Engineering for Smart Manufacturing (E4SM)

1 Hintergrund

Eine wesentliche Grundidee von Industrie 4.0 ist es, Daten aus allen Bereichen eines Produktionsprozesses integriert zu nutzen. Das erschlossene umfangreiche Datenmaterial ermöglicht völlig neue Einsatzgebiete für maschinelles Lernen und Techniken der künstlichen Intelligenz, die zur Erzielung erheblicher Effizienzsteigerungen durch den Einsatz von Assistenzsystemen genutzt werden können.

Bereits seit einigen Jahren haben sich neuartige Machine-Learning-basierte Ansätze in sehr unterschiedlichen Kontexten bei der Lösung spezifischer Aufgabenstellungen (z.B. Personenerkennung in Videodaten, selbstadaptierende Spielstrategien) erfolgreich etabliert und dabei oft klassische Problemlösungsstrategien und selbst Menschen in ihrer Genauigkeit und Effizienz übertroffen. Hierbei werden bislang jedoch meist sehr eng abgegrenzte Problemstellungen adressiert. Im Kontext von Industrie 4.0 wird es sein volles Potential aber erst dann entfalten können, wenn es gelingt, auf maschinellem Lernen basierte Verfahren so zu realisieren, dass sie die Daten aus unterschiedlichen Bereichen des Produktionsprozesses in die Lernprozesse einbeziehen. Vor einem Einsatz in größeren industriellen Zusammenhängen sind darüber hinaus Fragen der IT-Security, Safety, Zuverlässigkeit und Vorhersagbarkeit zu lösen.

2 Zielsetzung

Das Ziel des mit drei Millionen Euro an der TU Ilmenau seit dem 01.05.2019 durch die Carl-Zeiss-Stiftung geförderten fünfjährigen Projektes „Engineering for Smart Manufacturing“ (E4SM) ist die Erforschung innovativer Methoden für die Entwicklung und den Betrieb von auf maschinellem Lernen basierenden Assistenzsystemen für die intelligente Fertigung in industriellen Anwendungsszenarien. Im Kontext von Industrie 4.0 sollen dabei insbesondere die Anforderungen und Besonderheiten bei Fertigungs- und Montageprozessen kleiner und mittelgroßer Unternehmen (KMU) berücksichtigt werden. Das Ziel besteht darin, den Einsatz von maschinellem Lernen und Assistenzsystemen für KMUs besser plan- und beherrschbar zu gestalten und somit die Einstiegshürden für den Einsatz dieser Technologien zu senken.

3 Untersuchungsrahmen

Als exemplarische und zudem übertragbare und demonstrierbare Anwendungsszenarien wurden in Abstimmung mit den assoziierten Partnern, dem Thüringer Zentrum für Maschinenbau (ThZM) und dem Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum Ilmenau, das “Vorrichtungsfreie Laserstrahlschweißen” und die “Variantenreichen Montageprozesse” identifiziert, in deren Kontext die in diesem Vorhaben bearbeiteten Methoden und Techniken erforscht, erprobt und demonstriert werden sollen.

Beim Laserstrahlschweißen ergibt sich prozessspezifisch eine relative Verschiebung der Bauteile zueinander, die eine genaue Positionierung und Fixierung erforderlich machen. Die benötigten (Spann-)Vorrichtungen stellen einen hohen Kostenfaktor dar. Könnten jedoch visuell geführte Robotersysteme die Teile aktiv halten und die Bewegung des Festspannens nachbilden, entfiele eine produktspezifische Spannvorrichtung. Es würde erstmalig ermöglicht, auf teure zeitintensive Betriebsmittel zu verzichten und eine flexiblere Aufteilung der Fertigungsabläufe zu erzielen.

In Fertigungsprozessketten für variantenreiche Kleinserien gibt es immer anspruchsvolle, feinmotorische Teilaufgaben, die von Robotern noch nicht sinnvoll und wirtschaftlich übernommen werden können und die daher vom Menschen durchgeführt werden. Reibungslose und effektive Abläufe erfordern daher eine enge und abgestimmte Kollaboration von Mensch und Assistenzroboter. Zur Unterstützung des Montageprozesses sollen mobile robotische Montageassistenten eingesetzt werden, die aufbauend auf initialem Wissen und Erfahrungen im Wechselspiel mit dem Menschen im Interaktionsprozess hinzulernen können, zunehmend proaktiver werden und ihre Handlungen so kontinuierlich verbessern.

