Studium

"Es gibt keine digitale Lehre, nur Lehre mit Hilfe digitaler Werkzeuge"

Hochaktuelle Beiträge zu verschiedenen Aspekten der digitalen Lehre standen auf der Agenda des Digital Teaching Day der TU Ilmenau, der am 29. März 2022 online vor internationalem Hochschulpublikum stattfand – von virtuellen Lehrräumen, hybrider Lehre und ethischen Aspekten bei Online-Prüfungen bis hin zu Gamification, Online-Zusammenarbeit von Studierenden und Remote Labs. 50 Hochschullehrende und Digitalisierungsexperten aus Indonesien, China, Indien, Finnland und Litauen sowie weitere lokale Experten und Expertinnen nahmen an der Konferenz teil und ermöglichten einen umfassenden länderübergreifenden Austausch zum Thema digitale Lehre.

Chris Montgomery

Eröffnet wurde die Konferenz von Prof. Dr. Jens Müller, Vizepräsident für Internationale Beziehungen und Transfer der TU Ilmenau. Ausgehend von seinen aktuellen Erfahrungen bei der Entwicklung eines vollständig digitalen Studienformats des Masterstudiengangs Micro- and Nanotechnologies im Rahmen des Projekts "Internationale Programme Digital - VEDIAS" an der TU Ilmenau ging Prof. Müller auf die vielfältigen Felder der digitalen Lehre ein, die bei der Entwicklung digitaler Formate eine Rolle spielen können: Neben den Chancen und Herausforderungen in Bezug auf Onsite- vs. Offsite-Lehre, die sich z.B. durch Remote-Laborarbeit ergeben, erinnerte er das Publikum daran, wie wichtig eine starke soziale, ansprechende und kollaborative Komponente ist, um qualitativ hochwertige digitale Lehre anbieten zu können.

Direkt im Anschluss lud Irina Tribusean, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachgebiet Medienwissenschaft der TU Ilmenau, die Zuhörenden zu einer sogenannten Icebreaker-Aktivität ein, die sich auch für den Einsatz in digitalen Lernräumen mit Studierenden an jedem Ort eignet und leicht an die Bedürfnisse der Lehrkräfte angepasst werden kann. Dabei setzte sie ein Online-Umfrage-Tool ein, um einerseits die Unterschiede zwischen den Teilnehmenden in Bezug auf ihre Zugehörigkeit zu einer Institution, ihre Herkunft und die Anzahl an Dienstjahren zu veranschaulichen, andererseits aber auch ihre Gemeinsamkeiten, was instabile Internetverbindungen während des Online-Unterrichts, den Einsatz von Kameras und ihre Motivation zur Zusammenarbeit betrifft. Damit hob Irina Tribusean die Bedeutung solcher Icebreaker-Aktivitäten in Online-Lernumgebungen hervor.

Virtuelle Lern- und Kooperationsräume

Prof. Dr. Rolf Kruse, Professor für Digitale Medien und Gestaltung an der Fachhochschule Erfurt, ermöglichte den Teilnehmenden im Rahmen seiner Keynote auf Basis seines jahrzehntelangen Engagement für immersive Lerntechnologien, mehr über "Virtuelle Lern- und Kooperationsräume" aus der Metaperspektive zu erfahren. Nach einem kurzen Überblick über die Geschichte und das Kontinuum virtueller 3D-Lernräume zeigte Prof. Kruse zahlreiche Praxisbeispiele auf: Von Entwicklungen im Spieledesign über industrielle und marktwirtschaftliche Anwendungen wie Simulationen bis hin zu einer neuartigen Metaverse-Umgebung; alle virtuellen Räume zielen zusätzlich zu ihrem pädagogischen Nutzen darauf ab, weit entfernte Orte erlebbar zu machen. Zugleich beleuchtete Prof. Kruse die Lernerfahrungen, die er gemeinsam mit Kollegen und Kolleginnen im Laufe der Jahre im Rahmen der Entwicklung und Nutzung virtueller Lernräume gemacht hat: Lehrenden und Lernenden Zeit und Hilfe für das "Onboarding" zu geben, Lernen und Kommunikation durch themenspezifische Raumgestaltung zu erleichtern, browserbasierte Umgebungen zu nutzen, in denen keine Software installiert werden muss, und den Einsatz von VR-Headsets bzw. -Brillen für ein noch intensiveres Erlebnis zu ermöglichen, gehören zu den wichtigsten Empfehlungen von Prof. Kruse. Weitere Forschungen sind seiner Meinung nach erforderlich, um Werkzeuge zu entwickeln, die einfacher zu bedienen sind. Zugleich empfahl er, mehr Beispiele und virtuelle Raumvorlagen für Lehrende und Studierende bereitzustellen. Auch wenn Prof. Kruse virtuelle Lern- und Kollaborationsräume grundsätzlich befürwortet, stellte er auch fest: "Es gibt keine digitale Lehre, sondern nur digitale Werkzeuge in den Händen der Lehrenden". Didaktisch gesehen trifft diese Aussage vielleicht auf viele, wenn nicht sogar alle Teilnehmenden der Konferenz zu.

