Das Fachgebiet Nanobiosystemtechnik widmet sich der Erforschung und Nachbildung biologischer Systeme unter dem Aspekt des „biotechnischen Multiskalenengineerings“. Darunter verstehen wir einen systembiologischen Ansatz bei dem berücksichtigt wird, dass z.B. auch makroskopische biologische Systeme eine Synthese aus funktionalen Nano- und Mikroelementen darstellen. Für die Systembetrachtung und damit einhergehende Nachmodellierung muss daher berücksichtigt werden, dass für die Funktion biologischer Systeme sowohl kleinste Funktionselemente als auch die nächst höheren Einheiten notwendig sind.Dabei spielen sowohl die geometrische Dimensionen als auch die hierarchischen Verknüpfungen und Organisationsprinzipien eine Rolle.
Normalerweise ist biologische Materie wie z.B. Zellen in Organen in einem Körper dreidimensional organisiert d.h. die verschiedenen Zelltypen haben Kontakte zu ihren Nachbarn in drei Dimensionen. Dagegen wird die normale im biologischen Labor eingesetzte Zellkultur jedoch zweidimensional kultiviert z.B. in Petrischalen oder Zellkulturflaschen und kann daher nur als ein sehr grobes Modell der Realität gelten.
Dies hat mittlerweile dazu geführt, dass in modernen Zellkultursystemen die 3D Zellkultur favorisiert wird, was sich auch in einem deutlichen Anstieg an Publikationen auf diesem Feld in den letzten Jahren ausdrückt (http://www.3dcellculture.com/)
Im FG Nanobiosystemtechnik wird auf der Basis der Vorarbeiten in den Nachwuchsgruppen „Mikrofluidik und Biosensorik“ und „Mikrokunststoffformen“, an der Entwicklung von Mikrobioreaktoren und Zellkultivierungssubstraten zur 3D Zellkultivierung gearbeitet (FKZ FKZ03ZIK062, FKZ03ZIK465 im Rahmen der Förderung der Zentren für Innovationskompetenz im Programm Unternehmen Region).
Es ist allgemein anerkannt, dass die Vaskularisierung d.h. die Versorgung eines Organs oder Gewebes mit Blutgefäßen ein Schlüsselproblem im „Tissue Engineering“ darstellt. Wünschenswert wäre natürlich eine echte Nachbildung von kapillaren Strukturen im Gewebe, die bislang noch nicht geglückt ist und Gegenstand ambitionierter Forschung ist. Neben diesen grundlegenden Arbeiten (auch im FG NBS) kann diese Funktion in der Zellkultur in sehr grober Weise durch die Perfusion der Kultur mit Nährmedium analog zum Blutkreislauf nachgestellt werden.
Mittlerweile ist es dem FG gelungen, Standards zu definieren, die einen routinemäßigen Einsatz von 3D Zellkultursystemen im „LifeScience“ Labor möglich werden läßt, wobei ein Schwerpunkt im Einsatz von mikrofluidischen Lösungen liegt, die eine Perfusion d.h. ein Durchströmen der Zellkultur oder des Gewebes mit Nährlösung erlauben.
Der nächste Schritt liegt in der Erweiterung dieser Systeme zu sogenannten Cokultivierungssystemen, die genau wie in der Situation im Organismus unterschiedliche Zelltypen in einem Kultivierungssystem vorzugsweise in einem Substrat in einer der Natur entsprechenden Modellierung realisieren.
Eine echte 3D Kultivierung von Zellen z.B. von Neuronen lässt einen vollkommen neuen Zugang zur Erforschung von neuronalen Zellsystemen und damit dem Gehirn erwarten. Das FG Nanobiosystemtechnik[1] ist daher in Zusammenarbeit mit den Universitäten Technische Universität Tampere (TUT), der Universität Tampere (UTA) in dem von der EU geförderten Projekt (3D NeuroN, FP7 ICT FET OPEN (FKZ 296590) in der Entwicklung von 3D Sensorarrays für die Untersuchung neuronaler Systeme involviert.
