18.03.2022

Gleichstromtechnologie – ein Baustein zukünftiger Stromnetze

Die wachsende Netzbelastung und die Volatilität erneuerbarer Energieanlagen stellen das Stromnetz vor neue Herausforderungen. Ist das Optimierungspotenzial des Stromnetzes ausgeschöpft, wird ein Netzausbau erforderlich. Dabei kommt der Gleichstromtechnologie (DC) eine besondere Bedeutung zu.

Die Gleichstromtechnologie steigert die Effizienz elektrischer Netze und ist damit ein wichtiger Baustein, um den Herausforderungen der Energiewende erfolgreich begegnen zu können. Je nach Auslegung sind DC-Netze nahezu vollständig steuerbar, verlustarm und ressourcenschonend. Während in Deutschland aktuell die HGÜ-Punkt-zu-Punkt-Verbindungen für den Nord-Süd-Austausch von großen Leistungen gebaut werden, forscht das Thüringer Energieforschungsinstitut (ThEFI) der TU Ilmenau bereits an Lösungen für die komplexen Fragenstellungen, die mit dem Ausbau von künftigen, leistungsfähigeren Stromnetzen verbunden sind.

 
Forschung zu effizienten, sicheren Gleichstromnetzen
Portrait Prof. Dr. Dirk Westermann, Direktor des ThEFI der TU IlmenauTU Ilmenau/ThEFI
Prof. Dr. Dirk Westermann, Direktor des ThEFI der TU Ilmenau

Im Rahmen des Projekts „OVANET“ gehen die Wissenschaftler/innen des ThEFI beispielsweise der Frage nach, wie der Schutz von DC-Systemen gewährleistet werden kann. „Gleichstromnetze weisen ein anderes Fehlerverhalten auf als klassische Drehstromnetze“, erläutert der Direktor des ThEFI, Prof. Dr. Dirk Westermann. „Wir erforschen daher speziell auf DC-Netze zugeschnittene Lösungen zur Gewährleistung einer effizienten, ressourcenschonenden und ausfallsicheren Auslastung derartiger Netze.“ Um Fehler im DC-Netz möglichst sicher und effizient handhaben zu können, leiten die Ilmenauer Experten und ihre Projektpartner Planungskriterien zur Errichtung von Schutzzonen ab, entwickeln Verfahren zur Fehlerortung und definieren Fehlerklärungssequenzen. Gleichzeitig untersuchen sie, wie die entwickelten Verfahren zur so genannten kurativen Netzsicherheit, also der effizienten Behandlung von Fehlern im DC-Netz, in das System eingebunden werden können. Dabei setzen die Forscher nicht auf das Vorhalten von redundanten Betriebsmitteln, also von Systemen, in denen jede Einheit die Aufgabe bei Ausfall der anderen Einheit allein erfüllen kann, sondern auf das wesentliche schnellere Reaktionsvermögen von Umrichtern, die im Fehlerfall aktiv innerhalb von Millisekunden das Netz in den zulässigen Betrieb zurückführen können.

 
MVDC-Technologie zur Regelung von Leistungsflüssen
TU Ilmenau/ThEFI
Die Dynamische Netzleitwarte am ThEFI der TU Ilmenau

