„Meine Generation ist diejenige, die die Energiewende umsetzen muss!“

Interview mit Wissenschaftlerin Elisabeth Feldhoff über das Forschungsziel einer CO2-freien und kostenoptimalen Energieversorgung | Oktober 2021

Frau mit Notbook vor MaschineTU Ilmenau/Barbara Aichroth

Wie lässt sich die künftige Energieversorgung CO2-frei und gleichzeitig stabil betreiben? Das erforschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der TU Ilmenau gemeinsam mit Partnern im Verbundprojekt ZO.RRO, kurz für Zero Carbon Cross Energy System, am Beispiel von Thüringen.

Mit dabei: Elisabeth Feldhoff, Doktorandin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachgebiet Elektrische Energieversorgung im Thüringer Energieforschungsinstitut (ThEFI) der Universität. Die 28-Jährige aus dem Ahrtal kam 2014 für ein Bachelorstudium der Elektrotechnik nach Ilmenau.

Was treibt sie an? Was sind die Herausforderungen für Nachwuchswissenschaftlerinnen? Und was macht den Austausch mit anderen Disziplinen und der Industrie für sie so wertvoll? Darüber haben wir mit Elisabeth Feldhoff gesprochen.

 

Frau Feldhoff, wollten Sie schon als Kind Forscherin werden?

Ich bin mit zwei älteren Schwestern aufgewachsen, und die waren auch schon immer sehr naturwissenschaftlich interessiert und haben beide Mathe und Physik als Leistungskurse gewählt. Dadurch bin ich mit dem Verständnis aufgewachsen, dass es etwas ganz Normales ist, auch als Frau in die technische Richtung zu gehen. Dass es dann bei mir in Richtung Elektrotechnik gehen würde, hat sich aber erst im Laufe der Oberstufe herauskristallisiert.

 

Wie genau kam es dazu?

Ich komme aus dem Ahrtal, und damals habe ich ein Schülerpraktikum in der Elektronikwerkstatt an der Universität in Bonn absolviert – eigentlich mit dem Ziel, auch mal Physikvorlesungen zu besuchen. In der Werkstatt waren dann auch ein paar Physikstudenten, die einen Tesla-Transformator aufgebaut haben, und das war für mich super spannend.

 

Wie sind Sie dann von Bonn nach Ilmenau gekommen?

Ich bin einen Umweg über die RWTH Aachen, also eine sehr große Universität, gegangen. Schon sehr früh im Bachelor habe ich festgestellt: So eine große Uni hat auch Vorteile, aber die Betreuung und der direkte Kontakt haben mir sehr gefehlt. Und daraufhin habe ich geguckt: Wo sind kleine Universitäten? Wie sind die inhaltlich aufgestellt? Passt das fachlich für mich? Ilmenau hat sehr gut zu meinem Interesse an der Automatisierungstechnik gepasst. Deshalb bin ich im Bachelor hierher gewechselt.

 

Was hat Sie schließlich von der Automatisierungstechnik zur Energietechnik gebracht?

Siemens AG
Prof. Dirk Westermann (links) mit Kollegen und Mitarbeitern der Siemens AG in der 2017 an der TU Ilmenau eröffneten weltweit ersten dynamischen Netzleitwarte ihrer Art

Schon im Bachelor habe ich das Fach EES2 bei Herrn Professor Westermann gehört, also Grundlagen des Betriebs und der Analyse elektrischer Energiesysteme. Das fand ich sehr interessant und es hat viele vertiefende Fragen aufgeworfen. Dann habe ich mein Fachpraktikum beim Fraunhofer Institut für Angewandte Systemtechnik IOSB-AST, auch hier in Ilmenau, gemacht und bin dort in der Abteilung Energie, heute Kognitive Energiesysteme, gelandet. So habe ich mich immer mehr Richtung Energietechnik entwickelt.

Im Zuge der Betreuung meiner Bachelorarbeit hat mich dann Herr Prof. Westermann auf den forschungsintensiven Master, den heutigen Electric Power and Control Systems Engineering, aufmerksam gemacht. Dabei steht neben den fachlichen Inhalten auch das Erlernen methodischer Kompetenzen und die Heranführung an konkrete Forschungstätigkeiten im Vordergrund.

Das heißt, der Schritt vom Masterabschluss zur Promotion war für Sie gar nicht mehr so weit?

