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Zehn Jahre Ingenieure ohne Grenzen in Ilmenau: „Hilfe zur Selbsthilfe ist unsere Mission“

Seit 2013 gibt es an der TU Ilmenau eine Regionalgruppe von Ingenieure ohne Grenzen. In ihr haben sich Studierende und Mitarbeitende unterschiedlichster Fachbereiche zusammengeschlossen. Gemeinsam engagieren sie sich dafür, mit ihrem technischen Wissen die Lebensbedingungen von Menschen in den Ländern des globalen Südens nachhaltig zu verbessern. Dafür planen und realisieren sie Infrastrukturprojekte und leisten Bildungsarbeit im In- und Ausland. Anlässlich ihres zehnjährigen Bestehens stellt die Gruppe mit einer Ausstellung in der Universitätsbibliothek vom 11. bis 18. November ihre Arbeit vor. Wir haben mit Regionalgruppenleiter Moritz Mösler, Elektrotechnik und Informationstechnik-Absolvent der TU Ilmenau, über den Auftrag, die Werte und die Visionen der gemeinnützigen Organisation gesprochen.

Ingenieure ohne Grenzen Regionalgruppe Ilmenau
Moritz Mösler bei der Entnahme einer Wasserprobe in Kenia.

Guten Tag, Herr Mösler, der Ingenieure ohne Grenzen e.V. ist eine gemeinnützige und unabhängige Organisation der Entwicklungszusammenarbeit. Wofür genau engagieren Sie sich?

Wir unterstützen Menschen dort, wo technische Zusammenarbeit nötig und möglich ist, um ihre infrastrukturellen Grundbedürfnisse zu erfüllen, insbesondere im Bereich Wasser, Strom, Sanitär und Hochbau. In gemeinsamen Projekten mit lokalen Partnern erarbeiten wir dazu praktische und professionelle Lösungen. Dabei ist uns immer wichtig, dass wir mit unseren Partnern und Begünstigten auf Augenhöhe und mit lokal verfügbaren Ressourcen arbeiten. Indem wir unsere Partner am Entstehungsprozess beteiligen, können sie sich mit dem Projekt identifizieren und das Projekt auch über unsere Arbeit vor Ort hinaus fortführen. Unser Prinzip ist also die Hilfe zur Selbsthilfe.

Sie selbst sind 2013 der Regionalgruppe Ilmenau von Ingenieure ohne Grenzen, kurz nach deren Gründung, beigetreten. Was hat Sie dazu motiviert?

Von Ingenieure ohne Grenzen hatte ich schon während meines Bachelorstudiums in Leipzig gehört und dort auch einen Vortrag über ihre Arbeit besucht. Als mir meine spätere Mitbewohnerin in Ilmenau dann von der Regionalgruppengründung hier erzählte, war ich sofort begeistert und habe mich der Gruppe angeschlossen. Die Möglichkeit, mit meinem Fachwissen dazu beizutragen, anderen Menschen ein Leben in Würde zu ermöglichen, war und ist bis heute meine Motivation.

Wie viele Gründungsmitglieder waren Sie damals, und mit welchen Projekten haben Sie Ihre Arbeit gestartet?

Anfangs waren wir etwa zwölf Leute, wurden aber schnell mehr. Scheinbar hatten wir unter einigen Studierenden einen Nerv getroffen. In der ersten Zeit waren wir auf der Suche nach möglichen Projektideen und hatten dazu auch internationale Studierende eingeladen, die uns die Situation in ihren Heimatländern schilderten. Aus einem der Erfahrungsberichte eines kenianischen Studenten entwickelte sich dabei unser erstes konkretes Projekt. Ein paar Jahre hat es gedauert bis dieses dann umgesetzt wurde – die Finanzierung verlief dabei anfangs sehr schleppend und konnte erst spät durch eine großzügige Einzelspende sichergestellt werden. Bei unserem letzten Projekt in Uganda war das schon besser. Die Finanzierung wurde dabei von einer Nürnberger Stiftung sichergestellt.

In den vergangenen Monaten haben Sie unter anderem eine Photovoltaikanlage in einem Schulzentrum nahe der ugandischen Hauptstadt Kampala aufgebaut. Welchen Herausforderungen sind Sie dabei begegnet?

Das Projekt in Uganda begann 2021 – inmitten der Covid-Pandemie. Das hat unsere Arbeitsweise natürlich beeinflusst. Wir konnten keine Ausreisen durchführen, sondern haben die Projekterkundung und die Umsetzung von unserer Partnerorganisation Engineers Without Borders East Africa durchführen lassen.