Eine Besonderheit des Vorhabens E4SM ist die klare Fokussierung auf integrierte und ganzheitliche Engineering-Methoden für den Einsatz von lernbasierten Assistenzsystemen in der Fertigung. So sollen entwickelte Teillösungen in den wichtigen Kernbereichen kollaborative Assistenzrobotik, Management und Analyse heterogener Datenmengen aus industriellen Fertigungsprozessketten sowie IT-Security und IT-Safety mithilfe eines ganzheitlichen (Software-)Entwicklungsprozesses integriert werden.

Michael Reichel (ari)

4 Projektkonsortium

Zur Erreichung der Ziele des durch die Carl-Zeiss-Stiftung geförderten Projekts E4SM werden die Kompetenzen aus sieben international ausgewiesenen Fachgebieten der beiden Fakultäten “Informatik und Automatisierung” und “Maschinenbau” der TU Ilmenau gebündelt und mit einer neu aufgebauten Nachwuchsgruppe interdisziplinär kombiniert. Beteiligt sind:

  •  Fachgebiet Neuroinformatik und Kognitive Robotik
  • Fachgebiet Telematik/Rechnernetze
  • Fachgebiet Softwaretechnik für sicherheitskritische Systeme
  • Fachgebiet Datenbanken und Informationssysteme
  • Fachgebiet System- und Software-Engineering
  • Fachgebiet Fertigungstechnik
  • Fachgebiet Qualitätssicherung und industrielle Bildverarbeitung
  • Nachwuchsforschergruppe Maschinelles Lernen

Assoziierte Partner sind das Thüringer Zentrum für Maschinenbau (ThZM) und das Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum Ilmenau. Außerdem wird das Projekt E4SM intensiv begleitet von einem hochkarätigen Unternehmensbeirat bestehend aus dem Honda Research Institute Europe, der Robert Bosch GmbH, der LASO tech Systems GmbH, der Metralabs GmbH, der Henkel und Roth GmbH und dem TÜV Thüringen e.V..

5 Status

Das Projekt ist zum 01.05.2019 gestartet und wurde am 09.05.2019 öffentlich vorgestellt. Erste prototypische Umsetzungen der beiden Anwendungsszenarien und erste Experimente wurden dem Unternehmensbeirat im Rahmen eines Workshops am 18.06.2020 präsentiert. Im Anwendungsszenario “Vorrichtungsfreie Laserstrahlschweißen” wurden die Einflüsse der Schweißgeschwindigkeit und der Blechdicke auf die Schweißnahqualität bei nur teilweise fixierten Blechen untersucht. Die Schweißprozesse wurden multisensorisch erfasst. Als nächster Schritt soll anhand der sensorischen Daten mittels maschinellen Lernens prädiziert werden ob der aktuelle Schweißprozess erfolgsversprechend verläuft oder ob ein Eingriff notwendig ist. Im Anwendungsszenario “Variantenreichen Montageprozesse” wurden experimentelle Daten in einem Montageprozess aufgenommen. Als nächster Schritt sollen die Handlungen des Monteurs mittels maschinellen Lernens analysiert werden, sodass ein Roboter die einzelnen Verarbeitungsschritte erkennen kann. Langfristig soll damit ein proaktives Handeln des Roboters ermöglicht werden. Außerdem wurden erste Verfahren zum Greifen von Werkstücken durch einen Roboterarm prototypisch umgesetzt.

Kontakt

Prof. Dr.-Ing. Horst-Michael Groß
Fachgebiet Neuroinformatik und Kognitive Robotik

Prof. Dr.-Ing. Günter Schäfer
Fachgebiet Telematik/Rechnernetze

Dr.-Ing. Markus Eisenbach
Leiter der E4SM-Nachwuchsforschergruppe Maschinelles Lernen
markus.eisenbach@tu-ilmenau.de

Webseite Projekt E4SM