03.05.2022

Elektroenergieversorgung der Zukunft: Neue Großanlage eingeweiht

Große Versuchsanlage im LaborTU Ilmenau
Versuchsaufbau zum Inbetriebnahme-Test der MMV

Mit einem Wissenschaftlichen Kolloquium hat die Technische Universität Ilmenau am 2. Mai 2022 im Zentrum für Energietechnik (ZET) des Thüringer Energieforschungsinstituts (ThEFI) eine neue Großanlage für Forschungsarbeiten zur Energieversorgung der Zukunft eingeweiht. Die vom Land Thüringen im Rahmen eines TAB-Projekts geförderte Mittelspannungs-Mischstrom-Versuchsanlage (MMV) kann mit bereits vorhandenen Hochleistungsanlagen am Zentrum gekoppelt werden und eröffnet Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern völlig neue Forschungsmöglichkeiten für experimentelle Untersuchungen zur Gleichstromtechnik und anderen im Zuge der Energiewende bedeutsamen Übergangstechnologien.

Während unser gegenwärtiges Stromnetz weitestgehend auf Wechselstrom (AC) beruht, verwenden immer mehr Geräte intern Gleichstrom (DC). Dies führt zusammen mit dem Ausbau volatiler erneuerbarer Energien zu einer zunehmenden Belastung und Instabilität des Stromnetzes. Um diesen Herausforderungen zu begegnen, werden aktuell zwei Ansätze verfolgt: Einerseits wird das bestehende Wechselstromnetz durch die Integration zusätzlicher Energiespeicher optimiert. Ist das Optimierungspotenzial jedoch ausgeschöpft, muss das Stromnetz ausgebaut werden. Dabei kommt der Gleichstromtechnologie eine besondere Bedeutung zu. Denn mit ihren Vorteilen gegenüber Wechselstrom wie einer hohen Übertragungsleistung bei geringerem Materialeinsatz gilt sie als vielversprechende Möglichkeit, um künftige elektrische Energiesysteme effizient, ressourcenarm und damit ökologisch vertretbar zu gestalten.

Um diese Potentiale der Gleichstromtechnologie in der Praxis zu prüfen und kostenoptimale Übergangsszenarien wie den parallelen Betrieb von Wechselstrom- und Gleichstromnetzen bis hin zur gleichzeitigen Übertragung von Wechsel- und Gleichstrom in nur einem Leitungssystem, so genannte Mischstrom-Übertragungssysteme, zu entwickeln und umzusetzen, arbeiten an der TU Ilmenau bereits seit den 80er Jahren mehrere Fachgebiete auf dem Gebiet der Elektrischen Energietechnik intensiv mit inhaltlich nahestehenden Fachgebieten wie dem Maschinenbau, der Automatisierungstechnik, Informatik, Physik oder den Wirtschaftswissenschaften zusammen. Diese erfolgreiche Arbeit konnte in den vergangenen Jahren durch drei zusätzliche Stiftungsprofessuren und eine exzellente Infrastruktur im Zentrum für Energietechnik konsolidiert werden. Koordiniert werden die Forschungsarbeiten seit 2019 im Thüringer Energieforschungsinstitut (ThEFI) unter Leitung von Prof. Dirk Westermann, das die Forschung von insgesamt 13 Fachgebieten in allen Bereichen der Energie-, Umwelt- und Systemtechnik auf nationaler und internationaler Ebene bündelt.

Experimentelle Untersuchungen an Nieder- und Mittelspannungs-AC- und DC-Netzen

Der Forschungsschwerpunkt in der Elektrischen Energietechnik liegt dabei auf experimentellen Untersuchungen an Nieder- und Mittelspannungs-AC- und -DC-Netzen, ihren Komponenten und ihrem Systemverhalten. „Damit gehört die TU Ilmenau im deutschsprachigen Raum zu den drei bis vier führenden Einrichtungen in diesem Bereich“, so Prof. Jürgen Petzoldt. In seiner Keynote zum Eröffnungskolloquium stellte der emeritierte Professor für Leistungselektronik und Steuerungen in der Elektroenergietechnik und langjährige Prorektor für Bildung an der TU Ilmenau die Forschungsmöglichkeiten vor, die sich mit der neuen Versuchsanlage ergeben, insbesondere für experimentelle Untersuchungen im Mittelspannungsbereich für alle Komponenten einer Gleich- und Mischspannungs-Übertragung – für die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der TU Ilmenau, aber auch für Forschungs- und Industriepartner sowie Studierende der Universität. „Die mit Hilfe des MMV-Projekts und verschiedener Vorgängervorhaben installierte experimentelle Infrastruktur ist in ihrem Zusammenwirken einmalig und bietet beste Voraussetzungen für bereits laufende und kommende Forschungsvorhaben an der TU Ilmenau“, so Prof. Petzoldt.

Herzstück der Anlage: die Mittelspannungs-Mischstrom-Prüfanlage MMP

GleichstromimpulsTU Ilmenau
Auf der Mittelspannungs-Mischstrom-Prüfanlage MMP erzeugter Gleichstromimpuls

Die neue Versuchsanlage besteht aus mehreren Teilen, die sowohl zusammen als auch selbständig genutzt werden können. Ihre Leistungsfähigkeit demonstrierte Prof. Michael Rock, Leiter des Fachgebiets Blitz- und Überspannungstechnik, im Eröffnungskolloquium anhand eines aufgezeichneten Inbetriebnahme-Tests: Die größte und leistungsstärkste Teilanlage, die so genannte Mittelspannungs-Mischstrom-Prüfanlage MMP, ist in der Lage, mit einer gespeicherten Energie von maximal zwei Megajoule bei bis zu 20 Kilovolt Gleich- und Stoßströme bis zu 100 Kiloampere zu generieren. Damit kann sie unter anderem für Forschungen zu elektromechanischen, leistungselektronischen und hybriden Gleichstrom-Schaltern sowie für Untersuchungen an Hochspannungs-Hochstrom-Lichtbögen mit Rechteck- und Stoß-Impulsen eingesetzt werden. Zu den weiteren Teilen der Anlage gehört eine Unidirektionale DC-Quelle als spezielle leistungselektronische Einrichtung mit bis zur Mittelspannung erweitertem Spannungsbereich und ein High-Voltage Modular Multilevel Converter als Stromrichter mit interner Speicheroption zur AC-DC-Kopplung sowie als DC-Quelle zur Mischstromübertragung. „Die Modularität und Austauschbarkeit dieser einzelnen Komponenten bis zur Mittelspannungsebene ist vermutlich weltweit einzigartig und sowohl für die Grundlagen- und angewandte Forschung als auch für industrienahe Forschungsdienstleistungen von hohem Nutzen“, so Prof. Petzoldt.

Bereits heute wird die Forschungsinfrastruktur am ZET insbesondere von aus der TU Ilmenau hervorgegangenen Start up-Unternehmen intensiv genutzt und hat wichtige gemeinsame Forschungsergebnisse mit der Universität und weiteren Forschungspartnern hervorgebracht, die bis hin zu gemeinsamen Patenten geführt haben. Prof. Petzoldt: „Mit dieser erfolgreichen Symbiose und der exzellenten Infrastruktur im ZET leistet das ThEFI einerseits einen wesentlichen Beitrag zum industrienahen Forschungstransfer und zur Fachkräfteabsicherung der regionalen Industrie und trägt andererseits wesentlich zur Umsetzung der Energiewende und zu Lösungen von eng damit verbundenen Fragen der Elektromobilität bei.“