Beschleunigte Energiewende in Deutschland? Herausforderung für Politik und Medien

Ergebnisse zur "Die Energiewende aus Sicht der Bevölkerung" im Rahmen des Projekts "Wissenschaftskommunikation Energiewende" veröffentlicht

Mit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine hat sich die Debatte über die Energiewende grundlegend verändert: Die Energieversorgung ist nun auch eine „Frage von nationaler Sicherheit“ und erneuerbare Energien gelten als „Freiheitsenergien“. Unter dem Druck der Abhängigkeit von fossilen Energien aus Russland erfährt die Energiewende gegenwärtig höchste politische Priorität und die Bundesregierung will den Ausbau erneuerbarer Energien massiv beschleunigen. Laut einer aktuellen Befragung der TU Ilmenau vom April 2022 wird eine beschleunigte Energiewende von einer klaren Mehrheit der Bevölkerung (58%) unterstützt. Rund ein Fünftel hat sich dazu noch keine Meinung gebildet. Der Anteil der Gegner einer solchen Neuausrichtung ist mit 23 Prozent eher klein. Ist damit nun der Weg frei für eine grundlegende Neuausrichtung des Energiesystems?

Für eine realistische Einschätzung ist es wichtig, die Haltung der Bevölkerung zur Energiewende außerhalb der gegenwärtigen Krisensituation zu betrachten, denn die Energiewende ist kein neues Thema. Bereits vor der Bundestagswahl 2021 war der Umbau des Energiesystems ein zentrales Wahlkampfthema. Allerdings wurde die Energiewende damals vor allem im Kontext des Klimawandels diskutiert und nicht vor dem Hintergrund steigender Preise fossiler Energien und gefährdeter Versorgungsicherheit.

Laut einer von der TU Ilmenau im August 2021 durchgeführten Befragung von 2025 Bürgerinnen und Bürgern im Alter zwischen 14 bis 65 Jahre wurde die Umsetzung der Energiewende auch im Vorjahr bereits von 74 Prozent befürwortet. 15 Prozent lehnten sie ab; weitere 11 Prozent waren noch nicht entschieden.

Betrachtet man jedoch die Unterstützung verschiedener Maßnahmen, die für das Gelingen der Energiewende essentiell sind, dann zeigte sich ein gemischtes Bild: Die größte Unterstützung findet der Bau von Photovoltaikanlagen auf Dächern und an Fassaden in Städten und Dörfern (69%) und die Errichtung von Offshore-Windkraftanlagen auf dem Meer (56%). Auf eine deutlich geringere Akzeptanz trifft hingegen der Bau von Windkraftanlagen in der Nähe des eigenen Wohnortes (43%) oder der Aus- und Neubau von Stromtrassen durch die Region in der man wohnt (37%). Auch hinsichtlich des Einsatzes von Wasserstoff als Energieträger, war noch Zurückhaltung in der Bevölkerung erkennbar: Kaum mehr als die Hälfte der Menschen (52%) war der Meinung, dass grüner Wasserstoff verstärkt für die Energieversorgung in Deutschland eingesetzt werden sollte.

Aber es sind nicht nur einzelnen Maßnahmen die umstritten sind, das Image der Energiewende insgesamt war alles andere als positiv: Die Befragten erleben sie vorrangig als teuer und schleppend, sowie chaotisch und bürgerfern. Überdies sind die meisten eher pessimistisch und besorgt, wenn sie an die Umsetzung des Projekts denken.

Entsprechend negativ wurde auch die Arbeit der früheren CDU/CSU geführten Koalition in Sachen Energiewende bewertet: Fast dreiviertel der Bürgerinnen und Bürger hielten die Bundesregierung mit der Energiewende für überfordert. Zwei Drittel der Befragten beklagten, dass sie nicht angemessen an deren Umsetzung beteiligt werden. Gerade mal 24 Prozent fühlten sich in ihren Ängsten und Sorgen hinsichtlich der Energiewende ernst genommen. „Die neue Bundesregierung hat die Chance, hier vieles besser zu machen“ so die Ilmenauer Forscher „allerdings wird dies nicht leicht werden, denn das Vertrauen in die politischen Akteure ist bei diesem Thema insgesamt nur gering. Egal ob man in die Kommunen, die Länder oder auf die Bundesebene schaut, weniger als ein Viertel der Bürgerinnen und Bürger vertraut darauf, dass die Politiker die Energiewende konsequent und erfolgreich umsetzen werden.“

Alles in allem verdeutlichen die Befunde dieser Studie, die kürzlich in einer Open-Access-Publikation veröffentlicht wurden (https://doi.org/10.22032/dbt.51678), dass die Bevölkerung der Energiewende gegenüber generell zwar positiv eingestellt ist, viele Maßnahmen und deren Umsetzung jedoch eher kritisch bewertet. Nach Einschätzung der Ilmenauer Forscher zeigen die Ergebnisse, dass die aktuelle kriegsbedingte Unterstützung der Energiewende durch die Bevölkerung kein Garant dafür ist, dass die bevorstehenden Transformationsprozesse reibungslos verlaufen werden. „Es ist damit zu rechnen, dass sich die Widerstände schon bald formieren werden und es großer kommunikativer Anstrengungen bedarf, um die notwendige Unterstützung in der Bevölkerung dauerhaft zu sichern. Eine besondere Bedeutung spielen in diesem Zusammenhang die Medien. Sie informieren nicht nur über die anstehenden Veränderungen, sondern sie tragen auch dazu bei, ob die Bevölkerung sie unterstützt oder ablehnt“ so die Ilmenauer Wissenschaftler.

Dass es diesbezüglich noch Nachholbedarf gibt zeigen andere Resultate der Studie: Zwar ist nach Einschätzung einer deutlichen Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger die Berichterstattung über die Energiewende vertrauenswürdig (62%) und korrekt (61%) und nur ein relativ geringer Anteil ist von dieser genervt (35%) oder möchte sie nicht mehr hören und sehen (31%). Andererseits fällt das Urteil über die Informationsintensität überwiegend negativ aus. Fast zwei Drittel der Befragten waren der Ansicht, dass die Medien zu wenig über die verschiedenen Aspekte der Energiewende berichten.

Erhoben wurden die Daten vom Fachgebiet für Empirische Medienforschung und Politische Kommunikation der TU Ilmenau im Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projekts „Wissenschaftskommunikation Energiewende“.