Ethische Aspekte bei Online-Prüfungen

Im Anschluss an die Keynote-Präsentation gab Dr. Mathias Magdowski vom Lehrstuhl für Elektromagnetische Verträglichkeit, Institut für Medizintechnik der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, einen kurzen Input zu ethischen Aspekten bei Online-Prüfungen. Dabei lenkte er das besondere Augenmerk darauf, wie Online-Prüfungen sowohl für Lehrende als auch für Studierende weniger stressig und einschüchternd gestaltet werden können. Wenn es um Online-Prüfungen geht, so Dr. Magdowski, haben Prüfende oft großen Respekt vor Kommunikationsproblemen durch unzuverlässige Internetverbindungen, vor Plagiaten, unsichtbaren "Helfern" und sonstigem Betrug. Statt diese Bedenken an die Studierenden weiterzugeben und an einer "überholten Prüfungskultur" und "traditionellen Prüfungsformen" festzuhalten, schlägt Dr. Magdowski vor, Kompetenzen zu prüfen – das heißt die "4 Ks“: Kreativität, Kommunikation, Kooperation und kritisches Denken, eingebunden in jobbezogene oder grundlegende Fähigkeiten, die in der realen Arbeitswelt benötigt werden. Eine Gesamtbeurteilung durch viele Teilbewertungen zu ersetzen, kann seiner Meinung nach ebenfalls dazu beitragen, Prüfungen weniger stressig zu gestalten. Online-Prüfungen "nicht googlebar", kompetenzbasiert und feedbackorientiert zu gestalten, sind Empfehlungen, die Dr. Magdowski selbst seit vielen Semestern in den Ingenieurwissenschaften ausprobiert, die ansonsten immer noch stark von traditionellen Prüfungsformen dominiert sind.

Virtual Reality in der interkulturellen Kommunikation

Bevor der erste Teil des Digital Teaching Day zu Ende ging, wurden in einer Parallelsession noch zwei Erfahrungsberichte präsentiert. Im Breakout-Raum 1 berichteten Prof. Dr. Liane Rothenberger, Fakultät für Journalistik, Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt, und Gunther Kreuzberger, Fachgebiet Virtuelle Welten und Digitale Spiele, TU Ilmenau, über die Ergebnisse eines gemeinsamen Seminars zum Thema interkulturelle Kommunikation, in dem im Wintersemester 2021/22 eine Virtual-Reality-Anwendung eingesetzt wurde, was ein direktes Praxisbeispiel für den Einsatz von VR in der Lehre darstellt. Die Referenten und Referentinnen konnten einerseits die "Learnings" von Prof. Kruse nachvollziehen, betonten andererseits aber auch die Chancen, die eine VR-Umgebung darstellen kann: So könne insbesondere zurückhaltenderen Studierenden die Interaktion durch die Verkörperung über einen Avatar erleichtert werden.

Online-Tools für das Sprachenlernen

Im Breakout-Raum 2 berichtete Dr. Fei Fan, Associate Professor des College of Design and Innovation der Tongji-Universität und Mitgründerin des Future Learning Lab, von ihren Erfahrungen mit einer Kombination aus Online- und Onsite-Tools im Bereich des Sprachenlernens und zeigte gleichzeitig Unterschiede in den Erwartungen von Studierenden und Lehrenden an den didaktischen Anspruch beim Einsatz solcher Tools auf. Während die Lehrkräfte vor allem die Wissensvermittlung als wichtig erachteten, würden sich die Studierenden vor allem einen Erfahrungsraum wünschen, in dem Theorien durch Handeln erlernt werden.

