MemWerk – memristive Werkstoffe für die neuromorphe Elektronik

1. Kurzdarstellung

Die stetig fortschreitende Digitalisierung und der immer weitreichendere Einsatz von künstlicher Intelligenz verändern unsere Gesellschaft, Technologien und die Wissenschaft in nie dagewesener Weise. Eine Entwicklung mit jedoch immer höherem Energiebedarf, die wesentlich zur Erhöhung von CO2-Emissionen beiträgt. Der Energieverbrauch unserer IT-Welt wird damit immer mehr zum limitierenden Faktor der Digitalen Revolution und zu einer immensen Belastung für unser Klima. Derzeitige Technologien können dieses Problem schwer lösen und es bedarf neuer innovativer Ansätze. Hierbei sind neuromorphe Elektroniken, bei denen biologische Lern- und Gedächtnisprozesse elektronisch nachgebildet werden, ein vielversprechender Ansatz.  Dieser Ansatz wird im Projekt MemWerk – memristive Werkstoffe für die neuromorphe Elektronik – durch die Carl-Zeiss Stiftung aus Mitteln des Programms Durchbrüche an der TU Ilmenau gefördert. In dem auf 5 Jahre angelegten interdisziplinären Verbundprojekt erforschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der Werkstoffwissenschaft, Informatik, Elektrotechnik und Informationstechnik wie sich Informationsverarbeitung biologischer Systeme in energieeffiziente technisch Systeme überführen lässt. Hierbei sollen die Grundlagen memristiver Werkstoffe für eine maßgeschneiderte Herstellung von memristiven Systemen für die bio-inspirierte (neuromorphe) Elektronik erforscht werden. Weitere Informationen zu dem Thema finden sie auf www.memwerk.de.

2. Motivation

Die digitale Revolution (DR) und der weitreichende Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) bilden einen Trend, der die Gesellschaft, die Technologie und die Wissenschaft in nie dagewesener Weise verändert. Eine der aus wissenschaftlich-technischer Sicht größten Herausforderungen hierbei ist die Bereitstellung einer auf die speziellen Bedürfnisse von DR und KI ausgerichteten und zudem extrem energieeffizienten IT-Hardware. Leider sind die heutigen Konzepte der IT-Hardware (Von-Neumann-Computer auf der Basis von Si-CMOS [1] für zahlreiche DR- und KI-Anwendungen bei Weitem nicht optimal und verbrauchen zudem deutlich zu viel Energie. Aktuelle Hochrechnungen zeigen, dass in ca. 15 Jahren die weltweite Produktion an elektrischer Energie nicht mehr ausreichen würde, den Leistungsbedarf der dann im Einsatz befindlichen IT-Hardware zu decken [2]. Einen vielversprechenden Ansatz zur Lösung des Problems bilden von der Biologie inspirierte neuromorphe Systeme zur Informationsverarbeitung, die auf Materialien mit memristiven Eigenschaften basieren. Die dafür erforderlichen Werkstoffe sind von denen in heutiger IT-Hardware fundamental verschieden, neuartig und ermöglichen mikroelektronische Komponenten mit einer ungleich besseren Energieeffizienz. An dieser Stelle setzt unser Vorhaben an. Im Mittelpunkt steht der Werkstoff als zentraler Baustein der Informationsverarbeitung und -speicherung (siehe Abb. 1). 

[1] Complementary metal-oxide-semiconductor. Als (Si-)CMOS versteht man allgemein den Halbleiterprozess, der zur Realisierung von integrierten digitalen wie analogen Schaltungen verwendet wird.

[2] Rebooting the IT Revolution: A Call to Action, www.src.org/newsroom/rebooting-the-it-revolution.pdf

Abbildung1: Schematische Darstellung der Wechselwirkung eines intelligenten Werkstoffs (z.B. in einem Künstlichen Neuronalen Netzwerk KNN) mit seiner Umgebung. Hierbei muss dieser sich auf verschiedene äußere Reize anpassen.

Memristive Werkstoffe können ihre elektronischen Eigenschaften (z.B. elektrischer Widerstand) durch äußere Signale (z.B. Strom oder Spannung, Licht, Temperatur, etc.) verändern, wobei die Änderung auch nach Wegfall des Signals erhalten bleibt. Damit verfügen sie über einen Gedächtniseffekt ähnlich zu Synapsen in neuronalen Netzen. Memristive Werkstoffe bilden somit wie in Abb. 1 skizziert den zentralen plastischen Baustein künstlicher neuronaler Netzwerke (KNN) und erlauben einen effizienten Aufbau von KNNs in Hardware.

