Forschung

Physical Review Letters: Eine Lupe für Quantenanregungen

Wissenschaftlern des Fachgebiets Experimentalphysik 1 / Oberflächenphysik der TU Ilmenau ist es gelungen, eine molekulare Lupe für die Gitterschwingungen eines zweidimensionalen Materials zu realisieren und detailliert zu verstehen. Die Ergebnisse der Arbeit, die in langjähriger und intensiver gemeinsamer Forschungsarbeit mit dem theoretischen Physiker Prof. Mads Brandbyge von der TU Dänemark entstanden sind, wurden soeben in Physical Review Letters, dem wichtigsten Journal für physikalische Forschung, veröffentlicht.

 

Blick in die Ultrahochvakuum-Kammer eines Rastertunnelmikroskops André Wirsig
Blick in die Ultrahochvakuum-Kammer eines Rastertunnelmikroskops

Im Alltag nutzen wir eine Lupe, um Objekte zu erkennen, die mit bloßem Auge nur schwer oder gar nicht zu erkennen sind. Wie aber kann man Quantenanregungen, also die Übertragung kleinster Energieportionen, vergrößert sichtbar machen? Die Antwort darauf haben Wissenschaftler aus Ilmenau und Lyngby jetzt gefunden und dabei wissenschaftlich nachgewiesen, wie ein einzelnes Molekül die spektroskopischen Signaturen von Graphen-Phononen, also der Schwingungsbewegungen einzelner Kohlenstoffatome im Honigwabengitter des zweidimensionalen Materials, verstärken und wie das Schwingungssignal mit Hilfe eines Rastertunnelmikroskops sichtbar gemacht werden kann.

Anders als Lichtmikroskope arbeitet ein Rastertunnelmikroskop nicht mit optischen Linsen, sondern mit dem quantenmechanischen Tunnelstrom. Dieser wird durch die Spitze des Mikroskops lokal in die Probe injiziert und durchquert dabei eine Vakuumbarriere, die für einen gewöhnlichen Strom nicht passierbar ist. Durch die lokale Injektion und die exponentiell empfindliche Abstandsabhängigkeit des Tunnelstroms ist ein Rastertunnelmikroskop zur atomaren Ortsauflösung geeignet, d. h. einzelne Atome von Oberflächen oder auf ihnen deponierter Moleküle können sichtbar gemacht werden.  Darüber hinaus stellt das Rastertunnelmikroskop ein Werkzeug dar, mit dem man Strukturen atomarer Dimension manuell Atom für Atom bauen kann. Dadurch ist eine direkte Verbindung zwischen der makroskopischen Welt und dem Nanokosmos hergestellt. 

Die Information über Quantenanregungen, die für die aktuelle Arbeit die wichtigste Rolle spielen, steckt in der Strom-Spannungscharakteristik, die an ausgewählten Orten der Oberfläche aufgenommen wird: Die angelegte Spannung zwischen Spitze und Probe erteilt dabei den tunnelnden Elektronen Energie, die sie beispielsweise zur Anregung von Atomschwingungen im Graphen-Gitter abgeben können – man spricht in diesem Fall von unelastisch tunnelnden Elektronen. Wird die Energieportion abgegeben, dann ändert sich bei einer bestimmten Spannung der Tunnelstrom. Mit Hilfe von phasenempfindlichen Verstärkern kann dieser winzige Übertrag detektiert werden.

Chemisch maßgeschneidertes Molekül

Die Bedeutung der gegenwärtigen Studie liegt darin, dass sie das in der modernen Oberflächenphysik im Entstehen begriffene physikalische Bild kontrastiert, dass Schwingungen des zweidimensionalen Kohlenstoff-Gitters, wenn es auf Metalloberflächen liegt, durch tunnelnde Elektronen nicht anregbar und folglich nicht beobachtbar sind. Der Grund hierfür ist die gute elektrische Ankopplung des Graphens an die Metallprobe, die zwar einen großen elastischen Tunnelstrom erlaubt, jedoch den unelastischen Elektronentransport, der für die Anregung der Schwingungen nötig wäre, unterdrückt. Die deutsch-dänische Studie widerspricht diesem Bild.

Die von den Wissenschaftlern der TU Ilmenau und der TU Dänemark entwickelte Lupe für Graphen-Schwingungen ist ein einzelnes auf Graphen adsorbiertes Molekül, das ein chemisch maßgeschneidertes Orbital besitzt. Dieses Orbital überlappt mit dem spektralen Bereich der Graphen-Schwingungen. Lässt man nun einen von der Spitze des Mikroskops injizierten Tunnelstrom über das Molekül ins Graphen fließen, so werden Graphen-Schwingungen angeregt, die ohne die molekulare Lupe die Nachweisgrenze nicht überschreiten. Die unterstützenden Simulationen zeigen, dass neben dem Molekülorbital eine hinreichend starke Kopplung zwischen symmetrisch äquivalenten Schwingungsmoden des Moleküls und Graphens bestehen muss. Die Ankopplung des Graphens an das Metall spielt indes keine Rolle.

Quantenmechanischer Mechanismus aufgedeckt

„Wir waren schlichtweg überrascht, als wir die Signatur der Graphen-Schwingungen in den Spektren des Moleküls gesehen haben‟, sagt Prof. Jörg Kröger: „Mit der theoretischen Unterstützung unseres dänischen Kollegen konnten wir schließlich den quantenmechanischen Mechanismus, der den experimentellen Beobachtungen zugrunde liegt, aufdecken. Dieser Mechanismus ist neuartig, erweitert unsere Sichtweise auf den inelastischen Elektronentransport durch Quantenobjekte im Allgemeinen und die Anregung von Graphen-Schwingungen durch tunnelnde Elektronen im Speziellen. Diese Gitterschwingungen spielen beispielsweise bei der Supraleitung des Graphens, die wir im Rahmen eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekts untersuchen, eine wichtige Rolle. Auch beeinflussen die Phononen den Elektronentransport durch Graphen, der für technisch genutzte elektronische Bauelemente relevant ist.”

Teile der beschriebenen Experimente wurden mit dem im Rahmen der ForLab-Initiative des Bundesministeriums für Bildung und Forschung beschafften Tieftemperatur-Rastertunnelmikroskop im Zentrum für Mikro- und Nanotechnologien (ZMN) der TU Ilmenau durchgeführt. Besonders wichtig für den Erfolg der Experimente war dabei die stete Versorgung mit verflüssigtem Helium aus der ebenfalls im ForLab-Projekt genutzten Helium-Wiedergewinnung.

Zum Artikel X. Wu et al., Phys. Rev. Lett. 130, 116201 (2023)

Kontakt

Prof. Jörg Kröger

Fachgebietsleiter Experimentalphysik 1/ Oberflächenphysik