Videointerview mit Martin Stolberg
Im Matrikel 93 studierte Martin Stolberg an der TU Ilmenau Wirtschaftsingenieurwesen und begann 1999 mit dem Arbeiten. Bei seiner jetzigen Firma ist er bereits seit 2001 in unterschiedlichen Positionen tätig. Den Bogen vom Studium zum ersten Job (kleine Beratung, dann Start-up, dann die jetzige Firma) kann er ganz gut schlagen: “Viele Elemente von dem, was ich in Ilmenau gelernt hatte, kann ich da unterbringen. Was noch wichtiger ist: Das Lernen geht im Job erst richtig los, es gibt eben auch viele Dinge, die man in der Uni (zu Recht) nicht lernt.”
Das Team besucht ihn in seiner Firma in München.
Interview mit Andreas Flugs
"Es gab keinen Tag an dem wir nicht gefeiert und nicht hart gearbeitet haben"
Andreas Flugs, Diplom Wirtschaftsingenieurwesen, 1994 - 2000
Studium
Ich kann sagen, das Studium war ein Fest und es hätte noch fünf Jahre länger gehen können, irgendwann muss man dann aber Arbeiten… Die Universität habe ich in sehr guter Erinnerung, ich bin schon früher dort zu Veranstaltungen, wie Konzerte oder Clubabende, gegangen, da ich aus der Nähe komme. Die Studentenclubs waren zugänglich, ab und zu gab es Musikfeste, die von den Clubs organisiert worden sind, insofern gab es schon eine gewisse Affinität. Ich habe sehr gute Erinnerungen daran.
Die Vorlesungen waren sehr interessant, an sich sehr herausfordernd aber durch das gute Verhältnis mit den Professoren auch immer sehr persönlich. Im Weiteren organisierte ich auch Studentenvereine beziehungsweise gründete sie: die studentische Unternehmensberatung, den Swing e.v., den Studentenverein der Wirtschaftsingenieure und wir haben die Inova gegründet. Insofern gab es genügend zu tun.
Der Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen in Ilmenau ist ein sehr guter Studiengang, ich habe drei Studienfächer gelernt: Ingenieurtechnik ( Elektrotechnik, Kommunikationstechnik), in Kombination mit Betriebswirtschaft (Personalwesen, Unternehmensführung) und dann Rechtswissenschaften (Europäisches Wirtschaftsrecht), man wird kein Spezialist sondern ein Generalist, der die Denkweise eines Spezialisten in dem jeweiligen Fach verstehen soll. Jeder Spezialist denkt spezifisch, dieses kann ich aufnehmen und breit angelegt damit arbeiten. Alle meine Kommilitonen sind in verschiedenen Berufen unterwegs. Im technischen Bereich, als Verantwortlicher für IT oder Sicherheit, im logistischen Bereich, im Finanzbereich. Der Sinn von dem Studiengang ist es, in der Lage zu sein, Teams, Bereiche oder Unternehmen zu führen.
Arbeit
Ich persönlich wollte in die Unternehmensberatung gehen, ich hatte die Möglichkeit bei einer Unternehmensberatung als Business Development Manager, anstelle Berater, anzufangen und dabei ein Beratungsteam aufbauen zu können und dann im Prinzip den Traum vervollständigt, ein Unternehmensbüro in München zu eröffnen. Das war sehr spannend. Ich startete meinen Beruf für 6 Monate in Paris zur Ausbildung, bevor ich dann nach München gekommen bin.
Aus der Erfahrung der ersten Unternehmung haben wir dann mit Partnern die zweite Unternehmensberatung gegründet. Am Ende erfüllte ich mir einen weiteren Traum, nach Brasilien zu gehen, und hier begann ich ebenfalls als Berater bevor ich seit 1,5 Jahren für die Industrie arbeite. Ich bin hier Technischer Direktor, d.h. alle Bereiche wie Logistik, Produktion betreffend, sowie Einkauf, sind in meinem Verantwortungsbereich.
Das sind die Geschichten, die das Leben schreiben. In unserem Studiengang gab es ein Pflichtpraktikum, das sechs Monate ging. Kurzfristig wurde mein Praktikumsplatz dazu gestrichen und ich fand innerhalb von zwei Monaten einen neuen Praktikumsplatz bei Copeland in Belgien. Während dieser Zeit besuchte ich Brüssel und das Büro von dem europäischen Dachverband der studentischen Unternehmensberatungen „JADE“ (heute juniorenterprises.eu/). Mit diesem kam ich durch meine Tätigkeiten in der studentischen Unternehmensberatung in Ilmenau in Kontakt. Bei einer Feier dort sah ich eine Austauschstudentin auf dem Tisch Samba tanzen. Bei dem Gespräch mit ihr erfuhr ich, dass sie aus Brasilien kam und dass es bis dato noch kein Gegenbesuch nach Brasilien gab. Daraufhin entschied ich mich, für ein Semester dorthin zu gehen und konnte 1998 das Leben dort kennenlernen. Aus dieser Zeit stammte mein Traum, in Brasilien zu leben.
2009 war die große Finanzkrise und einen Monat bevor ich nach Brasilien reiste, bekam ich Bescheid, dass mein Vertrag aufgekündigt wurde, da das Projekt nicht mehr finanziell machbar war. Allerdings war mein Ticket gebucht, Wohnung und Beruf gekündigt und so bin ich trotzdem hin. Meine „brasilianische Familie“, welche mir 1998 Unterkunft gewährte, war immer noch für mich da. Ich begann als Unternehmensberater, als Selbstständiger und gründete eine Unternehmensgründungsberatungen Techmall und führte unter anderem ein Projekt bei Celer durch. Später stieg ich hauptberuflich bei dem Unternehmen ein. Am Anfang waren nur sechs Mitarbeiter bei CELER eingestellt, ab 2015 schaffte ich es nicht mehr für die beiden Firmen gleichzeitig zu arbeiten. Ab 2019 stieg ich aus Techmall aus und widmete mich vollständig CELER. Das heißt, es war ein Zufall, dass ich nach Brasilien bin. Wenn das Mädchen nicht auf dem Tisch getanzt hätte, oder sie aus Argentinien gekommen wäre, dann wäre ich jetzt vielleicht woanders.
