Studium

„Der Wunsch nach Verständnis der Welt“: Als Frühstudierende der Mathematik an der TU Ilmenau

Wenn ihre Klassenkameraden montags nach dem Unterricht chillen oder ihren Hobbies nachgehen, machen sich Paul und Luke auf den Weg in den Hörsaal, um am Frühstudium der TU Ilmenau teilzunehmen. Als Schüler der 11. und 12. Klasse der Goetheschule Ilmenau besuchen die beiden 17-Jährigen seit Beginn des Wintersemesters 2022/23 jede Woche eine Vorlesung und Übung im Studiengang Mathematik. Doch nicht nur das: Wie andere Studierende können sie auch alle anderen Veranstaltungen der Uni besuchen, mit ihrem Studierendenausweis in der Mensa essen sowie Prüfungen ablegen und für ein späteres reguläres Studium anerkennen lassen. Betreut werden sie dabei von Mathematik-Professor Thomas Hotz.

Drei Personen vor einer mit Formeln beschrifteten Tafel TU Ilmenau/Barbara Aichroth
Was macht mehrdimensionale Räume symmetrisch und was hat das für Auswirkungen auf die Physik? Mit diesen Fragen beschäftigen sich Paul und Luke (rechts) im Frühstudium der Mathematik bei Prof. Hotz

Dass schon Schülerinnen und Schüler parallel zum Unterricht an der Uni studieren, kommt an der TU Ilmenau nicht alle Tage vor. „Als wir die Anfrage von Paul und Luke für eine Teilnahme am Frühstudium erhalten haben, haben wir uns sehr darüber gefreut und uns zunächst einmal getroffen und gemeinsam überlegt, welche Vorlesungen in Frage kommen“, so der Leiter des Fachgebiets für Wahrscheinlichkeitsrechnung und mathematische Statistik: „Klar war: Das Abitur muss Vorrang vor allem anderen haben, und es darf kein Schulunterricht für sie ausfallen.“ Die beiden umfangreichen Vorlesungen, mit denen das Mathematik-Studium im ersten Semester startet, kamen für die beiden daher nicht in Frage.

Stattdessen besuchen Paul und Luke aktuell eine Vorlesung zur Differentialgeometrie aus dem 5. Semester: „Dabei handelt es sich quasi um eine fortgeschrittene Art, mit Methoden der Analysis Geometrie zu betreiben, die unter anderem für die gesamte theoretische Physik, beispielsweise für die Kosmologie benötigt wird - eine sehr anspruchsvolle Vorlesung“, erklärt Prof. Hotz. Ein Frühstudium der Mathematik, so der Wissenschaftler, ist daher nur für besonders leistungsstarke Schülerinnen und Schüler geeignet: „Dabei geht es nicht nur um die reinen Inhalte, sondern auch darum, jemanden zu einem Mathematiker zu machen, das heißt ihn oder sie zu befähigen, Dinge präzise aufzuschreiben und zu fassen, also zu denken wie ein Mathematiker.“

Paul und Luke sind auf dem besten Weg dorthin, ist Prof. Hotz überzeugt. Das Ganze soll aber vor allem auch Spaß und Lust auf mehr machen und die Übung im Anschluss an die Vorlesung Gelegenheit für Rückfragen geben. Wenn es dann immer noch hakt, stehen der Übungsleiter und der Professor auch in ihren Sprechstunden für Rückfragen zur Verfügung. Aber auch für die beiden gilt wie für alle Studierenden: „Wir können sie unterstützen, aber vor allem ist ihre Selbstständigkeit gefordert.“

UNIonline hat mit Paul und Luke über ihre Erfahrungen als Frühstudierende an der TU Ilmenau gesprochen.

Wie sind Sie auf das Frühstudium aufmerksam geworden?