[1] In Zusammenarbeit mit dem FG Biosignalverarbeitung
Dieser sehr allgemeine Ansatz, der einen neuartigen Zugang in der Erforschung der Grundlagen biologischer Systeme bietet, ist nun auf Grund seines ingenieurwissenschaftlichen Vorgehens optimal geeignet, in technologische Konzepte zur Nutzung oder Nachbildung biologischer Strukturen umgesetzt zu werden.
Hierzu sind unterschiedliche Kerntechnologien und Methoden zu erforschen und zu entwickeln. Dazu gehören spezielle Strukturierungstechniken von Polymeren, die eine kostengünstige Produktion mikro- und nanogeformter Materialien erlauben sowie die Produktion multifunktionaler Hybridsysteme (Hybride=unterschiedliche Funktionsmaterialien), die auf räumlich kleinen Dimensionen eine hohe Integrationsdichte von Funktionen erlauben. Hierzu sind insbesondere für die organnahe technische Modellierung von Gewebe 3D Nanostrukturierungstechniken notwendig. Die Integration unterschiedlicher Funktionsmaterialien auf kleinsten Räumen erlaubt die Nachbildung komplexer Funktion, wie sie in biologischen Systemen realisiert sind.
Die Möglichkeiten der Nanotechnologie insbesondere der Nanostrukturierung hybrider 3D Systeme erlauben ergänzend zu den aus der Gentechnik und Molekularbiologie stammenden Methoden unterschiedliche Reaktionsräume in kleinen Dimensionen technisch zu erzeugen. Auf diesem Wege können chemische oder biologische Reaktionen, die so in der eingeführten Labortechnik nur ineffizient oder gar nicht möglich wären, sowohl in zeitlicher, als auch räumlicher Nähe mit hoher Effizienz durchgeführt werden. Am Ende eines von Menschen entworfenen rationalen oder evolutiven Designs (oder Mischungen aus beiden Strategien) ständen neuartige biologische Polymere, Gewebe, bis hin zu ganzen organismenähnlichen Funktionseinheiten.
Im Fachgebiet werden daher systembiotechnologische Fragestellungen bearbeitet, die zu neuen Lösungsstrukturen mit technischen Anwendungen führen sollen (siehe auch FG Biomechatronik und FG Mikroreaktionstechnik)[2]:
Funktionsfähige Modellierung biologischer Funktionen (Beispiele):
- 3D Teilmodellierung von Leberfunktionen
- 3D Modellierung neuronaler Gewebefunktionen
Bio/chemische Reaktionsräume (Beispiele):
- biotechnologische Synthese und Optimierung von Wirkstoffen u.a. in der evolutiven Biotechnologie
- Chemische Synthese und Optimierung von Wirkstoffen
Hierzu werden verschiedene fachliche Teilgebiete behandelt (Beispiele):
- Mikrosystemtechnik
- Nano(bio)technologie
- Sensorik
- Fluidik
- Kunststofftechnologie/Verfahrenstechnik
[2] Es bestehen Zusammenarbeiten mit den FG Elektroniktechnologie (vormals ZIK NWG „Funktionale Peripherik“), den FG Mikromechanische Systeme, FG Technische Optik, FG Nanotechnologie, FG Oberflächenanalytik, FG Plasma- und Oberflächentechnik, FG Anorganisch-nichtmetallische Werkstoffe und dem FG Chemie)
Im Rahmen des hier vorgelegten Forschungsprogramms werden systemische Ansätze zur Modellierung biologischer Systeme in den Mittelpunkt gestellt. Hierbei wird unter dem Oberbegriff „Multiskalen-Engineering“ in der Biotechnologie, d. h. des Verständnisses und der systematischen Beschreibung eines biologischen Systems ein neues, innovatives [synergistisches] Konzept realisiert. Um biologische Systeme nachzubilden muss die hierarchische Organisation der biologischen Systeme nachgebildet werden, die auf allen geometrischen Skalen von der Nano- über die Mikro- bis zur Makroebene präsent ist, bzw. die dort wirkenden Naturgesetze nutzbar macht. Makroskopische biologische Systeme sind eine Verbindung aus Mikro- und Nanoelementen, die zu größeren Gesamtsystemen (auch NanoSystemintegration oder Mikro-Nanointegration) integriert sind. Die Modellierung der realen Situation kann als “biotechnologisches Multiskalen Engineering” bezeichnet werden.
