Studium

Ilmenauer Strömungsforscher: „Alles um uns herum strömt und fließt“

Ob in Ozeanen, in der Atmosphäre oder in unserem eigenen Organismus – Strömungsbewegungen existieren überall, weiß Dr. Jörg Schumacher, Leiter des Fachgebiets Strömungsmechanik an der Technischen Universität Ilmenau. Und doch gilt Dr. Schumachers spannendes Fachgebiet als eher unbekannt. Im Interview mit Ramón Lautenschläger, Student der Angewandten Medien- und Kommunikationswissenschaft, erklärt der Wissenschaftler, der im vergangenen Jahr zum Fellow der American Physical Society (APS) ernannt wurde und damit eine der prestigeträchtigsten Ehrungen in der wissenschaftlichen Gemeinschaft der Physiker erhalten hat, wo Strömungsmechanik Anwendung findet und wie er junge Studierende für sein Thema begeistern will.

Prof. Jörg Schumacher vor Bücherregal TU Ilmenau

Guten Tag, Herr Professor Schumacher, Sie leiten das Fachgebiet Strömungsmechanik seit 2013. Warum haben Sie sich dazu entschieden, in diesem Bereich zu forschen?

Ich habe 1988 an der Humboldt Universität in Berlin angefangen, Physik zu studieren. Im Grundstudium haben die Physiker die Vorlesungen gemeinsam mit den Meteorologen und den Kristallographen absolviert, weil es neben der reinen Physik die Orientierung in die beiden genannten Bereiche gab. Und so hat die Strömungsmechanik im Laufe der Vorlesung mein Interesse geweckt.

Im Jahr 1991 habe ich mich nach meinem Vordiplom informiert, wo ich in Deutschland etwas mit Strömungen in der Physik machen kann. Da gab es natürlich nicht so viele Angebote. Letztendlich bin ich jedoch auf die Universität in Marburg an der Lahn gestoßen. Also bin ich nach Marburg gewechselt, habe dann meine Diplomarbeit auf dem Gebiet der Strömungsmechanik geschrieben und bin den Strömungsprozessen seither immer treu geblieben.

Das heißt, Sie sind über Umwege zu Ihrem Fachgebiet gekommen. Wie schaffen Sie es, eine Brücke zu Abiturientinnen und Abiturienten zu schlagen, sodass auch diese, wie Sie, zu dem Schluss kommen: „Ja, ich möchte mich gerne mit Strömungsmechanik auseinandersetzen“?

Es ist ja so: Alles um uns herum strömt und fließt auf irgendeine Weise, auch wenn es uns manchmal nicht ganz bewusst ist. Das fängt bei Dingen im Haushalt an, die mit Wasser zu tun haben, wie beispielsweise dem Kochen. Dann haben wir das beim Blick in die Atmosphäre oder noch weiter in den Kosmos. Das sind alles Prozesse, die mit Strömungsbewegungen zu tun haben und auch häufig mit strömungsmechanischen Modellen beschrieben werden. Es gibt aber auch weitere wichtige Themen im Bereich der Technologie. Das fängt damit an, wie wir uns überhaupt fortbewegen, ob mit Fahrzeugen, Flugzeugen, oder Schiffen. Und geht weiter über das Thema Umwelt in Richtung Klima, Wetter zu den Ozeanen bis hin zur Astrophysik, z. B. wenn es um die Frage geht, wie unsere Erde oder die Sonne ihre Magnetfelder erzeugen und wie sie miteinander wechselwirken. Dann können wir noch weiter gehen und einen Blick in unseren Körper werfen. Dort gibt es auch alle möglichen interessanten Strömungsprozesse, wie zum Beispiel das Blut, das durch unsere Gefäße strömt. Die Strömungsmechanik bietet ein sehr weites Spektrum an Themengebieten.

Wie ich anfangs erwähnt hatte: alles fließt. Und ich denke, das ist so eine Einstiegsmotivation, mit welcher man junge Leute für das Fachgebiet interessieren könnte.

Über welche Förderungsprogramme oder externen Partner versuchen Sie, potenzielle Interessentinnen und Interessenten zu erreichen?

Wir haben natürlich immer den Hochschulinformationstag hier an der TU Ilmenau. Da sind wir regelmäßig vertreten. Da kann sich jeder anschauen, was wir konkret machen. Wir versuchen, den jungen Leuten ein bisschen zu beschreiben, welche Problemstellungen es gibt, die auch das eigene Leben direkt betreffen.