Im bereits abgeschlossenen Projekt „VNB-DC“ wurde unter der Leitung der TU Ilmenau der Einsatz der DC-Technik im Verteilnetz untersucht. Ziel der Forschungsarbeiten war die Kopplung der 110 kV-Ebenen von Sachsen-Anhalt über Thüringen bis Bayern mittels MVDC-Technologie (Mittelspannungsgleichstrom-Technologie). Die MVDC-Technologie ermöglicht überhaupt erst den Zusammenschluss unterschiedlicher Netze und bietet eine sehr hohe Steuerbarkeit. Dadurch wird neben der zeitlichen Verlagerung von Leistung und der sektoralen Verlagerung wurde zusätzlich die steuerbare regionale Verlagerung von Leistung eingeführt. Prof. Westermann: „Das bedeutet, dass Überschüsse aus erneuerbaren Energien nicht nur gespeichert werden können, um sie jederzeit nutzen oder für unterschiedliche Umwandlungen etwa in Brennstoffe oder Elektroenergie abrufen zu können, sondern überschüssige Energie künftig auch innerhalb der verkoppelten Bundesländer je nach Bedarf bereitgestellt werden kann.“ Die Forscher/innen wiesen damit nach, dass es MVDC-Anlagen ermöglichen, gezielt Leistungsflüsse umzulenken, um auf auftretende Engpässe reagieren zu können. Damit kann in Zukunft die Notwendigkeit, Energieanlagen abzuregeln, um das Netz zu entlasten, deutlich reduziert werden. Außerdem können die Verteilnetze direkt Leistung miteinander austauschen und entlasten somit das Übertragungsnetz, dass aktuell diesen Austausch gewährleistet.
 

 
Wichtiger Baustein zukünftiger Energiesysteme
Monitore zur Überwachung der NetzleitwarteTU Ilmenau/ThEFI
Die Dynamische Netzleitwarte am ThEFI der TU Ilmenau

Die Gleichstromtechnik hat mittlerweile jede Spannungsebene erreicht und gilt auf internationaler Ebene als wichtiger Baustein zukünftiger Energiesysteme. Obwohl der Einsatz der DC-Technik oftmals noch einen gewissen Forschungsbedarf aufweist, eröffnet sie vielversprechende Möglichkeiten, sowohl die betriebliche Effizienz und die Wirtschaftlichkeit als auch die Ressourcen- und Flächeneffizienz und damit die ökologische Vertretbarkeit der Energiesysteme zu steigern.


Hoher Grad an Digitalisierung

Um einen hohen Automatisierungsgrad elektrischer Netze erreichen zu können, ist neben dem Einsatz flexibler Technologien wie der DC-Technik eine fortgeschrittene Digitalisierung im Bereich elektrischer Energiesysteme essentiell. Messdaten müssen synchronisiert im periodischen Intervall von wenigen Millisekunden an die Leitstellen übermittelt werden, um dort idealerweise vollautomatisch in entsprechenden Assistenzsystemen weiterverarbeitet zu werden. In vielen Anwendungsfällen sind DC-Systeme zudem netzbetreiberübergreifend ausgelegt, sodass zusätzlich eine automatische standardisierte Kommunikation zwischen den Leitstellen notwendig sein kann. Weiterhin können die neuen Freiheitsgrade durch den Einsatz der DC-Technik nur eingesetzt werden, wenn zuvor umfangreiche Optimierungs- und Variantenrechnungen durch quasistationäre und dynamische Modellen erfolgten.

Diese Prozesse sind sehr komplex und erfordern ein hohes Maß an Rechenleistung, wofür an der TU Ilmenau neben einer international ausgewiesenen hohen Forschungskompetenz auch eine exzellente Infrastruktur zur Verfügung steht.

 

Kontakt

Univ.-Prof. Dr.-Ing. Dirk Westermann

TU Ilmenau, Direktor Thüringer Energieforschungsinstitut ThEFI
+49 3677 69-2838

dirk.westermann@tu-ilmenau.de

   
Das ThEFI der TU Ilmenau

Das Thüringer Energieforschungsinstitut ThEFI vereint 13 Fachgebiete aus vier Fakultäten der Technischen Universität Ilmenau im Sinne der interdisziplinären Forschung. Im Fokus der Arbeiten stehen der Wissenstransfer und die Weiterentwicklung der Forschungskompetenz in allen Bereichen der Energie-, Umwelt- und Systemtechnik und die Zusammenarbeit mit wissenschaftlichen Partnern. Zu den Tätigkeitsbereichen des ThEFI gehört die Erforschung und Entwicklung von Prozessen rund um das Thema Energie ebenso wie die entsprechende Vermarktung der Forschungsergebnisse in Zusammenarbeit mit Industrieunternehmen und Verbänden.