Im Rahmen des oben skizzierten Forschungsprogramms wurden nun neuartige, stark integrierte, komplexe Systeme für das High-Content-Screening, d.h. die Bestimmung verschiedener physikalisch-chemischer Parameter in einem biologischen Testsystem, einem so genannten Assay, entwickelt. Das beinhaltet auch die Konzeption neuer mikrofluidischer Geräte oder die Entwicklung neuartiger Biosensorstrukturen, die es gestatten, biologische, funktionelle Aktivitäten in elektrische oder optische Signale mit hoher Spezifität und hohem Signal-zu-Rausch-Verhältnis umzusetzen.
Die verschiedenen Arbeitsgebiete der Arbeitsgruppe umfassen dabei Bereiche der biophysikalischen Forschung, Nano- und nanobiotechnologische Ansätze bis hin zur Entwicklung und Konstruktion kompletter Systeme.
Verschiedene Arbeitspakete wurden realisiert:
- Entwicklung von verschiedenen Parallel-Systemen für die Zellkultivierung bzw. der Kultivierung von 3D-Geweben zur Analyse der Wechselbeziehung zwischen Zellen und Geweben unter Verwendung fluidischer Messsysteme sowie elektronischer Sensor-Arrays und optischen Sensor-Methoden integriert in ein multifunktionales System
- Entwicklung generalisierter Testverfahren für die pharmazeutische Anwendung unter Nutzung integrierter mikrofluidischer und Biosensor-Systeme (zellfreie Assays wie Protease- und HDAC-Assays, sowie zellbezogene Assays unter Verwendung von Zelllinien wie HepG2, Stammzelllinien wie P19, Fibroblasten oder primären Zellen in Monolayerkultur oder in 3D-Systemen)
- systembiologische Studien, z.B. zur Zelldifferenzierung und Cokultur
- Evaluierung und Entwicklung von High-Electron-Mobility-Transistorstrukturen auf der Basis von Gruppe-III-Nitriden für Biosensoranwendungen in Verbindung mit Zellen oder Membranproteinen.
Die Fokussierung auf die oben genannten Assay-Systeme beruht auf dem hohen Bedarf beispielsweise seitens der pharmazeutisch forschenden Industrie an genügend aussagekräftigen funktionellen Assays, die auf die Problematik von z. B. ADME/Tox (ADME/Tox-: Absorbtion, Distribution, Metabolism, Excretion, Toxicity) ausgerichtet sind und derzeit nur in ausgewählten Einzelfällen verfügbar sind.
Das Angebot von neuartigen mikrofluidischen Biosensor-Systemen dient auch dem Ausbau und der Stärkung der technologischen Kompetenz am Wirtschaftsstandort Deutschland. Das betrifft die experimentelle Basis für Assay-Technologien, die darauf aufbauenden Screening-Verfahren sowie die Identifikation pharmakologischer Leitstrukturen in der Wirkstoffsuche.
Die Projekte und Forschungen orientieren sich vorrangig am Bedarf von kleinen und mittelständischen, aber auch großen pharmakologisch und medizintechnisch forschenden Einrichtungen und Firmen, die selbst an Technologie- und Assay-Entwicklungen arbeiten oder die an marktfähigen Endgeräten Interesse haben.
Andererseits besteht eine intensive Forschungskooperation mit akademischen Einrichtungen auf allen Gebieten der Grundlagen- und angewandten Forschung.