In memristiven Werkstoffen wird der Gedächtniseffekt durch mikrostrukturelle Änderungen der atomaren Werkstoffstruktur erreicht und erstreckt sich von der Nano- und Mikroskala bis hin zur Makroskala, wobei die Änderungsmechanismen auf multiplen Prozessen und deren Kopplung basieren. Dazu zählen beispielsweise nano-strukturelle Veränderungen, Änderungen der Defektstruktur, nano-ionische oder festphasenelektrolytische Mechanismen. Eine wichtige Rolle für die Widerstandsänderung spielen zudem die Stärke, Frequenz und Periodizität der angelegten Signale. Dies birgt das einzigartige Potential einer detaillierten funktionalen Nachbildung zellulärer Dynamiken biologischer Lernprozesse, die als synaptische Plastizität beschrieben werden und die Grundlage der Gedächtnisbildung in biologischen Systemen darstellen. Aufgrund der Vielzahl gekoppelter nichtlinearer Effekte in memristiven Werkstoffen existiert allerdings bislang noch kein geschlossenes physikalisches Verständnis der Werkstoffdynamiken. Zudem wird eine gezielte Verwendung memristiver Werkstoffe in neuromorphen Systemen noch durch die große Zahl von Technologie- und Netzwerkparametern, die für eine Integration der Werkstoffe in neuromorphe Systeme zu beachten sind, erschwert. Um das volle Potential memristiver Werkstoffe für die neuromorphe Hardware zu erschließen, bedarf es somit eines ganzheitlichen, interdisziplinären Ansatzes, der die grundlegenden Werkstoff-, Prozess- und Technologieparameter in direkten Bezug zu der gewünschten Funktionalität des Werkstoffes innerhalb des neuromorphen Systems setzt.

3. Zielsetzung

Das Ziel des Vorhabens ist die Schaffung der Grundlagen für eine parameterorientierte Entwicklung memristiver Werkstoffe für den Einsatz in neuromorphen Systemen für den zielgerichteten Aufbau einer hardwarebasierten kognitiven Elektronik. Dafür soll durch die Digitalisierung der Werkstoffe (d.h. die Erfassung und Auswertung von Werkstoff-, Prozess- und Systemdaten) ein Werkstoffatlasals neuartiges „Kartierungssystem“ memristiver Werkstoffe entwickelt werden, das Werkstoff-, Prozess- und Technologieparameter in direkten Bezug setzt zu (i) den elektronischen Eigenschaften memristiver Bauelemente (Strom-Spannung-Charakteristika, Speicherdauer, Datenwechselstabilitäten, Parameterstreuung, Schaltzeiten, usw.) und (ii) den Netzwerkcharakteristika (Lern- und Gedächtnisleistung von KNNs, d.h. Lern- und Prädiktionsaufgaben). Die Identifikation von Schlüsselfunktionalitäten der Werkstoffe und deren Reaktion auf externe Reize wird es ermöglichen, Materialsysteme für neuromorphe Systeme maßzuschneidern. Hierzu sollen exemplarisch zwei besonders vielversprechende Werkstoffklassen, nano-ionische resistiv schaltende Materialien und 2D-Materialien, bearbeitet werden. Die Werkstoffe müssen dazu designt, hergestellt, charakterisiert und in elektronische Bauelemente und Schaltkreise integriert werden.

Abbildung 2: Darstellung der Arbeitspakete und deren inhaltliche Vernetzung entlang der beiden Hauptthemenachsen.

4. Projektarbeiten

Die Projektarbeiten innerhalb dieses Projektvorhabens sind um die in Kapitel 3 definierten Ziele (Erstellung eines Werkstoffatlas; maßgeschneiderte Materialsysteme für neuromorphe Systeme) strukturiert und in 6 Arbeitspakete (AP) gruppiert mit den Schwerpunkten: Werkstoffsynthese, Technologie, Charakterisierung, Systeme, Werkstoffatlas und Modellierung. Im Folgenden werden diese kurz etwas detaillierter beschrieben. Für einen besseren Überblick sind die geplanten Arbeiten in Abbildung 2 visualisiert.

AP1 Memristive Werkstoffe: Innerhalb von AP1 werden memristive Werkstoffe unter Variation verschiedenster Prozessparameter (z.B. O2-Partialdruck bei reaktiven Sputterprozessen, Temperatur, Depositionsgeometrien, Depositionsraten, Depositionsverfahren, usw.) hergestellt. Die einzelnen Prozess- und Materialparameter werden sukzessive variiert, um so einen möglichst großen Parameterraum abzudecken. Hierzu werden z.B. Materialkomposition und Schichtdicken innerhalb eines Prozessdurchlaufes über den Wafer variiert. Um einen möglichst breiten Funktionsbereich zur Nachbildung plastischer Gedächtnisbildungen technisch adressieren zu können und um ein umfassendes Parameterscreening zu ermöglichen, sind die Untersuchungen auf zwei disjunkte Werkstoffklassen konzentriert: (i) 2D-Materialien (mit Schwerpunkt auf TMDs) und (ii) Memristive oxidische Materialien basierend auf Übergangsmetalloxiden (z.B. HfOx, TiOx, AlOx).

AP2 Technologieplattform für memristive Bauelemente: Über eine auf 4‘‘-Wafern basierende Mehrschichttechnologie wird eine Technologieplattform für memristive Werkstoffe entwickelt, die diese in funktionale Bauelemente überführt. Für eine direkte Anbindung an das System werden mittels einer maßgeschneiderten Aufbau- und Verbindungstechnologie die memristiven Bauelemente in neuromorphe Systeme eingebunden.

