Roboter Menschen im Alltag schon heute entlasten und wie sie zu einem verlässlichen Partner in der Pflege werden können.

Prof. Groß und Mitarbeiter am Roboter TU Ilmenau/Eleonora Hamburg
Prof. Horst-Michael Groß und Tim Wengefeld (M.Sc.) erproben im MORPHIA-Projekt, wie Assistenzroboter, eigebettet in ein Netzwerk aus Pflegenden und Angehörigen, ältere Menschen in ihrem Alltag unterstützen können.

Guten Tag Prof. Groß, Ihr Fachgebiet hat zwei Schwerpunkte: die Entwicklung maschineller Intelligenz und von Assistenzrobotik. Was genau ist darunter zu verstehen?

An unserem Fachgebiet entwickeln wir soziale Assistenzroboter, die mit Menschen interagieren und für sie Dienstleistungen erbringen. Wir verfolgen dabei verschiedene Anwendungslinien: Einerseits Robotik im Einzelhandel. 1998 haben wir angefangen, Shoppingassistenzroboter zu entwickeln, 2007 konnten wir den weltweit ersten Shoppinglotsen präsentieren. Ein zweiter Schwerpunkt betrifft Roboter in der häuslichen Pflege, die als Partner mit einem unterstützungsbedürftigen Menschen zusammenleben und dort bestimmte Aufgaben erfüllen. Das dritte Anwendungsfeld ist der Einsatz von Robotik in der Rehabilitation, wenn Patienten beispielsweise nach einer orthopädischen Operation oder nach einem Schlaganfall wieder zum korrekten Gehen motiviert werden sollen. In diesem Fall dient der Roboter als maschineller Physiotherapeut, der zusätzlich zu den menschlichen Therapeuten außerhalb deren Arbeitszeit zur Verfügung steht.

Diese Anwendungen setzen eine Menge an Erkennungsleistungen voraus. Der Roboter muss erkennen, wo sich ein Mensch befindet, welche Aktivität er gerade durchführt und wie er sich bewegt. Dafür kommen maschinelle Lernverfahren und Techniken der Neuroinformatik, ein weiteres Standbein unseres Fachgebiets, zum Einsatz. Wir trainieren die Roboter anhand von anwendungsspezifischem Datenmaterial, sodass sie diese Aufgaben dann korrekt ausführen können. Der Roboter lernt beispielsweise, wo sich eine Person in der Wohnung typischerweise zu einer bestimmten Tageszeit aufhält. Neuronale Netze und Deep Learning-Verfahren sind für uns insofern Hilfsmittel, um den Roboter intelligent zu machen. Beide Forschungsfelder ergänzen sich somit ganz hervorragend.


Wie können Roboter Menschen in ihrem Alltag unterstützen?

Der Roboter soll solche Aufgaben übernehmen, die für den Menschen ermüdend oder zeitlich nicht machbar sind. So stehen in der Reha Roboter bis spät in den Abend und auch am Wochenende zum Gangtraining zur Verfügung, also außerhalb der Arbeitszeit der Physiotherapeuten. Oder im Handel: Als wir 2007 den Shoppingassistenzroboter TOOMAS präsentiert haben, wurde dieser eineinhalb Jahre als Shoppinglotse in drei TOOM Baumärkten eingesetzt. Das war der erste Praxistest: Robotik ist also nicht nur ein Forschungsthema, sondern auch jetzt schon im Alltag anwendbar. Der Roboter half mehreren tausend Kundinnen und Kunden bei der Artikelsuche  im Baumarkt und  ersparte damit Fragen, die anderenfalls an die Mitarbeiter gerichtet worden wären. Denn die meisten Kundinnen und Kunden wollen wissen, wo sie etwas finden. Das ist Zeit, die den Mitarbeitern dann fehlt bei der kompetenten Beratung der Kunden, z.B. bei Montage- oder Renovierungsproblemen.  


Wie verbreitet sind Roboter im Alltag bereits?

Das hängt klar von dem jeweiligen Einsatzfeld ab. Am weitesten fortgeschritten ist definitiv der Handel. Heute finden Sie wie selbstverständlich bereits Inventurroboter in Konfektionsgeschäften oder in Supermärkten.  In der Rehabilitation kamen Roboter erst später zum Einsatz. Auf diesem Gebiet hatten wir seit 2014 die ersten Projekte mit Kliniken in Bad Liebenstein und Eisenberg. Aus einem dieser Projekte ist auch eine Firma hervorgegangen, Tediro, Robotics for Therapy and Diagnostics, die Robotikassistenzsysteme für Kliniken auf den Markt bringen will. Die von der Firma entwickelte Robotiklösung steht bereits kurz vor ihrem Praxiseinsatz. 

In der häuslichen Pflege ist der Einsatz von Robotik am schwierigsten – nicht nur wegen der sehr anspruchsvollen Einsatzumgebung sondern auch, weil hier noch die Geschäftsmodelle und damit die Finanzierungskonzepte fehlen. In Praxistests merken wir aber, dass die Roboter bei den Seniorinnen und Senioren gut ankommen, aber es fehlen derzeit einfach noch die Kostenträger, wie z.B. Pflegekassen. 
 

An Ihrem Fachgebiet arbeiten Sie unter anderem im Projekt MORPHIA an der Entwicklung von Assistenzrobotern in der Pflege und verfolgen dabei einen spannenden Ansatz.