Paul: Ich habe damals selbst an der Uni angefragt, ob es so etwas an der TU Ilmenau gibt, weil Herr Moldenhauer, ein Mathematik-Student der TU Ilmenau, ein Leistungszentrum an unserer Schule geleitet und mich bei meiner Facharbeit betreut hat und ich von einem Teilnehmer einer Olympiade wusste, dass es so etwas an anderen Universitäten gibt.

Luke: Nachdem Paul das initiiert hatte, wurde ich von unserem Spezialklassenleiter darauf angesprochen, ob das nicht auch interessant für mich wäre. 

Was genau hat Sie dazu bewegt, schon während der Schulzeit ein Frühstudium zu beginnen?

Luke: Bei mir war es ganz einfach das persönliche Interesse daran zu sehen: Wie ist es so zu studieren und was gibt es für Wissen, das ich noch nicht weiß? Also vor allem Horizonterweiterung. Und zudem habe ich erstaunlicherweise immer noch viel Freizeit neben der Schule.

Paul: Ich hatte vor allem Interesse am Fachgebiet und finde es gut, schon mal ein bisschen Einblick zu erhalten, wie Vorlesungen und Übungen an der Uni ablaufen, und gegebenenfalls sogar schon gewisse Prüfungen vorzuziehen.

Was genau fasziniert Sie an der Mathematik?

Luke: Ich würde es am ehesten als den naiven Versuch beschreiben, grundlegende Sachen verstehen zu wollen. Und wenn ich Mathematik verstehe, dann macht sich Physik auch einfacher, weil das eine ja auf dem anderen beruht und überhaupt eine ganze Menge Sachen auf Mathematik beruhen. Also um es ganz simpel zu fassen: Der Wunsch nach Verständnis der Welt.

Paul: Ich würde noch hinzufügen, dass es ziemlich faszinierend ist, wenn man aus wenigen Grundlagen und wenig Struktur auf so viele Eigenschaften schließen und neue Erkenntnisse gewinnen kann.

Aktuell besuchen Sie ja eine Vorlesung zur Differentialgeometrie. Womit beschäftigen Sie sich dabei?

Paul: Die Differentialgeometrie beschäftigt sich mit Objekten wie Kurven und Flächen und deren Eigenschaften in höherdimensionalen Räumen.

Hat das etwas mit dieser Weltkugel zu tun, die Sie mitgebracht haben, Herr Prof. Hotz?

Prof. Hotz: Ja, wir haben damit veranschaulicht, dass die Sphäre diffeomorph zu SO(3) / SO(2) ist: Wenn man diese Weltkugel nimmt, dann ist diese Kugel perfekt symmetrisch unter Drehungen in allen möglichen Richtungen. Bei der Differentialgeometrie geht es darum, die Phänomene, die dabei auftreten, allgemeiner zu beschreiben, das heißt zu verstehen, was bestimmte mehrdimensionale Räume symmetrisch macht und was das wiederum für Auswirkungen auf die Physik hat, zum Beispiel auf die Energieerhaltung.

Kommen Sie beide bei diesem Stoff mit und können Sie dabei auch an Schulstoff anknüpfen?

Luke: Das Studium unterscheidet sich schon stark von der Schule, und ich persönlich verliere da durchaus manchmal den Faden. Ich denke aber, dass ich die Grundkonzepte gut genug verstanden habe, um dann selbst weiter zu recherchieren.

Paul: Es bedarf schon einiges an persönlicher Nacharbeit. Das mache ich dann oft am Wochenende. In der Schule wird meistens etwas eingeführt, dann macht man kleine Beispiele und eine Übung dazu, die hilfreich zum Verständnis ist. In der Vorlesung gibt es solche Übungen nicht, sondern man muss das im Selbststudium zuhause machen.

Würden Sie sich trotzdem wieder für das Frühstudium entscheiden?

Luke: Ich würde das Frühstudium wieder machen, auch wenn es bei mir nur noch ein Jahr ist, bis ich ohnehin richtig studiere.