Bei Celer bin ich für den Industriebereich verantwortlich. Wir importieren und vertreiben Lösungen im Diagnostikbereich für Gesundheit. Ich bin verantwortlich für den Einkauf der Materialien, die Produktion, die Regulierung bei der brasilianischen Gesundheitsbehörde (ANVISA), für das Qualitätsmanagement sowie strategische Projekte von Celer. Es war eine Wette auf die Zukunft. In ein Unternehmen, welches ich berate, auch zu investieren. Deswegen ist der Weg schon richtig gewesen.
Das Hauptprinzip ist der Unterschied zwischen dem Leben in einer Welt, die sehr determiniert und geplant ist und in einer Welt, die nicht determiniert und geplant ist. Wenn ich in Deutschland lebe, kann ich meine Investments sehr gut planen. In Brasilien wird von jeder neuen Regierung, alle vier Jahre das bis dato Geschaffene über den Haufen geworden. Diesen großen Unterschied merkt man im ganzen Leben: Während man in Deutschland dem Plan folgen kann und große Schwierigkeiten mit Planänderungen hat, ist es hier genau umgekehrt. Hier wird gar nicht geplant, dafür wird aber in sehr kurzer Zeit die Lösung präsentiert. Man muss das Beste von beiden Welten nehmen. In der Firma können wir jetzt anfangen zu balancieren: Wie viel Planung brauche ich und wie viel Flexibilität? Diese beiden Kulturen aufeinander zu bringen ist sehr schön. Der zweite große Unterschied ist, dass es hier sehr stark um Beziehungen geht. In Deutschland ist man es sehr gewohnt über die Arbeit zu sprechen, Arbeit zu kritisieren. Hier muss man die Beziehung zum Menschen im Vordergrund stellen. Wenn man ein Arbeitsergebnis kritisiert, wird das persönlich genommen. Man muss bei der Kommunikation einen Weg finden, dass der Mensch betrachtet wird und das hochgeschätzt wird.
Erinnerungen
Sehr gut kann ich mich an eine Vorgründungssitzungen des Studentenvereins der Wirtschaftsingenieurwesen erinnern und mir der damalige Wortführer einfach den Stab übergeben hat und meinte: »Flugs mach mal weiter.« Ich bin bei der Vereinsgründung dann gleich zum Vorsitzenden gewählt worden und habe dadurch eine Gruppe von Studenten kennengelernt, die einmalig war. Mithilfe von diesen Kommilitonen haben wir im Weiteren die studentische Unternehmensberatung sci und die Inova gegründet. Es war ein intensives Leben, wir hatten eine hohe Anzahl an Vorlesungen, dann die studentischen Nebentätigkeiten: ich war unter anderem auch im Fakultätsrat sowie für ein Jahr im Studentenrat. Und dann abends ab 20 Uhr gab es Feste. Es gab keinen Tag, an dem wir nicht gefeiert haben und an dem wir nicht hart gearbeitet haben. Das war das, was das Studium bei mir ausgemacht hat: Die Arbeit, das Lernen und das Feiern.
Damals gab es auch schon die Iswi mit dem Hauptprojekt der internationalen Studierendenwoche. Mit meinem guten Freunden gaben wir uns als ausländische Studierende aus, das hat sehr gut funktioniert und wir bekamen den ganzen Abend Getränke spendiert. Am nächsten Tag waren wir dann auf einem Konzert, bei dem auch Rammstein aufgetreten ist, als sie noch ganz am Anfang standen. Noch mit Fackeln, anstatt eins großen Feuerwerks. Mit dem Freund unterhielten wir uns wodurch uns andere Studenten ansprachen: „Ihr könnt deutsch sprechen?“ Leider konnten wir uns nicht mehr an den vorherigen Abend erinnern, aber später fanden wir heraus, dass diese uns den ganzen Abend die Getränke spendiert hatten.«
An jedem Abend ein Fest, voller Club. Der Professor, der in der Vorlesung ruft: „Bitte nicht einschlafen“, wenn man kurz vorm Einnicken war. Dichtes Schneegestöber auf dem Weg zur Vorlesung, und dann den Umriss der Unigebäude im Schneegestöber auftauchend.
Zuerst: das Studium auf jeden Fall anfangen und durchzuziehen. Es ist nicht immer leicht, weil der Studienaufwand sehr groß ist. Sucht euch Kommilitonen, und nutzt die gemeinsame Kraft. Man hört immer, dass der Druck sehr groß ist und man alles so schnell wie möglich abschließen soll. Diesen Druck sollte man herausnehmen. Auf jeden Fall sollte man das Studium genießen.
Ich würde auch meinen Kindern dazu raten, an der TU Ilmenau zu studieren. Es ist die Frage, was man sucht. Ilmenau hatte für mich den Vorteil, recht zügig mein Studium abschließen zu können. Auch ist das technische Niveau der Hochschule sehr hoch. Auf der anderen Seite hatten wir ein sehr familiäres Studienleben. Ich habe schon in Berlin gelebt und in München gearbeitet, das sind total andere Lebensstile. Man lernt also ein anderes gesellschaftliches Leben kennen.