Gamification-Elemente im E-Learning

Nach einer kurzen Pause fand eine Parallelsession mit zwei kurzen Inputs statt. Im Breakout-Raum 1 wurden die Teilnehmenden von Dr. Mathias Bauer, Institut für Medientechnik, TU Ilmenau, mit Gamification-Elementen im E-Learning vertraut gemacht. Der Vortrag konzentrierte sich darauf, wie Gamification-Elemente die Motivation der Lernenden und die Benutzererfahrung in E-Learning-Umgebungen fördern können und gab den Teilnehmenden wertvolle Anregungen zu motivierenden Design-Frameworks, die diese Aspekte ermöglichen. Aufmerksamkeit, Relevanz, Vertrauen und Zufriedenheit (basierend auf dem ARCS-Modell von J. Keller) sowie die dazugehörigen Strategien wie der Einsatz von audiovisuellen Effekten, personalisierte Sprache, die Möglichkeit Vorwissen zu demonstrieren und die Bereitstellung von individuellem Feedback sind laut Dr. Bauer Schlüsselkonzepte, wenn es um Gamification-Design geht. Darüber hinaus, so Dr. Bauer, sind spezifische Gamification-Mechanismen wichtig, um die Motivation der Lernenden zu steigern: Die Einbeziehung von Fortschrittsbalken, Feedback-Mechanismen und Lernzielen kann für die Lernenden im Gegensatz zu Elementen wie Punktetafeln eine besonders wichtige Rolle spielen.

Flipped-Classroom-Szenarien in Online-Lernumgebungen

Im Breakout-Raum 2 sprach Dr. Vita Astuti, Fachbereich Kommunikation, Fakultät für Sozial- und Politikwissenschaften, Universitas Atma Jaya Yogyakarta, über Flipped-Classroom-Szenarien, die sie als Teil ihrer Unterrichtspraxis mit Studierenden von Präsenz- auf Online-Lernumgebungen übertragen hat, wobei die Fortführung einer "Körperlichkeit des Lernens" eine entscheidende Rolle für die Motivation ihrer Lernenden zur Online-Teilnahme spielte. Zugleich berichtete sie von erfolgreichen Lernerfahrungen in Breakout-Räumen, die sich in digitalen Räumen ohne angemessene Moderation für viele Lernende als schwierig erweisen.

Workshops und Erfahrungen aus erster Hand

Gegen Ende des Digital Teaching Day hatte das Publikum die Möglichkeit, an drei verschiedenen Mini-Workshops teilzunehmen, um noch mehr praktischen Input und Erfahrungen zu sammeln. Im Breakout-Raum 1 wurden die Teilnehmenden von Johannes Kretzschmar und Dr. Falko Sojka, Abbe Center of Photonics, Friedrich-Schiller-Universität Jena, eingeladen, einen Einblick in die Remote-Laborarbeit zu erhalten. Zu den Best-Practice-Beispielen gehörten Buddy-Programme über Zoom und Software-Implementierungen, die den Fernzugriff auf Laboreinrichtungen erlauben.

Im Breakout-Raum 2 ermöglichten Gunther Kreuzberger und Gunjan Kumari, Fachgebiet Virtuelle Welten und Digitale Spiele, TU Ilmenau, den Teilnehmenden, ihren VR-Raum, der auf dem browserbasierten Mozilla Hubs Virtual Campus (vcamp) der TU Ilmenau gehostet wird, aus erster Hand zu erkunden.

Im Breakout-Raum 3 demonstrierten Martin Backhaus und Zaryab Chaudhry vom eTeach-Netzwerk Thüringen anhand einer selbst entworfenen Spielekarte mit der Open-Source-Software "WorkAdventure" Gamification-Elemente in der Praxis. Das Interface ermöglicht es Lehrkräften, ihrem digitalen Unterricht eine weitere didaktische Dimension hinzuzufügen, indem sie Studierenden eine spielbrettähnliche Erfahrung mithilfe der Methode "Think-Pair-Share " in einer virtuellen/hybriden Umgebung bieten.

Virtuelle Roundtable-Diskussion und Ausblick

Die virtuelle Diskussionsrunde am Ende des Digital Teaching Day, moderiert von Prof. Dr. Martin Löffelholz, Medien- und Kommunikationswissenschaft, TU Ilmenau, stellte wichtige Erkenntnisse der Teilnehmenden für ihre zukünftige Lehrpraxis heraus. Vor allem wurde in der Diskussion einmal mehr deutlich, dass die digitale Lehre viel zu bieten hat und dabei helfen kann, starre didaktische Strukturen aufzubrechen – sofern sich Lehrende und Pädagogen nicht scheuen, selbst aktiv zu werden und geeignete Werkzeuge auszuwählen.

Um einen weiteren Austausch zu ermöglichen und auch die Perspektive und Erfahrungen von Studierenden in der Online-Lehre einzubeziehen, plant die TU Ilmenau bereits in naher Zukunft einen Digital Learning Day. Weitere Details werden veröffentlicht, sobald sie vorliegen.

Ein besonderer Dank geht an Johanna Gill vom Zentralinstitut für Bildung der TU Ilmenau für die Moderation der Veranstaltung und an Tom Sauer und Kollegen vom Rechenzentrum der Universität für die technische Unterstützung.

Kontakt

Dr. Diana Moehrke-Rasul

VEDIAS-Koordination