Mit MORPHIA verfolgen wir die Grundidee, dass der Roboter Teil eines Pflegenetzwerks aus Pflegenden, Angehörigen, Freunden und Bekannten ist. Der Roboter übernimmt Aufgaben wie den Transport des Essens von der Küche in das Wohnzimmer. Wenn man auf einen Rollator angewiesen ist, sind beide Hände nicht frei - scheinbar einfache Aufgaben werden dann ganz schnell zur Herausforderung. Oder wenn die Angehörigen die Person nicht erreichen können, besteht die Möglichkeit, den Roboter ferngesteuert durch die Wohnung fahren zu lassen, um nach dem rechten zu sehen. Ein Angehöriger könnte sich zum Beispiel auch auf den Roboter schalten, wenn ein Pflegebedürftiger seine Medikamente einnimmt, um die Einnahme zu kontrollieren. Das Netzwerk übernimmt somit viel stärker eine kommunikative Rolle und der Roboter ist der mobile Helfer vor Ort. Das ist aus der Sicht der Pflege der bessere Weg – nicht die Roboter immer intelligenter und autonomer zu machen, sondern sie zu einem Hilfsmittel für die videobasierte menschliche Fürsorge werden zu lassen.
 

Wie gut kommen Ihre Assistenzroboter bei älteren Menschen an?

Der Einsatz von Robotik hat auch eine soziale Komponente. Wenn die Roboter smart sind, also ein intelligentes Verhalten zeigen und ein freundliches und geduldiges Wesen haben, können sie in der häuslichen Pflege wirklich als Partner verstanden werden. Nehmen wir als Beispiel eine ältere Dame, die alleine wohnt. Ihr Tag wird durch sie selbst strukturiert. In einem vorhergegangenen Projekt „SymPartner – der sympathische Roboter als Partner" haben wir das Zusammenleben dieser Dame sowie weiterer Testpersonen mit einem Assistenzroboter, einem sogenannten Companion Roboter, über einen Zeitraum von jeweils ein bis zwei Wochen getestet. Der Roboter hat sie schon beim Aufstehen jeden Morgen mit Namen begrüßt – das schafft ein Gefühl des Nicht-Alleineseins. Der Roboter unterstützte sie bei ihrer Tagesroutine und ermunterte sie, bestimmte Dinge zu tun. Ab einem gewissen Alter kann es bekanntermaßen passieren, dass  man zum Beispiel das regelmäßige Trinken vergisst. Wenn der Roboter das mitbekommt und daran erinnert, ist das eine hilfreiche und wichtige  Unterstützung. Am Ende der Testphase waren einige der Teilnehmerrinnen wirklich sehr betrübt, dass der Roboter sie wieder verließ und hätten ihn gern behalten.

 

Was zeichnet die an Ihrem Fachgebiet entwickelten Roboter aus?

Wir entwickeln viele unserer Roboter in Kooperation mit der Ilmenauer Firma MetraLabs GmbH. Während wir die intelligenten Algorithmen zur Personenwahrnehmung und Navigation entwickeln, konstruiert und baut das Unternehmen die Roboter. Beim Aussehen und den angebotenen Funktionen orientieren wir uns auch an den Wünschen und Bedürfnissen der Anwenderinnen und Anwender, Stichwort User-Driven Design. Der Roboter muss zum Beispiel eine relativ große Standfläche haben, um einen Teller sicher transportieren zu können. Das wirkt sich wiederum darauf aus, wie die Kameras zur Umgebungswahrnehmung angeordnet werden müssen. Er soll zur Interaktion auch ein Tablet haben, das man im Stehen oder im Sitzen bedienen kann. Das soll zudem so groß sein, dass man darauf auch ohne Brille lesen kann. Jede einzelne Komponente kommt so im Rahmen der Spezifikation des Roboters zusammen und wird dann zum Gesamtsystem zusammengefügt.
 

Wie läuft die Entwicklung eines Assistenzroboters zum Einsatz in der Pflege typischerweise ab?

Wir entwickeln zunächst Algorithmen zur Personenwahrnehmung, Tracking, Wiederkennung und Navigation. Nachdem ein Roboter konstruiert und gebaut wurde, erfolgen typischerweise erste Labortests in Living Labs. An unserem Fachgebiet haben wir eine Wohnung aus mehreren Zimmern nachgebildet, in der Probanden probehalber stundenweise „leben“ können, um die Funktionalität der Roboter zu testen und den Entwicklern wichtige Hinweise auf Nutzungs- und Bedienprobleme zu geben. Wenn diese Tests erfolgreich waren, führen wir Realtests in den Wohnungen unserer Mitarbeiter durch. Dann werden erste Stresstests bei Seniorinnen und Senioren in deren eigener Häuslichkeit durchgeführt. Hier stellen wir oft gravierende Unterschiede zur Laborumgebung fest - ein 80-Jähriger hat häufig eine ganz andere Zimmereinrichtung als ein 20-Jähriger und er bedient die Robotikkomponenten auch ganz anders als ein Entwickler. Erst wenn das alles erfolgreich durchlaufen wird, führen wir anschließend Feldtests bei den Nutzern durch.
 

Sie konzentrieren sich derzeit auf die Anwendung in der Pflege. Sehen Sie darin die Zukunft Ihres Fachgebiets?

Der Handel ist für uns aus Forschungssicht nur noch bedingt interessant, weil er schon durch Unternehmen bedient wird und kaum noch Forschungsbedarf für uns besteht. Die größte Herausforderung ist der Einsatz von Robotik im häuslichen Bereich. So wollen wir die Roboter in Zukunft mit Manipulatoren ausstatten, damit sie den Menschen auch etwas zureichen können. Und wir wollen sie in ihren Abmessungen so weit verkleinern und sie so praxistauglich machen, dass sie in der häuslichen Pflege Einzug halten können.

Mehr Informationen zu den Inhalten und Partnern im Forschungsverbund MOPHIA: www.morphia-projekt.de

Kontakt

Prof. Horst-Michael Groß

Leiter Fachgebiet Neuroinformatik und Kognitive Robotik