Durch die Eingliederung ins Fachgebiet, durch Forschungsarbeiten und meine Hiwi-Tätigkeit war ich von meiner fachlichen Ausrichtung her im ersten Schritt definitiv anders auf die Promotion vorbereitet, als wenn ich, wie sonst häufig üblich, nur ein halbes Jahr die Masterarbeit geschrieben hätte. Aber vom Persönlichen und der noch fehlenden Projekterfahrung her war der Schritt vom Master zur Promotion schon ein Riesenschritt! Mit Projektpartnern in Industrieprojekten zusammenzuarbeiten, ist etwas ganz Anderes und geht auch mit deutlich mehr Verantwortung einher. Dadurch, dass wir im Forschungsprojekt ZO.RRO Konsortialführer sind, leiten wir die Projektpartner an, entwickeln die Ideen, müssen die Leistungskontrollen machen. Persönlich habe ich einfach unfassbar viel gelernt.

 

"Wir müssen die Industrie mitnehmen, wenn wir gemeinsam eine Energiewende zu Ende denken und umsetzen wollen"

Energietechnik ist ja gerade jetzt ein sehr spannendes und hochaktuelles Thema. Worum genau geht es im Verbundprojekt ZO.RRO, in dem Sie mitarbeiten?

Die Etablierung der Erneuerbaren Energien schreitet in Deutschland voran, bringt durch die Volatilität neue Herausforderungen für die Systemstabilität mit sich und erfordert zu ihrer Wahrung den Einsatz von Maßnahmen, die mit teilweise hohen CO2-Emissionen verbunden sind. An diesem Punkt setzt das Projekt ZO.RRO an und erprobt, wie Erzeuger und Verbraucher in einem optimalen CO2-freien System interagieren und von einer sektorenübergreifenden Netzführung partizipieren.

Das Hauptaugenmerk des Projektes liegt also auf den Systemdienstleistungen?

Genau, und der Frage wie Flexibilitäten in einem System mit sektorenübergreifender Netzführung CO2-minimal durch Beteiligung der Industrie bereitgestellt werden können. Momentan ist unser Energieversorgungsnetz noch für Großkraftwerke ausgelegt und die Systemdienstleistungen, also die Maßnahmen, die unter anderem zur Wahrung der Netzstabilität eingesetzt werden, führen durch den Einsatz von konventionellen Kraftwerken zu hohen CO2-Emissionen.

Wir möchten in einer zweiten Projektphase ab Mitte nächsten Jahres zeigen, wie auch kleine und mittlere Unternehmen durch einen einfachen und niederschwelligen Zugang einen Beitrag zur Flexibilitätserbringung, zur CO2-Einsparung und gleichzeitig zum stabilen Netzbetrieb leisten können.

Womit genau beschäftigen Sie persönlich sich dabei?

Meine inhaltliche Hauptaufgabe in der ersten Projektphase ist der Aufbau eines Simulationstools zur Abbildung sektorenübergreifender CO2-minimaler Systemdienstleistungen, das heißt mit Berücksichtigung der Energieverteilinfrastruktur in einer hohen zeitlichen Auflösung, um über die bilanziellen Ansätze hinauszugehen. Gemeinsam mit meiner Kollegin Steffi Naumann vom Fraunhofer IOSB-AST entwickeln wir Simulationssysteme, mit denen wir die Planung einer CO2-freien und unter dieser Prämisse kostenoptimalen Energieversorgung umsetzen können.

Wie geht es dann in der zweiten Projektphase weiter?

In der zweiten Projektphase wird mein inhaltlicher Schwerpunkt beim Feldtest u.a. auf der Entwicklung des sogenannten ZO.RRO Signals liegen. Durch dieses Signal sollen die Unternehmen konkret dazu angeregt werden, CO2-minimale Flexibilitäten bereitzustellen, das heißt sich u.a. durch die flexible Steuerung von Produktionsprozessen je nach Verfügbarkeit der Erneuerbaren Energien netzdienlich zu verhalten und zur Systemstabilität beizutragen und gleichzeitig den industrieseitigen Ansprüchen gerecht zu werden, so dass keine finanziellen Nachteile entstehen.Wir müssen die Industrie mitnehmen, wenn wir gemeinsam eine Energiewende zu Ende denken und umsetzen wollen.

 

"Es ist nicht die Frage, ob das geht, sondern wie das geht"

Wie realistisch ist denn aus Ihrer Sicht das Ziel der Dekarbonisierung der Industrie?

