Mitglieder der Gruppe “Datenintensive Systeme und Visualisierung" am Institut für Angewandte Informatik der TU Ilmenau unter der Leitung von Prof. Mäder entwickeln und betreiben die mobile App "Flora Incognita", die mithilfe von KI-Algorithmen, die ebenfalls intern erstellt und trainiert wurden, mehr als 16.000 Pflanzenarten bestimmen kann. Pflanzenbestimmungen durch Citizen Scientists (Bürgerwissenschaftler:innen) stellen eine neue Quelle für Daten zu Artenvorkommen dar, die wiederum Biodiversitätsforschung ermöglichen.

Eine neue Veröffentlichung des Forschungsteams von Flora Incognita am MPI für Biogeochemie in Jena und der TU Ilmenau zeigt, dass opportunistische Pflanzenbeobachtungen, gesammelt von Tausenden von Pflanzenbegeisterten mit der Pflanzenbestimmungs-App Flora Incognita (Mäder et al. 2021), Initiativen zur Phänologieüberwachung unterstützen können. Statt geplant und gezielt erfasst zu werden, entstehen opportunistische Pflanzenbeobachtungen, wenn eine Pflanze zufällig die Aufmerksamkeit einer Person erregt und in diesem Augenblick dokumentiert wird.

Warum ist das wichtig? Das Verständnis der Pflanzenphänologie hilft Wissenschaftler:innen dabei zu bewerten, wie die Natur auf den Klimawandel reagiert. Die traditionelle, artspezifische Überwachung von Phasen der Phänologie (wie Knospenaufbruch, Blattaustrieb, Beginn der Blüte und Laubfärbung) erfolgt durch geschulte Freiwillige – und die Anzahl derer geht stetig zurück.

 

Es gibt viele Möglichkeiten, phänologische Daten zu sammeln, von der Fernerkundung über Satelliten bis hin zu Drohnen und PhenoCams, aber auch durch Kameras im Laubdach von Wäldern oder Beobachtungen durch Menschen. (aus: Katal et al. 2022)

Kann Flora Incognita zur Phänologieüberwachung verwendet werden?

In Deutschland wird das "offizielle" Pflanzenphänologiemonitoring hauptsächlich vom Deutschen Wetterdienst (DWD) durchgeführt. Hier erhält jede:r Beobachter:in eine bestimmte "Station", die einem dedizierten Beobachtungspunkt für einen Baum, Strauch oder krautige Pflanze entspricht. Die Anzahl dieser Stationen variiert je nach beobachteter Art. Dies bedeutet, dass einige Arten mehr Stationen haben als andere. Während der Vegetationsperiode müssen Beobachter:innen die von ihnen untersuchten Pflanzen mindestens zweimal pro Woche überprüfen und den Tag erfassen, an dem bestimmte Phänophasen beginnen. Aber jetzt gibt es eine neue Möglichkeit, Daten zum Blühbeginn einzelner Pflanzen zu generieren: Die Hauptautoren der neuen Studie, Negin Katal und Michael Rzanny, fanden einen Weg, Flora Incognita-Daten so zu verarbeiten, dass sie mit den DWD-Stationen vergleichbar werden:

Sie identifizierten die Standorte der DWD-Stationen und erstellten für jede Art einen 5 km Umkreis um sie herum. Innerhalb dieses Kreises sammelten sie alle Flora Incognita-Beobachtungen für diese Art innerhalb einer bestimmten Geländehöhe. Für die Definition einer "Flora Incognita-Station" waren mindestens 35 dieser opportunistischen Aufzeichnungen erforderlich. Wenn diese nicht erreicht werden konnten, selbst innerhalb eines zusätzlichen Puffers (in Schritten von je 1 km, bis zu 55 km), wurde an diesem Standort keine Flora Incognita-Station definiert.

 

Prozessdiagramm, das zeigt, wie Pflanzenbeobachtungsdaten in Daten zum Blühbeginn umgewandelt werden und mit DWD (Deutscher Wetterdienst) Beobachtungsstationen für eine exemplarische Art in Beziehung gesetzt werden. (aus: Katal & Rzanny et al. 2023)

Als nächster Schritt wurde für jede dieser Flora-Incognita-Stationen der Blühbeginn in den Jahren 2020 und 2021 berechnet, indem die gesamte Anzahl der Beobachtungen mit ihrem jeweiligen Tag im Jahr in Verbindung gesetzt wurde (mit einer speziellen statistischen Methode, einem parametrischen Bootstrapping-Ansatz basierend auf der Weibull-Verteilung). Das Prozentil, das dem Median der DWD-Interpolation in 2020 am nächsten kam, wurde dann als artenspezifischer Beginn der Blüte für beide Jahre gewählt. Die resultierenden Interpolationskarten zeigen ähnliche Ergebnisse wie die manuelle Dokumentation durch den DWD für die meisten Arten.
 

Räumlich interpolierte Karten basierend auf den DWD- und Flora Incognita-Stationen für den Beginn der Blüte von Sambucus nigra und Taraxacum officinale in den Jahren 2020 und 2021. Die Farbskala zeigt den jeweiligen Tag im Jahr für den Blühbeginn in jeder Rasterzelle (aus: Katal & Rzanny et al. 2023).

Fazit

Die Haupterkenntnis der Studie ist, dass der Blühbeginn aus opportunistischen Pflanzenbeobachtungen abgeleitet werden kann, zumindest für einjährige krautige Arten oder Sträucher mit auffälliger Blühphase. So kann diese neue Quelle für Artvorkommensdaten die traditionell gesammelten phänologischen Daten ergänzen, insbesondere da diese oft auf der Beobachtung von Bäumen basieren, die sich bei opportunistischer Erfassung als ungeeignet erweisen. Durch die hier vorgestellte Nutzung unstrukturierter und opportunistischer Daten können wir einen wertvollen Beitrag zur Quantifizierung phänologischer Verschiebungen im Zusammenhang mit laufenden klimatischen Veränderungen leisten.

Wir möchten uns bei den vielen Nutzer:innen von Flora Incognita bedanken, die zu dieser neuen Datenquelle beitragen. Es ist Ihre Neugierde, die Forschung wie diese ermöglicht.

Die Publikation ist jetzt frei zugänglich:
Katal, N., Rzanny, M., Mäder, P., Römermann, C., Wittich, H. C., Boho, D., Musavi, T. & Wäldchen, J. (2023). Bridging the gap: How to adopt opportunistic plant observations for phenology monitoring
Frontiers in Plant Science14.doi: 10.3389/fpls.2023.1150956

Besuchen Sie die Website von Flora Incognita für weitere Informationen zur Pflanzenbestimmungsapp.

Weitere Referenzen:
Katal, N., Rzanny, M., Mäder, P., & Wäldchen, J. (2022). Deep learning in plant phenological research: A systematic literature review.
Frontiers in Plant Science13https://doi.org/10.3389/fpls.2022.805738

Mäder, P., Boho, D., Rzanny, M., Seeland, M., Wittich, H. C., Deggelmann, A., & Wäldchen, J. (2021). The flora incognita app–interactive plant species identification. Methods in Ecology and Evolution. 12: 1335– 1342. https://doi.org/10.1111/2041-210X.13611


Kontakt

Prof. Dr. Patrick Mäder (JP)
Fakultät für Informatik und Automatisierung
Fachgebiet Data-intensive Systems and Visualization