Ein Kernelement all unserer Projekte ist die Zusammenarbeit mit ortsansässigen Partnerorganisationen. So stellen wir sicher, dass das Projekt auch nach unserer Tätigkeit weitergeführt und gewartet werden kann. In diesem Fall hat sich das noch mehr bezahlt gemacht als gewöhnlich: Eine Baumaßnahme im internationalen Kontext zu planen ist ohne persönliche Anwesenheit eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit. Dank der Unterstützung von Engineers Without Borders konnten wir nicht nur die Erkundung, sondern auch die Bauausführung ohne größere Probleme durchführen. Mittlerweile verfügt das Schulzentrum über eine funktionierende Photovoltaik-Anlage. Über einen Online-Monitoring-Zugang können wir die technischen Anlagendaten jederzeit einsehen, um Erfahrungswerte für weitere Projekte zu generieren.

Dieses Projekt war nicht ihr erstes großes Auslandsprojekt. Zuvor waren Sie bereits in Kenia tätig.

Unser vorheriges Projekt in Nyamache, Kenia, hatte das Ziel, Lehrkräfte sowie Kinder und Jugendliche in Schulen in einer Streusiedlung besser mit Wasser zu versorgen. Dafür haben wir zusammen mit dem örtlichen Wasserkomitee eine Quellfassung saniert und eine Zisterne als Speicher gebaut. Die Arbeiten an der Wasserversorgung wurden von lokalen Unternehmen ausgeführt und trugen so zu einem nachhaltigen Erfolg des Projekts bei.

Waren Sie selbst damals mit vor Ort?

Ja, ich war selbst zwei Mal für das Projekt in Kenia – einmal für die Projekterkundung und dann ein zweites Mal für die Umsetzung ein paar Jahre später. Der tiefe Einblick in die Lebenswirklichkeit der Menschen vor Ort war für mich sehr prägend. Wir haben bei einem Dorfbewohner übernachtet und sind morgens regelmäßig mit ihm zur entfernt gelegenen Wasserstelle gegangen, um unser Wasser für den täglichen Bedarf in Kanistern zu holen.

Vor Ort haben wir uns mit den lokalen Behörden und ehrenamtlichen Wasserkomitees getroffen, haben verschiedene Schulen besucht und örtliche Handwerker konsultiert. Ich habe viele Menschen erlebt, die großes Interesse haben, die Situation vor Ort zu verbessern, denen aber oftmals finanzielle Mittel oder Know-how dazu fehlen. Diesen Menschen Hilfe zur Selbsthilfe zu geben ist unsere Mission.

Viele Mitglieder der Regionalgruppe sind Studierende und Mitarbeitende der TU Ilmenau, aus ganz unterschiedlichen Fachbereichen. Wie arbeiten Sie in diesen Projekten interdisziplinär zusammen?

Bei uns sind alle willkommen, die sich engagieren möchten, nicht nur TU-Angehörige, auch Ilmenauer Bürgerinnen und Bürger. Auch wenn der Name anderes vermuten lässt – wir suchen nicht nur Ingenieurinnen und Ingenieure! Neben den technischen Aufgaben, die in einem Projekt anfallen, gibt es noch viele andere Möglichkeiten, sich einzubringen. So kümmert sich unsere Public Relations und Fundraising-Gruppe zum Beispiel um die Akquise neuer Mitglieder und Spenden, verfasst Pressemitteilungen sowie Blogbeiträge und gestaltet unsere Printmaterialien. In der Bildungsgruppe erarbeiten unsere Mitglieder Workshops zu Themen wie Nachhaltigkeit, Chancengleichheit und Entwicklungszusammenarbeit. Diese werden dann an Projekttagen in Schulen oder bei der Kinder- und Jugenduni Ilmenau durchgeführt. Handwerklich Begabte und andere Interessierte können sich in unserem Repariertreff engagieren - ein Erfolgsmodell der Regionalgruppe Ilmenau.

Wann haben Sie mit dem Repariertreff gestartet? Und was macht das Projekt aus Ihrer Sicht so erfolgreich?

Den monatlichen Treff gibt es bereits seit 2014. Gemeinsam haben es sich die Mitglieder vorgenommen, defekte Geräte vor der Mülltonne zu retten und gleichzeitig technische Kompetenzen zu vermitteln. Dazu reparieren sie defekte Elektrokleingeräte zusammen mit ihren Besitzenden. Rat und Werkzeug werden dabei vom Repariertreff zur Verfügung gestellt. Auch hier liegt der Fokus auf der Hilfe zur Selbsthilfe, denn der Repariertreff ist kein Reparaturservice.

