Forscher der TU Ilmenau haben gemeinsam mit dänischen Kollegen herausgefunden, wie eine elektrische Spannung die chemische Bindung zwischen zwei einzelnen Atomen beeinflusst. Damit wurde eine einfache Steuerung von Prozessen auf atomarer Skala durch Mittel der makroskopischen Welt möglich. Die Ergebnisse der experimentellen Untersuchung wurden soeben im wichtigsten Journal für physikalische Forschung – Physical Review Letters – publiziert und von den Editoren des Journals zusätzlich durch einen Beitrag in “Physics” hervorgehoben.
Der berühmte Physiker und Nobelpreisträger Richard Feynman hat in seiner bekannten Rede "There is plenty of room at the bottom" die große Bedeutung der Manipulation von Materie – Atom für Atom – vorhergesehen. Heute, mehr als sechzig Jahre nach Feynmans Vision, wird in den Laboratorien das Quanten-Design realisiert. Hierbei werden Strukturen aus atomaren oder molekularen Bausteinen auf Oberflächen gebildet, die gewünschte quantenphysikalische Eigenschaften besitzen. Der atomweise Aufbau von Nano-Objekten ist modernen Rastersondenverfahren – dem Rastertunnel- und Rasterkraftmikroskop – unter extremen experimentellen Bedingungen vorbehalten.
Um solche künstlichen Strukturen zu bilden, bedarf es der Kontrolle über einzelne Atome auf Oberflächen. Insbesondere muss die Spitze des Mikroskops eine temporäre Wechselwirkung mit dem zu transportierenden Atom eingehen. Dem Forscherteam des Fachgebiets Experimentalphysik I der TU Ilmenau unter Leitung von Professor Jörg Kröger ist es gelungen, diese Wechselwirkung in Form einer chemischen Bindung zu realisieren, deren Stärke sich mittels einer angelegten Spannung steuern lässt. Hierzu werden das Gold-Atom am Ende der Spitze eines Rasterkraftmikroskops und ein ausgewähltes Kohlenstoff-Atom im Graphen-Gitter auf einer Oberfläche mit Pikometer-Präzision auf Bindungsabstand gebracht. Eine positive Spannung zwischen Oberfläche und Spitze bewirkt eine starke Gold-Kohlenstoff-Bindung. Sie ist stark genug, um das Graphen-Gitter mehr als 1000 Pikometer von der Oberfläche zu trennen. Liegt hingegen eine negative Spannung an, dann ist die Bindung zwischen den beiden Atomen zu schwach, um der Last standzuhalten.
Der physikalische Mechanismus, der den experimentellen Beobachtungen zugrunde liegt, konnte von theoretisch arbeitenden Physikerinnen und Physikern der Technischen Universität Dänemark aufgedeckt werden. Als entscheidend für die Erklärung des Effekts stellte sich heraus, dass der chemische Bindungscharakter zwischen einem Gold- und Kohlenstoff-Atom polar ist. Infolgedessen lässt die Bindung ihre Kontrolle durch ein elektrisches Feld zu, dessen Orientierung von der Polarität der Spannung festgelegt wird. Die Elektronen der Bindung werden je nach Richtung des Feldes mehr zum Gold- oder mehr zum Kohlenstoff-Atom verschoben, wodurch die Bindungsstärke variiert.
Die Bedeutung der in der Publikation M. Omidian et al., Phys. Rev. Lett. 126, 216801 (2021) vorgestellten Arbeit liegt in der einfachen Steuerung von Prozessen auf atomarer Skala durch Mittel der makroskopischen Welt. Darüber hinaus ermöglicht dieses Verfahren, Bindungsstärken zu manipulieren, so dass chemische Reaktionen und katalytische Aktivität auf atomarer Skala beeinflusst werden können. Stapelungen von 2D-Materialien, die nur eine schwache van-der-Waals-Wechselwirkung untereinander spüren, bieten eine durch den zueinander eingenommenen Drehwinkel bestimmte Vielfalt von faszinierenden Phasen kondensierter Materie. Die neuen Befunde werden dazu beitragen, solche Stapelungen mit wählbaren Winkeln herzustellen und zu untersuchen. Die Experimentalphysik der TU Ilmenau schreitet weiter in der Quanten-Konstruktion der Materie voran und überführt Richard Feynmans Ideen erfolgreich in neue Anwendungen.
Kontakt
Prof. Jörg Kröger
Leiter Fachgebiet Experimentalphysik I