AP3 Elektronische Charakterisierung und Werkstoff-Analytik: Innerhalb dieses Arbeitspaketes erfolgt ein umfassendes Werkstoff-Screening. Dafür werden die abgeschiedenen Werkstoffsichten aus AP1 bzgl. ihrer Materialeigenschaften untersucht und die in AP2 hergestellten memristiven Bauelemente automatisiert auf Waferbasis vermessen. Das Ziel ist es, eine fundierte Statistik der Werkstoffe und Bauelemente in Bezug auf ihre Material- und elektronischen Eigenschaften zu erhalten. Die erhaltenen Charakteristika fließen in eine Werkstoffmodellierung ein, die eine detaillierte Beschreibung der funktionalen Werkstoffeigenschaften erlaubt. Ferner werden basierend auf den hier gewonnen Daten parametrisierte Bauelementemodelle erstellt, die ein zielgerichtetes Design von neuromorphen Schaltkreisen erlauben.

AP4 Memristive neuromorphe Elektronik: Innerhalb dieses Arbeitspaketes werden wichtige Systemanforderungen an den Werkstoff und das Bauelement evaluiert. Diese dienen einer zielgerichteten Werkstoff- und Technologieentwicklung in AP1 und AP2 sowie der Bereitstellung  von Parametern für Recherche- und Analysefunktionen in AP5. Ferner werden Trainingsalgorithmen (Lernmodelle) und Netzwerkstrukturen neuromorpher Systeme entwickelt, die den speziellen Eigenschaften memristiver Werkstoffe genügen.

AP5 Werkstoffatlas: Die Vielzahl an Materialmikrostrukturen und Technologieparametern bzw. -prozessen führt grundsätzlich zu einem sehr großen Parameterraum. In AP5 wird dieser Parameterraum durch den Aufbau einer umfassenden Material- und Prozess-Wissensbasis (Werkstoffatlas) systematisch „kartographiert“ und mittels Recherche- und Datenanalysemethoden erschlossen. Die Arbeiten sind in zwei Phasen gegliedert: In der ersten Phase werden zunächst Werkstoffe und Prozesse (AP1, AP2) sowie memristive Bauelemente in konzentrierten Parametermodellen betrachtet, netzwerkbasierte Systeme sind speziell Gegenstand der zweiten Phase.

AP6 Modelbildung memristiver Werkstoffe: Das Ziel von AP6 ist es zu einer Beschreibung memristiver Werkstoffe zu gelangen, die im Rahmen von Simulationsmodellen deren strukturellen, elektronischen und stochastischen Eigenschaften beschreiben. Ferner unterstützt dies Arbeitspaket durch eine datengetriebene Modellierung memristiver Werkstoffe die Parameteridentifizierung. Damit bildet AP6 eine Brücke zwischen AP3 und AP6 und begleitet simulativ die Werkstoffentwicklung in AP1. Im Austausch mit AP4 werden die hier entwickelten Simulationsmodelle der Werkstoffe in konzentrierte Parametermodelle von Bauelementen überführt.

 

5. Beteiligte Institutionen

Fakultät für Elektrotechnik und Informationstechnik (TU Ilmenau)
Elektroniktechnologie
Univ.-Prof. Dr.-Ing. Jens Müller
Internet: https://www.tu-ilmenau.de/mne-et/

Mikro- und nanoelektronische Systeme
PD Dr.-Ing. habil. Frank Schwierz
Univ.-Prof. Dr. rer. nat. habil. Martin Ziegler
Internet: https://www.tu-ilmenau.de/mne-mns/

Nanotechnologie
Dr.-Ing. Jörg Pezoldt
Internet: https://www.tu-ilmenau.de/mne-nano/

Theoretische Elektrotechnik (TET)
Univ.-Prof. Dr.-Ing. habil. Hannes Töpfer
Internet: www.tu-ilmenau.de/it_tet

Werkstoffe der Elektrotechnik
Univ.-Prof. Dr. rer. nat. habil. Dr. h. c. Peter Schaaf   
Internet: https://www.tu-ilmenau.de/wt-wet/

Fakultät Informatik und Automatisierung (TU Ilmenau)
Datenbanken & Informationssysteme
Prof. Dr.-Ing. habil. Kai-Uwe Sattler
Internet: https:// www.tu-ilmenau.de/dbis

Institut für Mikro- und Nanotechnologien MacroNano®  (TU Ilmenau
Zentrum für Mikro- und Nanotechnologien

Direktor: Univ.-Prof. Dr. rer. nat. habil. Stefan Sinzinger
www.tu-ilmenau.de/imn

6. Kontakt

Koordinator: Univ.-Prof. rer. nat. habil. Martin Ziegler
Technische Universität Ilmenau
Mikro- und nanoelektronische Systeme
PF 10 05 65
98684 Ilmenau

Telefon: +49 3677 69-3711
martin.ziegler@tu-ilmenau.de
Web: https://www.memwerk.de