Forschungsprojekt thurAI – Intelligente Biomedizintechnik


 

Überblick

In der Biomedizintechnik trifft man häufig auf inverse Probleme, bei denen man von äußeren Messdaten auf die inneren Eigenschaften des Körpers schließen möchte. Beispiele aus dem Institut für Biomedizinische Technik sind (i) die Bildgebung pathologischer Gewebeveränderungen im menschlichen Gehirn mittels quantitativer Magnetresonanztomographie oder (ii) die Früherkennung von Stoffwechselveränderungen mittels Fluorescence Lifetime Imaging Ophthalmoscopy (FLIO) für einen rechtzeitigen Therapiebeginn zum Schutz vor Erblindung. Die klassischen Lösungsmethoden verlangen es, die Probleme möglichst vereinfacht zu modellieren. Die Entstehung der Signale aus den Quellen (Vorwärtsproblem) ist in den meisten Fällen bereits viel detailreicher verstanden als wir es mit klassischen Lösungsmethoden berücksichtigen können. Deep Learning kann komplizierte, nichtlineare inverse Zusammenhänge implizit aus den Trainingsdaten herleiten. Das führt zu einem Paradigmenwechsel, weil man nun sämtliches Wissen in das Model integrieren kann – und sollte. Die Berücksichtigung kleinster und komplizierter Effekte bei der Auswertung biomedizinischer Daten ermöglicht frühzeitigere und genauere Diagnosen und macht Neues sichtbar.

Biophysikalisch informiertes Deep Learning für quantitative MRT-Bildgebung der Mikrostruktur des menschlichen Gehirns

Das zentrale Phänomen der MRT-Bildgebung ist die Kernspin-Präzession mit der Magnetresonanzfrequenz. Diese Frequenz wird in biologischem Gewebe um einige Millionstel verschoben. Stand der Technik ist es, die Frequenzverschiebung ausschließlich der magnetischen Suszeptibilität zuzurechnen. Weitere Ursachen sind zwar bekannt, konnten bisher aber nicht in die numerischen Verfahren integriert werden. Dieses Projekt hat zum Ziel, zusätzliche biophysikalische Mechanismen zu modellieren und damit eine Bildgebung Mikrostruktur-bezogener Veränderungen zu ermöglichen. Das Ergebnis dient der Erforschung und Diagnose von Multipler Sklerose und weiteren neurodegenerativen Erkrankungen.

Früherkennung von Netzhauterkrankungen durch funktionelle Bildgebung mittels KI-Verfahren

Ernste Augenerkrankungen, welche bis zur Erblindung führen, beginnen häufig mit Stoffwechselveränderungen, lange bevor morphologischen Veränderungen am Augenhintergrund durch Augenärzte erkannt werden können. Stoffwechselveränderungen können mittels geeigneter Medikamente behandelt werden. Dadurch kann bleibenden morphologischen Schäden in der Netzhaut und letztlich Erblindung vorgebeugt werden. Die frühzeitige Erkennung einer beginnenden Krankheit ist daher extrem wichtig. Mittels Fluorescence Lifetime Imaging Ophthalmoscopy (FLIO) können Stoffwechselveränderungen in der Netzhaut frühzeitig detektiert und beobachtet werden. FLIO ist keine direkte Bildgebungsmodalität, die Daten müssen verarbeitet werden, um die Fluoreszenzlebensdauer oder darauf basierende Merkmale zur Diagnose von Erkrankungen zu extrahieren. Dieses inverse Problem beinhaltet typischerweise einen modellbasierten Prozess (tri-exponentielles Modell), bei dem iterative Optimierungsmethoden zur Schätzung der Fluoreszenzlebensdauern und anderer Kenngrößen verwendet werden. Die Genauigkeit dieser Schätzmethoden hängt stark von den verwendeten Parametern ab. Außerdem sind diese Verfahren rechenintensiv und dadurch zeitaufwendig. Diese Komplexität, zusammen mit einem Mangel an standardisierten Methoden und die daraus resultierende Fehleranfälligkeit der Fluoreszenzlebensdauer, begrenzt die weitere Verbreitung von FLIO, insbesondere im klinischen Umfeld.

Ziel dieses Projekts ist die KI-basierte Schätzung der Fluoreszenzlebensdauern aus den FLIO-Daten. Durch den Einsatz der Deep Learning Techniken sollen Artefakte in den Fluoreszenzlebensdauern vom Augenhintergrund minimiert, die Fluoreszenz der Augenlinse unterdrückt und der dafür notwendige Zeitaufwand stark reduziert werden. Ein weiteres Ziel ist die Reduktion der benötigten Fluoreszenzphotonen für eine robuste Fluoreszenzlebensdauer-Schätzung, um so die Patientenbelastung (insb. die Messdauer) zu verringern und die klinische Akzeptanz zu erhöhen.