Was hat Ihnen persönlich die Arbeit in der Regionalgruppe für Ihre eigene Entwicklung gebracht?

Da gibt es so einiges! Im Ehrenamt werden die oft geforderten Soft Skills wie Kommunikations- und Organisationsfähigkeit sowie Lösungsfindungskompetenzen trainiert. Durch die bundesweit über 30 regionalen Gruppen ist man außerdem gut vernetzt und hat bekannte Gesichter in vielen Städten. Die vom Verein angebotenen Workshops haben mir beruflich und privat auch schon oft weitergeholfen. Besonders Augen öffnend war dabei für mich der Workshop zu interkultureller Kommunikation. Nicht zuletzt ist die Arbeit aber auch einfach mit einer ganzen Menge Spaß, vielen Blicken „über den Tellerrand“ und neuen Freundschaften verbunden.

Alle Projekte von Ingenieure ohne Grenzen werden ehrenamtlich durchgeführt und mithilfe von Spenden finanziert. Für die Projekte suchen Sie immer engagierte Menschen, die den Kreis an Fachkräften allen Alters verstärken möchten. Welche Fachbereiche sind besonders gefragt?

Da die Aufgaben so vielfältig sind, suchen wir stets engagierte Mitglieder, nicht nur Ingenieurinnen und Ingenieure. Wir führen alle neuen Mitglieder individuell in ihre Aufgaben ein, sodass sie ihre Fähigkeiten bestmöglich entfalten und sich dabei auch selbst weiterentwickeln können. Für die persönliche Weiterentwicklung eignen sich auch die deutschlandweit von Ingenieure ohne Grenzen angebotenen Workshops. Hier lernen die Teilnehmenden wichtige Soft Skills wie die interkulturelle Kommunikation oder die Organisation von Projekten. In den zahlreichen Fachworkshops, beispielsweise zu Photovoltaik oder Wasserprobenentnahme, werden sie auf die konkrete Projektarbeit vorbereitet. Daneben bieten die Workshops die Möglichkeit, sich überregional zu mit unseren über 4000 Mitgliedern zu vernetzen und wertvolle Erfahrungen auszutauschen.

Ende des Jahres schließen Sie das Uganda-Projekt ab. Gibt es schon Pläne für ein Nachfolgeprojekt, in dem sich neue Mitglieder engagieren können?

Aktuell sind wir auf der Suche nach einem möglichen Nachfolgeprojekt, derzeit formt sich gerade eine Gruppe dazu. Von unserer zentralen Projektkoordination werden regelmäßig Projekte ausgeschrieben, welche an bestehende anknüpfen und gute Ideen weiterführen sollen. Für Interessierte an der Projektarbeit ist gerade der beste Zeitpunkt einzusteigen, um von Anfang an dabei zu sein.

Anlässlich des Jubiläums haben Sie zu einem großen Ehemaligentreffen eingeladen. Wie viele Universitätsmitglieder haben sich in den vergangenen zehn Jahren in der Regionalgruppe engagiert?

Eine genaue Zahl zu nennen ist schwierig, aber es sind über 150 Mitglieder, die in den letzten Jahren in der Regionalgruppe aktiv waren.

Welche Visionen haben Sie für die nächsten zehn Jahre?

Meine Vision ist in den kommenden zehn Jahren noch viele gute Projekte durchzuführen, um möglichst vielen Menschen zu helfen. Dabei werden wir mit jedem erfolgreichen Projekt Erfahrungen gewinnen und uns so kontinuierlich verbessern. Außerdem werden wir mit unserer Bildungsgruppe und unserem Repariertreff weiterwachsen, um das Thema Nachhaltigkeit, welches uns seit Jahren besonders am Herzen liegt, weiter voranzutreiben. Um diese Vision zu erreichen können wir jede helfende Hand gebrauchen.

Vielen Dank für das Interview und weiterhin viel Erfolg für Ihre Arbeit!

Hier finden Sie weitere Informationen zur Regionalgruppe sowie aktuelle Termine.

 

Impressionen aus zehn Jahren Regionalgruppe

Carsten Gatermann

Leitung Public Relations und Fundraising Regionalgruppe Ilmenau Ingenieure ohne Grenzen e.V.