Kraft bei der in-statu-nascendi-Metallierung eines einzelnen Farbstoffmoleküls
K. Rothe, N. Néel, M.-L. Bocquet, J. Kröger, J. Am. Chem. Soc. (akzeptiert zur Veröffentlichung am 22. März 2022)
Das atomare Kraftmikroskop hat sich seit seiner Erfindung durch Gerd Binnig und Mitarbeitern (IBM Zürich, 1986) auch zu einem machtvollen Instrument für die experimentelle Quantenchemie auf Oberflächen entwickelt. Die Spitze des Mikroskops kann präzise gesteuert werden, um Materie auf atomarer Skala zu manipulieren. Insbesondere können chemische Reaktionen zwischen zwei einzelnen Atomen oder Molkülen induziert werden.
Im Rahmen seiner Masterarbeit ist es Karl Rothe (Fachgebiet Experimentalphysik 1) gelungen, die attraktive Kraft bei einer wichtigen chemischen Reakton – der Metallierung eines Farbstoffmoleküls – zu messen. In seinen Experimenten hat er dazu ein einzelnes Silberatom mit einem einzelnen Phthalocyanin-Molekül zur Reaktion gebracht. Wie funktioniert dies?
Phthalocyanine sind Makrozyklen aus Benzopyrrol-Einheiten (Abb. 1a), die im metallfreien Fall zwei Wasserstoffatome im Zentrum des Makrozyklus koordinieren. Vor der Metallierung müssen diese beiden Atome entfernt werden. Nach einem bekannten Rezept hat der Erstautor der Studien durch die lokale Injektion eines Tunnelstroms die Wasserstoffatome sukzessive abstrahiert und die Produkte dieser Dehydrogenierung hochaufgelöst abgebildet (Abb. 1b). Die extrem scharfen Abbildungen finden mit einem atomaren Kraftmikroskop im Nicht-Kontakt-Frequenz-Modulations-Modus bei konstantem Spitze-Probe-Abstand statt. Darüber hinaus bedarf es einer sehr scharfen Spitze, die durch ihre gezielte Terminierung mit einem einzelnen CO-Molekül erreicht wird (Abb. 1c). Der Abstand zwischen CO-Spitze und dem Molekül liegt im Pauli-Abstoßungsbereich und ist infolgedessen vergleichbar mit der Bindungsentfernung zwischen CO und Farbstoff. Das dehydrogenierte Phthalocyanin kann nun ein einzelnes Metallatom aufnehmen. Hierzu wird eine mit einem einzelnen Silberatom terminierte Spitze verwendet. Das Silberatom wird ohne weiteren äußeren Stimulus von der Spitze auf das Molekül übertragen, wenn der Abstand, der mit Sub-Pikometer-Präzision in den Experimenten kontrolliert wird, klein genug ist.

Um nun die Kraft zu bestimmen, die bei der in-statu-nascendi-Metallierung involviert ist, wird simultan mit der Verringerung des Abstands zwischen Spitze und Probe die Änderung der Resonanzfrequenz der piezokeramischen Stimmgabel, die die Spitze trägt (Abb. 2a), gemessen. Dieser Aufbau lässt sich in einem einfachen mechanischen Modell verstehen (Abb. 2b). Die Schwingung des freien Arms der Stimmgabel mit metallischer Spitze stellt eine harmonische Oszillation mit der Federkonstanten k0 dar; die Wechselwirkung zwischen Spitze und Probe wird durch eine weitere Feder mit der Federkonstanten ksp beschrieben. Bei Annäherung der Spitze an die Probe ändert sich ksp und damit die Resonanzfrequenz des Oszillators. Die Metallierung des Einzelfarbstoffs wird durch eine abrupte Verkleinerung der Resonanzfrequenz signalisiert (Abb. 2c). Hieraus lässt sich die zugehörige Kraft ableiten, die für die Metallierung mindestens 450 pN beträgt. Die assoziierte Energie gewinnt man durch Integration des Kraftsignals bis zum letzen Datenpunkt vor der Metallierung und erhält etwa 275 meV.

Die begleitenden Rechungen von Prof. Marie-Laure Bocquet (Université Sorbonne, Paris), die im Rahmen der Dichtefunktionaltheorie durchgeführt wurden, enthalten wesentliche Hinweise auf die zugrundeliegenden Mechanismen dieser Einzelmolekül-Metallierung. Wesentlich für die Simulationen ist die Beschreibung des gesamten Aufbaus, d.h. die Berücksichtigung der Spitze sowie des auf einem metallischen Substrat adsorbierten Moleküls; dies vermögen nur die weltweit besten Theoriegruppen. Abbildung 3 zeigt eine Abfolge von Superzellen, die von Bild 0 bis Bild 9 die modellierte Metallierung präsentieren. Spitze und Probe sind dabei in einem geringen Abstand zueinander, der für die Metallierung nötig ist. Der Silberatom-Transfer findet bei Bild 4 mit einem Energiegewinn von 670 meV statt, d.h. er findet spontan ohne Energiebarriere statt, in Übereinstimmung mit dem Experiment. Die Abwesenheit einer zu überkommenden Aktivierungsenergie lässt sich mit einem konzertierten Effekt erklären: bei der Metallierung brechen die Bindungen des Silberatoms zur Spitze gleichzeitig mit der Bildung seiner Bindungen zum Molekül.

Die vorliegende Studie ist wegweisend für die Untersuchung von chemischen Reaktionen mit atomarer räumlicher Auflösung und auf Einzelmolekülniveau. Reaktive Zentren in katalytischen Prozessen können so gefunden und analysiert werden. Die Arbeit erscheint im Flaggschiff-Journal der Amerikanischen Chemischen Gesellschaft.