Paul: Mir gefällt das Frühstudium vor allem deshalb so gut, weil mir in der Schule der Stoff in vielen Fächern schon bekannt ist und der Unterricht für mich oft nicht mehr so viel Mehrwert liefert, zumal ich schon grob weiß, in welche Richtung ich gehen möchte.

Was genau sind Ihre Pläne für die Zeit nach der Schule?

Luke: Für mich sieht der Plan recht simpel aus: Ich will ziemlich sicher Mathematik studieren, außer ich werde fast vom Blitz erwischt und das überzeugt mich plötzlich Informatik zu studieren. Auch möchte ich spezifisch hier an der TU Ilmenau studieren. Auch meine Eltern haben hier studiert. Daher weiß ich, dass die Uni sehr gut ist, was Mathematik, Informatik und Technik angeht.

Paul: Ich würde das Frühstudium in der 12. Klasse gerne fortsetzen und dann nach der Schule auch an der TU Ilmenau studieren. Weil die Vorlesungen hier nicht so riesig sind, kann man auch einfach mal nachfragen, wenn man etwas nicht ganz verstanden hat. Auch der individuelle Kontakt zu den Lehrenden ist hier möglich. Ich kenne schon jetzt große Teile der Fachschaft, weil ich vor dem Studium auch schon ein zweiwöchiges Praktikum bei Prof. Worthmann gemacht habe und nach Ende der Vorlesungszeit sogar eingeladen wurde, mit den Fachgebieten von Prof. Worthmann und Prof. Hotz auf Klausur in Siegmundsburg zu fahren. Auch die Vorträge dort haben mir sehr gut gefallen, und ich kam erstaunlich gut mit.

Haben Sie denn schon ein bestimmtes Berufsbild vor Augen bei Ihrer Studienwahl?

Luke: Das ist natürlich die Frage: Was macht man dann damit? Am ehesten kann ich mir vorstellen, in der „reinen“ Mathematik zu bleiben, also Professor zu werden. Das ist ein weiter Weg, aber ich habe derzeit noch nicht genug Vorstellungskraft, mir andere Berufe vorzustellen.

Paul: Was das angeht, bin ich mir noch etwas unsicher. Auf jeden Fall möchte ich aber in die Forschung gehen. Dabei würde ich schon eher eine akademische Laufbahn in Betracht ziehen und hoffen, möglichst früh, falls möglich, eine Professur zu erhalten. Allerdings bin ich sowohl an Mathematik als auch Theoretischer Physik sehr interessiert, weshalb ich mich noch nicht endgültig entschieden habe, in welches Gebiet ich schließlich gehen werde. Mathematik ist allerdings momentan mein Favorit.

Vielen Dank für das Gespräch!

Über das Frühstudium

Die Technische Universität Ilmenau ermöglicht Schülerinnen und Schülern der gymnasialen Oberstufe und Teilnehmenden des Freiwilligen ökologischen Jahres (FÖJ), des Freiwilligen Sozialen Jahres (FSJ) oder des Freiwilligen Wissenschaftlichen Jahres/Freiwilligen Jahres in Wissenschaft, Technik und Nachhaltigkeit (FJW/FJN) ein Frühstudium an der Universität. Sie erhalten damit das Recht, an Lehrveranstaltungen ausgewählter Module in nicht-zulassungsbeschränkten Studiengängen teilzunehmen, Studien- und Prüfungsleistungen abzulegen sowie entsprechende Leistungspunkte zu erwerben. Die erfolgreich absolvierten Studien- und Prüfungsleistungen werden in einem späteren Studium an der Technischen Universität Ilmenau anerkannt. Näheres hierzu und zu den Zugangsvoraussetzungen ist in der Ordnung für die Durchführung des Frühstudiums an der TU Ilmenau geregelt.

Kontakt

Prof. Thomas Hotz

Fachgebietsleiter Wahrscheinlichkeitsrechnung und mathematische Statistik