Wenn Sie jetzt an ihr Forschungsgebiet denken, inwiefern sehen Sie da in der Zukunft neue Perspektiven oder gar Forschungsgebiete, die heute wenig oder vielleicht sogar noch gar keine Rolle spielen, aber in zehn Jahren für die frisch Studierten eine Rolle spielen könnten?

Vorrangig denke ich, dass sich die aktuellen Teilgebiete weiterentwickeln werden. Aber so ein grundsätzlich vollkommen neues Gebiet, das neu aus dem Boden gestampft wird, kann ich mir nicht vorstellen.

Wie in allen anderen Wissenschaftsfeldern, wird sich unser Umgang mit Daten rasant ändern. Sowohl die Datenmengen in Experimenten als auch die Rechenkapazitäten werden immer größer. Das heißt, die Menge an Daten, die wir generieren können, wenn wir Strömungen untersuchen, werden immer umfangreicher und vielfältiger.

Eine zweite Sache ist die Technologie, wie wir etwas berechnen. Hier nutzen wir neuerdings eine vollkommen neuartige Technologie, sogenannte Quantencomputer. In diesem Bereich zeichnet sich eine starke dynamische Entwicklung ab. Sie steckt natürlich noch in den Kinderschuhen.

Ansonsten könnte ich mir vorstellen, dass in Richtung der Klimamodellierung immer mehr Methoden Eingang finden werden, bei denen es möglicherweise darum geht, datengetriebene Erkenntnisse zu gewinnen. Aus dieser Vielzahl von Daten, die wir zur Verfügung haben, versuchen wir, Gesetzmäßigkeiten abzuleiten und so auch neue physikalische Gesetze zu finden.

Es gibt ja dieses schöne Sprichwort, „Daten sind der Treibstoff des 21. Jahrhunderts“, und in diesem Sinne ist das zu verstehen. Zusammenfassend, ich denke, dass sich die Art und Weise, wie wir Wissenschaft betreiben, weiterhin stark ändern wird, durch neue Technologien und auch durch neue Wege der Datenanalyse.

Sie sind sehr lange in der Forschung tätig. Inwiefern haben Sie selbst bereits einmal eine derartige Erfahrung gemacht, sodass Sie sagen „Vor 20 bis 30 Jahren habe ich mich damit auseinandergesetzt und heute sind wir schon so weit“?

Ich sehe es immer wieder bei der Rechentechnik, also dem Fortschritt in der Computertechnologie. Denke ich an meine Diplomarbeit zurück, wo ich das erste Mal mit einem Großrechner in Verbindung kam, und das mit den Rechnern vergleiche, mit denen meine Doktoranden heute arbeiten. Die Beschleunigung der numerischen Simulationen, die Kapazität, die Datenbreite und natürlich auch die neuen Technologien, die mit eingeflossen sind. Diese Entwicklung ist schon atemberaubend.

Ich würde gerne noch auf einen letzten Punkt eingehen. Was würden Sie für sich selbst als Ihren größten Erfolg bezeichnen?

Den größten Erfolg? Das ist wirklich schwer zu sagen. Ich meine, man kann natürlich Preise oder Auszeichnungen heranziehen, aber diese würde ich für mich nicht unbedingt als den größten Erfolg bezeichnen. Das Schöne und Spannende an meiner Arbeit ist, dass ich mit jungen engagierten Menschen zusammenarbeiten kann, Ihnen etwas beibringen kann und wir gemeinsam wissenschaftliche Fragestellungen lösen. Das treibt mich an und kann als Erfolg in meiner Arbeit angesehen werden. Das ist das, was den Wissenschaftlerberuf so schön macht. Man hat die Freiheit bei der Wahl des Forschungsthemas, versucht die Forschung voranzutreiben und begeistert andere Leute davon oder wird von Anderen für etwas Neues begeistert. Wenn man das über Jahre machen kann und darf, dann ist das noch schöner als Preise. Das ist zumindest das, was ich mir immer mal wieder sage.

Siehe auch: Renommierte EU-Förderung für TU Ilmenau: Künstliche Intelligenz zur Erforschung von Sonnenturbulenzen

Kontakt

Prof. Jörg Schumacher

Leiter Fachgebiet Strömungsmechanik