Wir haben jetzt etwa 25 Unternehmen in Thüringen dafür begeistern können, in der zweiten Projektphase mitzumachen, deutschlandweit etwa 55. Das heißt, das ist auf jeden Fall ein Thema, das die Unternehmen umtreibt. Und ich bin der Meinung, dass die großen Unternehmen zeitnah sagen werden: Wir arbeiten nur noch mit Zulieferern zusammen, die uns ausweisen können, wie viel CO2 sie emittieren, wenn nicht sogar: Wir wollen nur noch Zulieferer, die ihre CO2-Emissionen minimieren und nur noch mit Zulieferern mit den geringsten CO2-Emissionen zusammenarbeiten. Dann entscheidet sich, ob ein Unternehmen in der Lage ist, das zu erfüllen oder daraus abzuleiten: Was können wir verändern, um CO2-minimal oder sogar CO2-frei zu produzieren?

Dadurch werden auch kleinere Unternehmen nicht umhinkommen, sich mit diesen Fragestellungen zu beschäftigen und das Ziel, die Industrie zu dekarbonisieren, wird deutlich greifbarer. Die Unwetter im Ahrtal haben uns einmal mehr aufgeweckt und zeigen uns, dass meine Generation diejenige ist, die die Energiewende umsetzen muss. Ich finde, es ist nicht die Frage, ob das geht, sondern wie das geht. Und diese Frage versuchen wir zu beantworten.

Wie schaffen Sie es, diese Projektarbeit und die Arbeit an Ihrer Dissertation unter einen Hut zu bekommen?

Die Herausforderung ist, dass ich nicht nur die wissenschaftliche Seite und die Industrieprojektseite abdecke, sondern auch in der Lehre tätig bin, und das ist durchaus auch mal mit Überstunden verbunden. Der große Vorteil an unserem Fachgebiet ist, dass wir neben unserem Doktorvater mit unserem Oberingenieur einen weiteren sehr erfahrenen Ansprechpartner an unserer Seite haben, der uns konkret in die Projektarbeit einführt und uns nach und nach immer mehr Verantwortung übergibt. Allgemein ist die Betreuung am Fachgebiet, auch insbesondere, was spontane Gesprächsmöglichkeiten mit dem Professor und auch sein Interesse an den einzelnen Doktoranden angeht, sehr gut. Das war auch ein Grund für mich, warum ich gesagt habe: Der Rahmen sowohl fachlich als auch persönlich stimmt hier perfekt für mich, deswegen mache ich das hier mit der Promotion.

Wie könnte die Universität aus Ihrer Sicht Nachwuchswissenschaftlerinnen wie Sie noch stärker auf Ihrem Karriereweg unterstützen?

Ich würde da aus meiner Perspektive gar nicht zwischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern unterscheiden. Was ich einen sehr guten Vorstoß der Uni finde, ist, die Doktorandinnen und Doktoranden universitätsweit noch mehr zusammenzubringen, durch das Graduate Center und das Wissenschaftsforum, aber auch innerhalb des ThEFI. Das Anliegen des ThEFI ist, dass man sich nicht nur innerhalb der Energietechnik austauscht, sondern auch mit der Mathematik und so weiter. So wird beispielsweise bei Verteidigungen aller Art das komplette ThEFI eingeladen, so dass jeder Doktorand die Möglichkeit hat auch mal in andere Fachgebiete reinzuschauen. Das kann ich auch anderen Instituten ans Herz legen.

Was sind Ihre Pläne für die Zeit nach der Promotion?

Ich werde wahrscheinlich noch etwa zwei Jahre an der Uni sein, und es gibt noch viel, was ich dazulernen kann und will. Anschließend bin ich eigentlich relativ frei. Ich kann mir gut vorstellen, eine Weile ins Ausland zu gehen, mein Ziel ist schon, erstmal in die Industrie zu gehen und mir auch diese Seite anzuschauen, zum Beispiel bei einem Übertragungsnetzbetreiber.

   

Über das Fachgebiet Elektrische Energieversorgung

Das Fachgebiet befasst sich unter anderem mit der zukünftigen Ausgestaltung der elektrischen Energieübertragung und -verteilung, der Integration neuer Basistechnologien, optimaler Betriebsführung sowie auch der Modellierung und Analyse des gesamten Energiesystems von der Transportnetzebene bis hin zur Anlage auf der Endverbraucherseite. ZO.RRO bildet dabei nur einen Baustein.

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